Birgit Schäbler: Moderne Muslime. Ernest Renan und die Geschichte der ersten Islamdebatte 1883
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2016
286 Seiten, 29,90 Euro
Islam ist ein Ergebnis der Moderne
Ernest Renan löste 1883 die erste Islamdebatte aus, lernen wir in "Moderne Muslime" – mit einer plumpen Attacke, auf die der muslimische Gelehrte Dschamal al-Din al-Afghani geschickt antwortete. "Streit um Jesus" wiederum erklärt die islamischen Aussagen über Jesus.
Die Historikerin Birgit Schäbler analysiert und dokumentiert in ihrem Buch "Moderne Muslime" eine folgenreiche Debatte, in der im Grunde erstmals die Begriffe Islam und Europa einander gegenüber gestellt wurden.
Die Protagonisten sind auf der einen Seite der französische Hebräisch-Professor und ehemalige Priester Ernest Renan, auf der anderen Seite zunächst Dschamal al-Din al-Afghani, ein aus dem Iran stammender muslimischer Gelehrter und Aktivist gegen die britische Kolonialherrschaft.
Ausgangspunkt der Debatte war 1883 die Veröffentlichung eines Vortrags von Renan, in dem dieser dem Islam jegliche Fähigkeit zur Wissenschaft absprach und jegliche Trennung von Religion und Politik leugnete.
Ernest Renan wider philosophiefeindliche Wahhabiten
Renan, in Deutschland vor allem für seine Definition der Nation als tägliches Plebiszit bekannt, erscheint in diesem Text und in der informativen Einordnung Birgit Schäblers in einem ganz anderen Licht. Es wird deutlich, dass er mit einem kulturalistischen Rassebegriff operiert, den er zwar auf Europa bezogen für überholt hält, der aber "die Araber" auf Dummheit und Fanatismus festlegt.
Schäbler arbeitet heraus, dass Renan sich in seiner Islam-Darstellung im Wesentlichen auf die Strömung der strenggläubigen und philosophiefeindlichen Wahhabiten bezieht, die jedoch nach ihrem Aufkommen im 18. Jahrhundert zu Renans Lebzeiten völlig an den Rand gedrängt waren und erst im 20. Jahrhundert im Bund mit dem saudischen Königshaus ihren Einfluss wieder steigern konnten.
Erschreckend ist, wie bekannt manche von Renan verwendeten Klischees auch heute noch klingen – die Argumentation der Islamgegner hat sich in über einem Jahrhundert kaum weiterentwickelt. Schäbler zeigt klar auf, wo hier die Irrtümer liegen.
Al-Afghani als Verfechter islamischer Philosophie
Renans Kontrahent Al-Afghani, studierter Philosoph und der eigenen Religion gegenüber durchaus kritisch eingestellt, weitet Renans Islamkritik zur allgemeinen Religionskritik: "Jedes Mal, wenn die Religion das Übergewicht hat, wird sie die Philosophie verdrängen." Außerdem fordert er, die Muslime nicht auf ihren beklagenswerten Entwicklungsstand festzulegen, sondern die Fortschrittshoffnung nicht aufzugeben.
In einer kurzen Erwiderung stimmt Renan al-Afghani in vielem zu – unter dem Vorwand, Al-Afghani sei ja schließlich kein (unaufgeklärter) Araber, sondern indogermanischer Afghane. In Wirklichkeit war er Perser.
Schäbler hat neben diesem nicht ganz unbekannten Schlagabtausch noch zwei weitere Erwiderungen auf Renans Text ausfindig gemacht, und zwar von dem osmanisch-türkischen Beamten und Literaten Namik Kemal und dem tatarischen Imam und Gelehrten Ataullah Bajazitov. Ebenso wie bei Renan und Al-Afghani leistet sie hier neben der Dokumentation der Texte eine biografische Einordnung und vollzieht die (durchaus anders gelagerten) Argumentationsweisen nach.
Große Denker über Islam der Moderne
Dabei erfährt die Leserin nebenbei viel über große muslimische Denker, über das Verhältnis von Religion und Staat, die Weitergabe griechischer Philosophie oder die Begegnung mit den Kolonialmächten. Und kann angesichts dieses Beziehungsgeflechts letztlich nachvollziehen, wenn Schäbler entgegen dem Argument von einem Mangel an Moderne im Islam schreibt: "Der Islam und seine Beziehungen zum Westen heute sind ein Ergebnis der Moderne".
Das von Klaus von Stosch und Mouhanad Khorchide herausgegebene Buch ist in mehrfacher Hinsicht ein Gegenentwurf, nicht zu Schäblers Buch, sondern zu der darin dokumentierten Debatte. Denn hier geht es nicht um den Islam und den Westen, sondern sehr konkret darum, wie die islamischen Aussagen über Jesus interpretiert werden können.
Auch richtet es sich weniger als die Texte von Renan, Al-Afghani, Kemal und Bajazitov an ein breites, wenn auch gebildetes Publikum, sondern bewegt sich viel mehr in der wissenschaftlichen Sphäre und Sprache. Schließlich ist es stark von gegenseitigem Wohlwollen und Anerkennung geprägt – kaum verwunderlich bei diesem Werkstattbericht eines gemeinsamen, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten mehrjährigen Projektes.
Christlich-muslimischer Dialog auf höchstem Niveau
Der katholische Theologe und Mitherausgeber Klaus von Stosch schreibt, er wolle den Koran als bedeutsamen, möglicherweise von Gott kommenden Text ernst nehmen. Sein Kollege, der islamische Theologe Mouhanad Khorchide stellt fest, der Koran lasse genügend Raum offen, um einige christologische Aussagen aus ihm zu lesen, benennt aber zugleich verbleibende Unklarheiten in der christlichen Christologie.
Auch die anderen, zum Teil auf Englisch verfassten Beiträge versuchen, eigene Glaubenspositionen durch eine Offenheit für andere Sichtweisen zu bereichern. Und zwar nicht durch unspezifisches "Gottes Wege sind vielfältig"-Gerede, sondern durch exakte Quellenarbeit sowie ihre Einordnung in Theologie-, Kultur- und Rezeptionsgeschichte.
Das ist christlich-muslimischer Dialog auf höchstem Niveau – der allerdings auch beim Leser einiges Fachwissen voraussetzt.
Klaus von Stosch, Mouhanad Khorchide (Hg.): Streit um Jesus. Muslimische und christliche Annäherungen
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2016
282 Seiten, 34,90 Euro