Hat das Smartphone eine Seele?
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Die Verehrung technischer Geräte grenzt manchmal fast an Religion. Da ist zum Beispiel von Apple-Jüngern die Rede. Ethnologen sehen Parallelen zum Animismus, dem Glauben, dass Dinge eine Seele besitzen.
Der Trommelgesang der grönländischen Inuit dient dem Vertreiben der Angst im überlangen Winter und dem Beschwören des Tupilak, sagt Tuperna, die junge Grönländerin aus Sissimuit in Westgrönland. "Als ich ein Kind war, erzählte mir meine Großmutter, dass jeder von uns einen Führer hat. Der warnt uns vor dem Wetter, wie es sich verändert, und wer in der Siedlung böse ist, wer nicht. Sein Name ist Tupilak."
Schutzgeist aus Walross-Elfenbein
Der Tupilak ist ein mystisches Wesen, geboren aus der Seele eines Verstorbenen. Aus geschnitztem Walross-Elfenbein gefertigt, wird der Schutzgeist in einer Zeremonie zum Leben erweckt. Dann ist er überall dort zu Hause, wo sein Träger sich aufhält. Und wenn wir nicht freundlich zu ihm sind, sagt Tuperna, verlässt er uns, wenn wir schlafen.
"Wir haben die entsprechenden Phänomene auch in unserer eigenen Religionsgeschichte", sagt der Ethnologe Karl-Heinz Kohl: "Reliquien werden angesehen als 'bewirkende Gegenstände'. Man hat sie beschworen, man hat zu ihnen gebetet, man ging manchmal sogar so weit, dass, wenn die Reliquien die Wirkung nicht erzielt haben, die man sich von ihnen erhofft hat, dann hat man sie einfach weggeworfen, oder man hat sie sogar bestraft und ausgepeitscht. Also, das ist auch durchaus ein Phänomen in der Geschichte des Christentums: der Glaube an die Handlungsmacht, an die Wirkungsmacht von Gegenständen."
Götter in Wasser, Licht und Wolken
Am Kumano-Kodo, dem Pilgerweg in Zentraljapan, ist Fremdenführerin Hatsumi zu einem shintoistischen Schrein gepilgert. "Hier gibt es vier Haupthallen für jede Gottheit", erklärt sie. "Der Shinto hat keine ortgebundenen Gottheiten, deshalb wohnen sie nicht im Gebäude. Man muss die Seele der spirituellen Wesen fühlen."
Hatsumi betet zu den Kami, den Göttern, die es in nahezu allem gibt, was den Menschen umgibt: Wasser, Licht, Bäume, Erde, Wolken. Sie wirft Münzen in eine Truhe, klatscht und macht so die Kami auf ihr Anliegen aufmerksam.
Der "Weg der Götter", so die Übersetzung des Wortes Shintoismus, ist neben dem Buddhismus die traditionelle Religion Japans. Dabei gibt es keine Stifterfigur, keine Offenbarung, keine allgemeingültige Lehre. Es gibt nur den Weg der Götter. Die werden angerufen, überall, als hätte man ein imaginäres Handy bei sich.
Technologien, die wir am Körper tragen
Karl-Heinz Kohl, der Ethnologe, erkennt einen Trend: "Die gegenwärtige Renaissance des Spiritismus hat sicherlich auch etwas zu tun mit den neuen wirkmächtigen Technologien, mit denen wir uns heute umgeben."
Die Technologien, die er meint, sind vor allem Smartphones, Laptops und Wearables, also Computertechnologien, die viele täglich am Körper tragen. Kein Wunder also, dass wir sie immer mehr vermenschlichen, sagt Kohl, zumal Apple und Co. dem Smartphone inzwischen auch eine eigene Stimme gegeben haben:
"'Hey Siri', das ist der Ruf, mit dem wir es gewissermaßen zum Leben erwecken. Von daher ist es geradezu selbstverständlich, dass wir es mit menschlichen Eigenschaften ausstatten, mit ihm umgehen, als sei es ein Mensch, als sei es ein Partner."
Geräte mit allzu menschlichen Eigenschaften
War in alten Kulturen die Umwelt von gottgleichen mystischen Wesen beseelt – Animismus nennen Ethnologen und Religionswissenschaftler diese Vorstellung –, so sind heute Smartphones beseelte Geräte, die ähnlich den Kami und dem Tupilak um und an uns sind. Sie "geben ihren Geist auf", "spinnen" oder "wollen nicht". Dass das so gesehen wird, sei zutiefst menschlich, meint Karl-Heinz Kohl:
"'Smartphone', wenn man das übersetzen wollte, heißt eigentlich 'das kluge Stimmchen', da kommt schon dieser Partnerschaftsgedanke, die Vermenschlichung, die Anthropomorphisierung auch ganz deutlich zum Ausdruck."
Diese "Beseeltheit" der Geräte hat einen Grund. Denn es grenzt an Zauberei, wenn man mit einer Wischbewegung Kontakte herstellt oder löscht, Geld überweist, Sprachnachrichten schickt. Um sich zu vergegenwärtigen, welche gigantische Leistung dahintersteht, lohnt ein Blick zurück.
5.000 Rechenmaschinen für einen Wisch
Im Berliner "Museum für Verkehr und Technik" steht der Zuse 3, kurz Z3 genannt, der erste funktionsfähige Computer der Welt, vor 80 Jahren, 1941 von Konrad Zuse gebaut. Sein Sohn Horst Zuse, emeritierter Informatikprofessor, steht vor dem wohnzimmerschrankgroßen Gerät und sagt:
"Das Wischen auf dem Smartphone, also dass man mit dem Finger über die Bilder so langsam rübergeht, ungefähr 5.000 bis 6.000 von diesen Z3 bräuchten Sie nur für diese Operation."
Selbst für Konrad Zuse hätte diese rasante Entwicklung vermutlich an ein Wunder gegrenzt. Die neue spirituelle Aufladung unserer Alltagsgeräte kam mit der Digitalisierung. Und je digitaler unsere Welt wird, und damit für viele Menschen unnachvollziehbarer, umso mehr gewinnt eine neue Form des Animismus an Zuspruch.
Dienstbare Geister mit Seele
Was uns zuhört, mit uns spricht und antwortet, was für uns sucht, uns unterstützt, berät und Dienste erledigt, muss ja geradezu lebendig und beseelt sein. Zumal, meint Karl-Heinz Kohl, wir grundsätzlich bestrebt sind, Dinge in unserer Umwelt mit menschlichen Eigenschaften auszustatten, sie zu anthropomorphisieren:
"Es ist eher einer Mischung von Affektivem und Intellektuellem, die eine Rolle spielt, insofern ist der Unterschied zwischen dem klassischen animistischen Denken und dem, was heute geschieht, gar nicht so groß."