Modische Meilensteine der Menschheitsgeschichte

Barbara Vinken im Gespräch mit Klaus Pokatzky |
Was hat Mode mit Demokratie zu tun? Warum ist Verkleidung immer lustiger als Uniform? Barbara Vinken lehrt an der Ludwig-Maximilian-Universität München und denkt über Anzüge, Kleider und das Ende der Individualität nach.
Klaus Pokatzky: Jetzt mal eine sehr persönliche Frage: Wie sind Sie gerade gekleidet? Wie viel legen Sie dabei von Ihrem Körper frei? Wenn Sie Mann sind, tragen Sie Anzug? "Der Anzug konstituiert den Bürger. Der männliche Anzug ist die Uniform der Demokratie." Das steht im Buch "Angezogen. Das Geheimnis der Mode". Geschrieben hat es Barbara Vinken, Professorin für französische und allgemeine Literaturwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, die ich nun im Studio in München begrüße. Guten Tag!

Barbara Vinken: Guten Tag!

Pokatzky: Frau Vinken, wenn ich keinen Anzug trage, inwieweit bin ich dann überhaupt noch Bürger?

Vinken: Sie sind schon noch Bürger, Sie können ja zum Beispiel kreativer sein oder irgendwie so was. Es müssen ja nicht alle Leute in der Frankfurter Uniform rumlaufen.

Pokatzky: Also mit Frankfurter Uniform meinen Sie die Banker-Uniform! Aber jetzt mal historisch: Was hat der Anzug bedeutet für die Entwicklung des europäischen Mannes vom Untertanen zum Bürger?

Vinken: Ich glaube schon, dass der Anzug da eine ganz entscheidende Rolle gespielt hat und es nicht übertrieben ist, zu sagen, dass er das ikonische Kleidungsstück der Moderne ist und, wie wir sehen, war ihm irgendwie auch wirklich ein universaler, also ein globaler, weltweiter Erfolg beschieden. Im Anzug ist es dem Bürger eigentlich gelungen, seinen Körper in Korporationen zu verschmelzen oder eben in gesellschaftliche Korporationen, in den politischen Körper, in den body politic, und dadurch seinen individuellen Körper praktisch aufzuheben zu größeren Machteinheiten, die dann auch tatsächlich über diesen individuellen Körper hinaus Beständigkeit haben.

Pokatzky: Also das heißt, in den großen Körper – wir müssen jetzt gar nicht mal von der Uniform der Armeen reden, aber in den großen Körper des wachsenden und immer mächtiger werdenden Bürgertums. Wenn wir uns jetzt aber in diesen letzten 200 Jahren die Entwicklung der männlichen und der weiblichen Mode ansieht, dann sieht das ja auf den ersten Blick so aus, als hätte sich die weibliche Mode rasant entwickelt – wenn ich also so an die Damen, so im Biedermeier, denke, während die männlichen mit ihrem Anzug sich vergleichsweise kaum verändert hat. Ist das so?

Vinken: Ja, man kann eigentlich sagen, dass nach der Französischen Revolution Weiblichkeit und Mode fast synonym geworden sind, während wirkliche Männer nicht modisch sind. In der Moderne, also wenn wir das jetzt um die Französische Revolution ansetzen, teilen die Kleider die Geschlechter, und davor haben sie die Stände geteilt. Und jetzt trennen sie die Geschlechter und dabei fällt das weibliche Geschlecht mit dem modischen in eins.

Und wie Sie auch schon gesagt haben, zeigt der Anzug eine tatsächlich fast klassische Konstanz. Es gibt minimale Entwicklungen, seit 1830 eigentlich, während die weibliche Mode, genau, wenn wir Biedermeier denken oder Zweites Kaiserreich oder so was, eine rasante Entwicklung durchgemacht hat, nämlich von einer korsettierten, die Beine bedeckenden Mode, die an der Oberfläche verziert war, kann man auch sagen, hin zu einer zweidimensionalen, schlanken Silhouette, wo die ganze Korsettierung und der ganze Unterbau weitgehend weggefallen ist.

""Für Nietzsche war weibliche Mode ein grässliches Kapitel""

Pokatzky: Aber woran liegt das? Ist der Mann konservativer, ist er fauler, ist er fantasieloser als die Frau? Ist der Mann das Gewohnheitstier und die Frau experimentiert viel lieber und zeigt dann dabei ja auch ihren Individualismus?

Vinken: Also sagen wir es mal so: Die Männer haben diesen Modeverzicht nicht ohne Entgegenkommen geleistet. In den modernen Republiken verteilen die Männer die Macht, das Geld, die Autorität unter sich, und das Modische ist, man kann sagen eine Kompensation, aber man kann auch sagen, eigentlich ein Ausschluss des Weiblichen aus der öffentlichen Sphäre oder aus der Sphäre der Macht eigentlich, weitgehend. Und – ja, so würde ich das beschreiben.

Pokatzky: Verläuft Mode damit nach einem bestimmten System?

Vinken: Ja. Man kann auch sagen – oder, wenn Sie sich das angucken, was die Leute in der Moderne über die Mode gesagt haben, dann sind die Verteidiger der Moderne, verteidigen auch eine Ästhetik der Moderne. Und für Nietzsche etwa, aber auch für Adolf Loos, war die weibliche Mode immer ein grässliches Kapitel in der Kulturgeschichte. Weil sie den Standards, den modernen Standards einfach gar nicht entspricht. Sie ist nicht nüchtern, sie ist nicht funktional, less ist nicht more, sie ist zu viel geschmückt, sie hat zu viele Farben, sie verändert sich zu schnell und so weiter und so fort. Das heißt, sie ist frivol und oberflächlich und schmückend und ist nicht nüchtern, funktional.

Pokatzky: Im Deutschlandradio Kultur die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken. Das Geheimnis der Mode ist unser Thema. Wenn wir jetzt mal über funktional reden und über den Körper ausstellen, was ja dann mit Funktionalität dann unter Umständen nichts zu tun hat. Wenn ich da 500 Jahre zurück gehe, wie die Männer rumgelaufen sind – die haben ja nun auch Einiges gezeigt. Wie kommt das, dass sich das im Laufe der Jahrhunderte so radikal geändert hat im Vergleich mit der Frauenmode?

Vinken: Also die Männer waren an sich das schöne Geschlecht. Und vor allen Dingen waren sie nicht nur das schöne, sondern sie waren vor allen Dingen das protzende Geschlecht. Also die Männer haben die Schönheit ihrer Beine, die Muskel ihrer Schenkel, ihres Pos, sogar die Größe ihres Geschlechtes in nicht zu überbietender Aufmachung, wenn Sie so wollen, ausgestellt. Das heißt, die Männer waren das Geschlecht, das Farbenpracht, enge Strümpfe, schöne Beine, das wirklich zur Schau gestellt hat.

Und eben das ist der Verzicht oder der Bruch, der mit der Französischen Revolution gekommen ist, dass die Männer auf diese ostentative Zurschaustellung ihres Körpers, eines fähigen, eines potenten, eines schnellen Körpers, dass die darauf verzichtet haben. Und wenn man sich die Geschichte oder die Entwicklung der Mode anguckt, dann kann man natürlich sagen, dass die Frauenmode in der Moderne, um modern zu werden und diesem Mode-Bashing zu entgehen, die männliche Mode übernommen hat.

Pokatzky: Also werden die Frauen abgespeist?

Vinken: Ja, ich würde sagen, es ist eine doppelte Entwicklung. Ja, auf der einen Seite ja, ihre Mode individualisiert, ihre Mode zeigt ihre Schönheit, ihre Mode verweist sie, sagen die ganzen Kritiker der Mode, auf so was wie einen Sex- oder einen Heiratsmarkt und weist sie von dem Arbeitsmarkt weg. Also weil die Frauen nicht mit den Männern konkurrieren dürfen, müssen sie um die Männer konkurrieren, sie konkurrieren über die Mode, also über die schöne Zurschaustellung ihres Körpers um die Männer. Das ist sozusagen eine Theorie.

""Ein bisschen mehr Mut zur Weiblichkeit""

Pokatzky: Und Frauen, die bei Unternehmen Karriere machen wollen – wir beide, Sie in München, ich in Berlin, wir treffen uns jetzt in Frankfurt –, die müssen sich da ja ihren Business-Look dann auch zulegen. Ist das jetzt eine vermännlichte weibliche Mode oder ist das die Diktatur eines Unisex?

Vinken: Es ist schon die Diktatur des Unisex, obwohl das nie so ganz gelungen ist. Und Sie sehen ja, dass das mit den weiblichen Business-Kostümen ein Problem ist und eigentlich nicht klappt wie bei den Männern. Ich glaube nicht, dass man von einer Bankerinnenuniform reden kann. Ich würde sagen, dass Deutschland da ein besonders repressives Land ist, das Weiblichkeit gegenüber sehr intolerant ist, anders als, sagen wir mal, Frankreich, wo Frauen, also Politikerinnen ja durchaus Kleid tragen dürfen. Obwohl das auch – wo das Opfer der Weiblichkeit praktisch keine Bedingung dafür ist, dass man in diese Ämter, diese machtvollen Ämter gelangt. Aber Deutschland ist da ziemlich streng, und, wie wir ja auch sehen, wenn wir uns umgucken, wird da eigentlich dieses Unisex-Diktat ziemlich hart durchgesetzt.

Pokatzky: Aber da muss die Feministin in Deutschland doch aufschreien.

Vinken: Versuche ich ja gerade zu tun.

Pokatzky: Wie bekämpfen Sie das? Wann wird sich das ändern, Frau Vinken?

Vinken: Also ich finde, so ein bisschen mehr Mut zur Weiblichkeit wäre jetzt mal angesagt. Und ich würde auch sagen, dass die Modegeschichte uns da eigentlich Rückenwind gibt, weil man kann nämlich beobachten, dass das, was eigentlich in die Frauenmode übertragen wird, ist nicht so sehr der Unisex, sondern der Unisex transportiert eigentlich unter falscher Flagge, wenn Sie so wollen, die männliche Zurschaustellung. Also die Frauen stellen heute so zur Schau, wie die Männer vor der Revolution. Also die können Beine zeigen, die zeigen selbst im kleinen Schwarzen ihre Körper. Die können Verletzlichkeit und Tödlichkeit, also das Zum-Tode-Sein des Körpers auch zeigen.

Pokatzky: Aber wenn wir nach Afrika gehen, wenn ich da mal was sagen darf. Also da gibt es ja die berühmten Sappeurs aus dem Kongo. Das sind also Männer, die ziehen sich einen Anzug an, aber die ziehen ihn an wie die Dandys der viktorianischen Epoche, die verkleiden sich als Kolonialherren …

Vinken: Cool, ne?

Pokatzky: Was ist das für ein Phänomen?

Vinken: Ja das, finde ich, ist natürlich eines der interessantesten Phänomene überhaupt, wo die Nichtmarkiertheit des Anzugs, also dass der Anzug praktisch nicht ins Auge sticht und nicht auffällt, wo der Anzug hier zu einem kompletten Kostüm wird und damit, sagen wir mal jetzt, die Banker-Uniform in Frankfurt, die auch irgendwie völlig lächerlich macht und auf den Arm nimmt. Also das ist natürlich auch eine extrem elegante Art, diese Kleiderordnung der Moderne zu durchbrechen.

Pokatzky: Also für deutsche Männer ein Vorbild?

Vinken: Ja! Super!

Pokatzky: Ich werde es mir überlegen, ich bin noch nicht so ganz sicher. Als ich die Fotos gesehen hab ¬– ich sag nur, Stichwort Sappeurs aus dem Kongo. Vielen Dank, Barbara Vinken. Ihr Buch "Angezogen. Das Geheimnis der Mode" ist in dieser Woche erschienen beim Verlag Klett-Cotta, mit 250 Seiten und kostet 19,95 Euro.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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