Möbel am falschen Ort
Ein Junge wächst in Australien zwischen antiken europäischen Möbeln auf. Es sind Relikte aus der Wiener Vergangenheit seiner Familie - mehr weiß er nicht. Erst nach dem Tod seiner Mutter beginnt er, die Geschichte der 60 Jahre zurückliegenden Flucht vor den Nazis zu rekonstruieren.
Als Kind – um 1970 herum – fühlte sich Tim Bonyhady "absolut wohl" in der Wohnung seiner Großmutter und Großtante. Die beiden Schwestern lebten in einem kleinen, überladenen Apartment in Sydney inmitten riesiger schwarzer Möbel. Erwachsene erlebten "die Räume als klaustrophobisch", für ihn aber war alles "am perfekten Ort, genau wie dafür vorgesehen".
Der junge Bonyhady wusste nicht, wie sehr er irrte: Die Tische mit ihren marmornen Platten, die Buffets und Anrichten waren keineswegs am rechten Ort. Genauso wenig wie die Vitrinen und Schränke, die unzählige wertvolle Objekte beherbergten sowie Regalmeter voller Erstausgaben von Karl Kraus bis Arthur Schnitzler. Und auch die Bilder Gustav Klimts, Ferdinand Waldmüllers oder Emil Orliks waren für andere Wände bestimmt.
Sie gehörten nach Wien. Von dort stammten seine Großmutter Gretl, seine Großtante Käthe und seine Mutter Annelore – das zumindest wusste Tim Bonyhady. Nicht aber, wie sie 1938, drei Tage nach der Reichskristallnacht, unter abenteuerlichen Umständen Wien verlassen hatten mitsamt ihrer bedeutenden Kunst und der kompletten Salonausstattung ihres Elternhauses.
Der junge Bonyhady wusste nicht, wie sehr er irrte: Die Tische mit ihren marmornen Platten, die Buffets und Anrichten waren keineswegs am rechten Ort. Genauso wenig wie die Vitrinen und Schränke, die unzählige wertvolle Objekte beherbergten sowie Regalmeter voller Erstausgaben von Karl Kraus bis Arthur Schnitzler. Und auch die Bilder Gustav Klimts, Ferdinand Waldmüllers oder Emil Orliks waren für andere Wände bestimmt.
Sie gehörten nach Wien. Von dort stammten seine Großmutter Gretl, seine Großtante Käthe und seine Mutter Annelore – das zumindest wusste Tim Bonyhady. Nicht aber, wie sie 1938, drei Tage nach der Reichskristallnacht, unter abenteuerlichen Umständen Wien verlassen hatten mitsamt ihrer bedeutenden Kunst und der kompletten Salonausstattung ihres Elternhauses.
Wiener Mäzene
Tatsächlich waren die schwarzen Möbel ein Gesamtkunstwerk – geschaffen 1912 von dem berühmten Architekten und Designer Josef Hoffmann für das schwerreiche jüdische Ehepaar Moritz und Hermine Gallia. Ihr in Australien geborener Urenkel Bonyhady erzählt nun erstmals ihre Geschichte und die der Nachfahren.
Als Mäzene und Sammler engagierten sich die Gallias während des Wiener Fin de Siècle für die neuen Künste. Sie gehörten zu den assimilierten jüdischen Familien, die es rasch zu Reichtum und Ansehen gebracht hatten. Moritz und Hermine waren bekannt mit Gustav Mahler, Carl Moll und Gustav Klimt, sie unterstützten die Secession und die Wiener Werkstätten. Hermine wurde von Klimt porträtiert, Moritz für seine Schenkungen von Kaiser Franz Joseph I. zum Regierungsrat ernannt.
Bonyhady erfuhr erst 2003 nach dem Tod seiner Mutter von dieser Welt. Sie erstand buchstäblich vor seinen Augen aus der teilweise noch vorhandenen Korrespondenz seiner Großmutter, aus ihren Konzert-, Tage- und Gästebüchern sowie schließlich aus Dokumenten diverser Archive. Aus diesen Quellen komponiert er die Geschichte der Generation Moritz’ und Hermines, die der Kinder und schließlich der Enkelgeneration, seiner Mutter.
Deren Leben in Wien war lange nicht mehr so mondän, doch noch immer komfortabel. Bis zum Anschluss Österreichs und der zunehmenden Drangsalierung jüdischer Bürger. In höchster Gefahr und unter "freiwilligem" Verzicht auf vieles, gelang Käthe, Gretl und Annelore die Auswanderung nach Australien. Andere Familienmitglieder hatten weniger Glück.
In Australien angekommen jedoch, galt es nach vorne zu schauen. Erst der Urenkel vermag nun, einen freien Blick auf seine Wurzeln zu werfen und dabei so eindringlich wie historisch fundiert die Geschichte der Gallias zu rekonstruieren. Sie ist hochindividuell und typisch zugleich und sehr lesenswert!
Besprochen von Eva Hepper
Als Mäzene und Sammler engagierten sich die Gallias während des Wiener Fin de Siècle für die neuen Künste. Sie gehörten zu den assimilierten jüdischen Familien, die es rasch zu Reichtum und Ansehen gebracht hatten. Moritz und Hermine waren bekannt mit Gustav Mahler, Carl Moll und Gustav Klimt, sie unterstützten die Secession und die Wiener Werkstätten. Hermine wurde von Klimt porträtiert, Moritz für seine Schenkungen von Kaiser Franz Joseph I. zum Regierungsrat ernannt.
Bonyhady erfuhr erst 2003 nach dem Tod seiner Mutter von dieser Welt. Sie erstand buchstäblich vor seinen Augen aus der teilweise noch vorhandenen Korrespondenz seiner Großmutter, aus ihren Konzert-, Tage- und Gästebüchern sowie schließlich aus Dokumenten diverser Archive. Aus diesen Quellen komponiert er die Geschichte der Generation Moritz’ und Hermines, die der Kinder und schließlich der Enkelgeneration, seiner Mutter.
Deren Leben in Wien war lange nicht mehr so mondän, doch noch immer komfortabel. Bis zum Anschluss Österreichs und der zunehmenden Drangsalierung jüdischer Bürger. In höchster Gefahr und unter "freiwilligem" Verzicht auf vieles, gelang Käthe, Gretl und Annelore die Auswanderung nach Australien. Andere Familienmitglieder hatten weniger Glück.
In Australien angekommen jedoch, galt es nach vorne zu schauen. Erst der Urenkel vermag nun, einen freien Blick auf seine Wurzeln zu werfen und dabei so eindringlich wie historisch fundiert die Geschichte der Gallias zu rekonstruieren. Sie ist hochindividuell und typisch zugleich und sehr lesenswert!
Besprochen von Eva Hepper
Tim Bonyhady: Wohllebengasse. Die Geschichte meiner Wiener Familie
Aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2013
448 Seiten, 24,90 Euro
Aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2013
448 Seiten, 24,90 Euro