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Karl Lagerfeld ist tot
Er war einer der berühmtesten Deutschen. Markenzeichen: der streng nach hinten gebundene Zopf, die schwarze Sonnenbrille und die äußerst schnelle, sich überschlagende Sprache. Nun ist Karl Lagerfeld im Alter von 85 Jahren gestorben.
"Wissen Sie, ich habe Schwein gehabt im Leben. Ich mach genau das, was ich will. Meine Mutter sagte, Du bist nicht ganz ehrgeizig. Du hättest was Besseres aus Dir machen können. Aber mir reicht das."
Bescheiden kann man sein Leben nicht gerade nennen. Karl Lagerfeld ist die Ikone einer Welt voller Luxus und Reichtum. Der kreative Kopf hinter großen Modemarken wie "Chanel" oder "Fendi". Hier liefert er Haute Couture für die Superreichen und Prêt-à-Porter-Kollektionen für alle, die es sich leisten wollen.
Interesse auch für banalste Sachen
Sich festzulegen ist nicht seine Masche. Karl Lagerfeld ist in seinem langen Leben Mode- und Möbeldesigner, Innenarchitekt, Fotograf, Buchautor, Karikaturist, Geschäftsmann und Gesamtkunstwerk. Oftmals auch irgendwie alles gleichzeitig:
"Ich interessiere mich für alle Phänomene der Gesellschaft, alles was passiert, in allen Domänen vom Theater, aber auch für tägliches Leben, für die dümmsten und banalsten Sachen. Für musikalische Sachen. Ich bin ein neugieriger Mensch! Das heißt, ich bin jemand, der alles gerne weiß, und meine Lieblingslektüre sind Wörterbücher und Diktionäre."
Karl Lagerfeld wird am 10. September 1933 in Hamburg geboren:
"Hamburg ist meine Heimat, Paris ist meine Heimat. Ich bin im Grunde da zu Hause, wo ich gerade bin."
Aufgewachsen ist er in Bad Bramstedt, führt von Anbeginn ein Leben im Wohlstand. Sein Vater leitet eine Firma für Dosenmilch. Seine Mutter ist streng. Stets darauf bedacht, dass aus ihrem Sohn etwas wird. Sie hat nichts dagegen, dass Karl, zu Besuch in Paris, nicht wieder nach Bad Bramstedt zurückkehren will. Er ist 15 Jahre alt, als er auf ein Gymnasium in die französische Hauptstadt wechselt. Sein späterer Jugendfreund Peter Bermbach erinnert sich:
"Stolz. Das ist, glaube ich, sein Hauptcharakteristikum. Stolz und selbstsicher. Ich meine, der redete nicht mit allen Leuten, und er war also auch etwas hochmütig und er wusste, wie gut er aussieht."
Er wollte Karikaturist werden
1954 gewinnt Lagerfeld für eine Mantelzeichnung den ersten Preis in einem internationalen Wettbewerb. Das ist seine Eintrittskarte. Der französische Designer Pierre Balmain stellt ihn als Zeichner an.
Karl Lagerfeld: "Ganz ursprünglich, bevor ich überhaupt wusste, dass man aus Mode einen Beruf machen konnte, wollte ich Karikaturist werden."
1965 präsentiert er seine erste Kollektion für die römische Marke "Fendi". Das Unternehmen steckt da in der Schaffenskrise. Lagerfeld bringt das Geschäft in Schwung. Für mehr als fünfzig Jahre. Ab 1983 schreibt er sich als Re-Interpret der berühmten Coco Chanel in die Geschichtsbücher ein. Er wird Chefdesigner des Pariser Labels "Chanel".
Reporterin: "Für wen machen Sie Mode? Jung, alt, mittleres Alter?"
Karl Lagerfeld: "Das ist wieder eine Frage, auf die ich nicht mehr antworten möchte, weil für mich ist das wie Rassismus. Was heißt hier jung, alt und mittelalt?"
Karl Lagerfeld: "Das ist wieder eine Frage, auf die ich nicht mehr antworten möchte, weil für mich ist das wie Rassismus. Was heißt hier jung, alt und mittelalt?"
Ein muskulöser Boxer
Der "Stern"-Journalist David Baum arbeitete seit Ende der 90er-Jahre häufig mit ihm zusammen:
"Wenn man mal so in die Archive geht, man traut ja seinen Augen nicht! Dieser Karl Lagerfeld, der ein Boxer war, der einen schwarzen Bart hatte, dazu auch schon diese Sonnenbrillen. Und der hat ja wirklich viel geboxt und war wahnsinnig muskulös. Das ist ja ein Lagerfeld, den wir alle nicht mehr in Erinnerung haben. Der wird ja immer überlagert von der nächsten persönlichen Epoche, die er sich gibt."
Mal ist er schlank, mal kräftig. Mal mit Fächer, mal ohne. Meistens aber mit großer Sonnenbrille und Zopf. Über sein Privatleben ist wenig bekannt. Mit einer Ausnahme. In den 1980er-Jahren macht er seine große Liebe öffentlich. Sein Partner heißt Jacques de Bascher. 1983 erkrankt dieser an HIV/AIDS. Lagerfeld steht de Bascher bis zum Schluss zur Seite. Der Tod des Freundes ist Lagerfelds wohl größte persönliche Krise. Später wird er über de Bascher von einer "platonischen Liebe" sprechen.
Reporterin: "Ist Karl Lagerfeld ein politischer Mensch?"
Karl Lagerfeld: "Total unpolitisch!"
Karl Lagerfeld: "Total unpolitisch!"
Wüten gegen Merkel
Der späte Karl Lagerfeld äußert sich öffentlich zu aktuellen Debatten. Er wütet im französischen Fernsehen gegen die Flüchtlingspolitik der deutschen Bundeskanzlerin. In einer seiner Karikaturen, die regelmäßig in der FAZ erscheinen, übersetzt er das so: Hinter einer Angela Merkel, mit angsterfülltem Blick und beiden Händen vor dem Mund, steht Adolf Hitler. Darüber die Worte: "Vielen Dank, dass Sie ungewollt meinen Nachfahren erlaubt haben, wieder im Parlament vertreten zu sein."
David Baum: "Das ist schon sehr deftig zuweilen. Ich glaube, man würde es niemand anderem erlauben als ihm. Nur, er ist halt Lagerfeld. Es ist auch ein Spiel, ja! Ich glaube, ein bisschen so, wenn es so die große Grundannahme dieser Persönlichkeit gibt, dann die, das eigentlich ja eh nichts wirklich von Gültigkeit ist."
Karl Lagerfeld: "Alles, was man gemacht hat, spielt keine Rolle und die nächste Kollektion ist die Wichtigste. Das nächste Foto ist das Beste, und das ist die einzige, für mich, instinktive und normale Disziplin, das als automatischen und gewünschten Prozess weiterzuentwickeln und den Enthusiasmus nicht nur zu behalten, sondern auch noch zu steigern."
Das letzte Multigenie
Über ein halbes Jahrhundert lang hat er die Modewelt maßgeblich beeinflusst. Er war einer der großen Stars, generationenübergreifend und weltweit. Der Mann prägte unzählige Karrieren, wie die von Starmodel Claudia Schiffer. Für viele Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter stellte Karl Lagerfeld das letzte Multigenie unserer Zeit dar. In Erinnerung wird er aber auch als jemand bleiben, dessen Lebenswerk er selbst gewesen ist:
"Daraus besteht mein Beruf, auch das zu formulieren, was die Leute sich wünschen, sich vorstellen, aber nicht selber formulieren können. Da können sie doch endlich mal träumen, nicht."
"Das Besondere an Lagerfelds Mode war eigentlich, dass er nichts Besonderes in seiner Mode hatte, sondern dass es ihm gelungen ist, in einer heute fast undenkbar langen Zeit, die DNA von Chanel global erkennbar zu machen."
So urteilt Barbara Vinken, Professorin für Literaturwissenschaft an der Universität München. Sie gilt als Modeexpertin und hat mehrere Bücher über Mode veröffentlicht.
Lagerfeld habe es geschafft, mit raffinierten Reklamestrategien Chanel zu einem weltweiten Logo zu machen, "nach dem sich die ganze Welt sehnt", so Vinken. Dabei habe er für Chanel eigentlich recht wenig erfunden.