Möglichkeiten und Grenzen des Widerstands

Rezensiert von Michael Rutz |
Für Schriftsteller ist das Leben in einer Diktatur besonders heikel. Wie also haben sich jene verhalten, die während der NS-Zeit nicht geflohen sind oder vertrieben wurden? Darum geht es in dem Sammelband, den Frank-Lothar Kroll und Rüdiger von Voss herausgegeben haben.
Auch mehr als 80 Jahre nach dem Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland ist die Debatte um Motive, Möglichkeiten und Grenzen des Widerstandes gegen und in jener Diktatur noch nicht abgeebbt. Dieser Umstand ist heute vor allem deshalb fruchtbar, weil die Erkenntnisse dieser Abteilung der Totalitarismus-Forschung Resistenzen schaffen können gegen erneute Anfälligkeit.

Die Frage etwa, wie Schriftsteller sich im Nationalsozialismus verhielten, wurde bisher weitgehend abgehandelt unter dem Gegensatz Emigration oder Kollaboration. Thomas Mann, Carl Zuckmayer oder Lion Feuchtwanger wählten – wie viele andere – den Weg ins rettende Ausland, als sie sahen, dass die freie Meinungsäußerung unter die Walze des Konformitätsdruckes kam.

Wer blieb, der sollte verstummen, wie etwa Werner Bergengruen, der 1937 aus der Reichsschrifttumskammer mit der in solchen Fällen üblichen Begründung ausgeschlossen wurde,

" … da Sie nicht geeignet sind, durch schriftstellerische Veröffentlichungen am Aufbau der deutschen Kultur mitzuarbeiten."

Aber Literaten wie Bergengruen, Jochen Klepper, Reinhold Schneider, Gertrud Fussenegger, Ernst Wiechert, Gertrud von le Fort, oder Geisteswissenschaftler wie Heinrich Lützeler und andere wollten nicht weichen und suchten nach Wegen, innerhalb des Systems literarisch Positionen des ethischen Widerstands gegen die Nazis und ihre rassistisch unterlegten Allmachtsphantasien aufzubauen. Das war nicht einfach.

Denn während die Exilliteraten in der Schweiz oder Amerika ungefährdet offenen Protest gegen den nationalsozialistischen Terror formulieren und auch publizieren konnten, mussten jene, die geblieben waren, Zwischentöne suchen, mehrdeutige Formulierungen, Metaphern – oder in romanhaften Handlungen den moralischen Appell und das ethische Urteil an Schauplätze in ferne Länder und Zeiten verlegen, um in Deutschland gelesen werden zu können – und nicht am Schafott zu enden.

Um das möglich zu machen, trugen sie nicht selten Lippenbekenntnisse des Lobes für die Nazis zur Schau, ein Schwanken zwischen Gegnerschaft und Anpassung, das heute irritiert und oft die rasche Abstempelung als Nazi-Sympathisant nach sich zieht.

Wie solcher Widerstand gelungen ist, und dass er gelungen ist – davon geben Frank-Lothar Kroll und Rüdiger von Voss Zeugnis, Geschichtsprofessor in Chemnitz der eine, Ehrenvorsitzender des Kuratoriums der Stiftung 20. Juli 1944 der andere. Sie und ihre Mitautoren resümieren in einem faktenreichen Buch diese Form des Widerstandes auf beeindruckende Weise, indem sie sich einfachen Beurteilungs-Schemata verweigern und das Phänomen des kulturellen und intellektuellen Widerstands gegen den Nationalsozialismus differenziert ausleuchten.

Kroll nimmt Werner Bergengruen und Gertrud Fussenegger als Beispiele. Bergengruen lässt 1937 in seiner Novelle "Die drei Falken" als Hauptperson einen Krüppel auftreten und verkörpert in ihm humane Gesinnung und weitherzige Lebensauffassung – ein Signal in Jahren, in denen Hitler sein rassenhygienisches Mordprogramm vorbereitete und schließlich 100.000 Behinderte in den Gaskammern vernichten ließ.

Bergengruens Roman "Der Großtyrann und das Gericht" klassifiziert Frank-Lothar Kroll - neben Reinhold Schneiders "Las Casas vor Karl dem V." - als "das wohl wichtigste Buch der "Inneren Emigration" überhaupt". Der Schriftsteller lässt es zwar im 14. Jahrhundert spielen, aber er will darin berichten, wie er schreibt, "von den Versuchungen der Mächtigen und von der Leichtverführbarkeit der Unmächtigen", weshalb das Buch zu Nazizeiten als Widerstandsliteratur rezipiert wurde.

An entschiedenen Urteilen über die zwischen Widerstand und Anpassung oft unentschiedenen Literaten hat es nicht gefehlt. Das gilt erst recht für Gertrud Fussenegger, die Hitler mit solchen Zeilen besingt:

"Führer des Volkes, dem es gegeben war,
Tränen der Freude zu locken aus lang erblindetem Aug‘,
der die Hand des Bruders legte in Bruders Hand,
der den Müttern stillte die wühlende Sorge der Nacht …"

Sie besingt aber eben nicht nur Hitler, sondern beschreibt auch einen Farbigen in der "Mohrenlegende" von 1937, in der ein ausgestoßenes Kind den drei Königen begegnet und sich brüderlich an den "Mohren" bindet:
"Er war kein Ausgestoßener, kein Fremdling, er gehörte zu den anderen und sie waren einander alle gleich."

Und das 1937, als Fremdenhass und Rassismus in hoher Blüte standen.

"Das Buch muss abgelehnt werden","

… war deshalb auch das Verdikt des "Amtes Schrifttumspflege" bei Alfred Ernst Rosenberg, der über die literarische Gleichschaltung wachte.

In weiteren Kapiteln fasst das Buch gründlich die Diskussion zum Begriff der Inneren Emigration zusammen, unternimmt aber auch einen faszinierenden Spaziergang durch die gesamte, oft katholisch und meist christlich, mithin metaphysisch begründete Literatur dieser Schriftsteller, die oft unter Lebensgefahr ausharrten, Bücher und Zeitschriften publizierten.

Diese Räume der Gefahr waren zugleich Freiräume des Widerstandes, denen sich dieser Sammelband mit großem Erkenntnisgewinn zuwendet. Die rigorose Kritik an den oft versteckten, metaphorischen, verwinkelten literarischen Widerstandsformen gilt meist ihrem Willen zum Kompromiss, dem es an der entscheidenden handgreiflichen Tat gegen die Diktatur mangelte,

"" … so, als könnte der Widerstand und das Widerstehen nur durch den letzten Gang zum Galgen, durch das Todesurteil gerechtfertigt oder gar legitmiert werden","

… schreibt Rüdiger von Voss in seiner Schlussapotheose unter dem Titel "Verborgene Stimmen der Freiheit" zu Recht.

""Wer dies denkt und tut, richtet sich unmittelbar gegen die geistige Substanz dessen, was den Widerstand der Tat erst möglich werden lässt. Denn: Verdrängt und leugnet man den Widerstand aus geistigen Motiven, so entzieht man dem Widerstand seine spirituellen Voraussetzungen.

Man delegitimiert diejenigen, die sich als Bewahrer und Hüter von Freiheit und Recht, der Grundlagen einer menschenwürdigen Ordnung, verstanden und sich selbst entweder nicht zur Tat befähigt fanden oder ein politisch-militärisches Attentat aus grundsätzlichen, besonders glaubensmäßigen Gründen ablehnten, und dies auch deutlich werden ließen."

So ist dieses Buch eine überzeugend gelungene Ehrenrettung der literarischen Inneren Emigration im Dritten Reich - gleichermaßen lehrreich, bedrückend und spannend zu lesen.


Frank-Lothar Kroll/Rüdiger von Voss: Schriftsteller und Widerstand
Facetten und Probleme der »Inneren Emigration«

Wallstein Verlag Göttingen, Januar 2012