Mörder, Tyrann und Realpolitiker
Er gilt als brutaler, verhasster Tyrann: der 1485 gefallene britische König Richard III., dessen Skelett kürzlich unter einem Parkplatz in Leicester gefunden wurde. Der Philologe Andrew Johnston aber sieht in ihm nicht nur einen blutrünstigen Herrscher, sondern auch einen "Realpolitiker in seiner Zeit".
Liane von Billerbeck: "Ohne begründeten Zweifel - es ist Richard" - das war gestern unter Applaus die Mitteilung eines Biochemikers von der Universität Leicester. Nach zahlreichen Laboruntersuchungen konnte man ein unter einem Parkplatz in der mittelenglischen Stadt entdecktes Skelett als das von Richard III. der Öffentlichkeit präsentieren. Ein entfernter Nachfahre, der in 17. Generation von Richards Schwester Anne abstammt, der Tischler Michael Ibsen, hatte seine DNA-Probe abgegeben, die wurde mit dem Gebiss des Skeletts verglichen - voilá, man wusste Bescheid.
Was wir über Richard III. wissen, das haben wir größtenteils aus dem Shakespeare-Stück. Ob und was sich an diesem Bild ändern könnte durch den bestätigten Fund, darüber habe ich vor unserer Sendung mit Andrew Johnston gesprochen, Professor für Englische Philologie von der FU Berlin. Herr Johnston, wer das Stichwort Richard III. in eine Runde wirft, der kriegt meist nicht mehr als den Satz "Ein Pferd, ein Königreich für ein Pferd" als Auszug aus Shakespeares Stück. Gibt es eigentlich dafür Belege?
Andrew Johnston: Das ist eine gute Frage. Ich bin mir dessen selbst nicht sicher. Aber ich muss dazu sagen, das, was Sie vorhin sagten - wir kennen über Richard eigentlich nur das, was wir von Shakespeare kennen, das ist historisch gesehen nicht richtig. Das heißt, die meisten Leute kennen zwar Richard nur über Shakespeare, aber die Historiker wissen über Richard III. sehr gut Bescheid, das heißt, wir können die historische Figur von ihrer literarischen Formung sehr wohl unterscheiden.
von Billerbeck: Hat sich Shakespeare denn nicht auf historische Fakten bezogen?
Johnston: Shakespeare hat sehr bestimmte Quellen benutzt, die unter anderem zurückgehen zum Beispiel auf eine Art propagandistische Biografie, die Sir Thomas More geschrieben hat, also der uns als Thomas Morus bekannte Humanist, und die im Wesentlichen die Propaganda des Hauses Tudor im Auge hatten. Also es geht darum, das neue Königshaus Tudor, das noch immer auf dem Thron saß, als Shakespeare seine ersten Stücke schrieb - und "Richard III." gehört zu seinen ersten oder frühen Stücken -, es ging darum, dieses Haus Tudor zu legitimieren, und Richard III. war ja 1485 in der Schlacht von Bosworth gefallen, in einer Niederlage eben gegen dieses Haus Tudor, das dann auf den Thron kam.
von Billerbeck: Das heißt, das negative Bild, das eines überaus despotischen, brutalen Monarchen, der nicht davor zurückschreckte, Familienangehörige zu ermorden, der die Prinzen in den Tower gesperrt hat - alles Propaganda?
Johnston: Nein, nicht unbedingt alles Propaganda, aber alles gefärbt und zugespitzt auf eine bestimmte Form von Figurencharakterisierung, die bis auf mittelalterliche Vorbilder zurückgeht, auf die sogenannte Vice-Figur, also auf die Allegorie Sünde, und damit nicht so sehr ein Interesse an historischen Fakten oder auch an historischer Analyse, sondern eher ein Interesse an einer bestimmten Form von gezielter moralischer Gestaltung und Negativbewertung, was ja nicht das Gleiche ist. Die historischen Fakten müssen ja anders bewertet werden als das, was wir ja sozusagen einer literarischen Figur unterstellen könnten.
von Billerbeck: Wie sind denn die historischen Fakten? Wie war denn Richard III. wirklich?
Johnston: Formulieren wir es mal so: Das Bild der Historiker oszilliert, aber was eindeutig ist, ist, das Richard III. zu seiner Zeit ein typischer Realpolitiker war in einer Epoche, in der England von Bürgerkriegen geprägt war zwischen hocharistokratischen Gruppierungen, die sogenannten Rosenkriege. Eigentlich kein dauerhafter 30-jähriger Bürgerkrieg, auch wenn das oft sich auf dem Papier so liest, aber ein immer wieder neues Aufflackern von Kämpfen darum, wer die Macht im Lande hatte, und das eskalierte so weit, dass am Ende die monarchische Spitze selbst infrage gestellt wurde, es ging am Ende bei diesen Kriegen darum, wer König sein darf.
Und in dieser Situation sah sich das Land konfrontiert mit einem minderjährigen Thronerben, mit zwei Prinzen, die unter diesen Bedingungen wahrscheinlich das Amt des Königs kaum hätten ausüben können - in ruhigeren Zeiten vielleicht, nicht aber unter dieser Bedingung. Und da ist tatsächlich deren Absetzung, sozusagen unter dem Vorwand, dass die beiden Kinder nicht ehelich waren, dass sie illegitim waren, zwar ein unangenehmes Mittel, aber ein probates Mittel in der Zeit. Die Ermordung dieser Kinder ist natürlich ein Verbrechen - wir können nicht 100 Prozent sagen, ob sie tatsächlich auf Richard III. zurückging, es ist nicht unwahrscheinlich.
Der politische Mord gehörte damals dazu, es ist auf diese Weise nicht zu rechtfertigen, aber es macht ihn nicht zu einem - sagen wir mal, im Vergleich zu anderen Figuren seiner Zeit - bösartigeren oder tyrannischen Herrscher. Es macht ihn allerdings zu einem Herrscher, der, um seine Macht zu sichern, zu in dieser besonderen Situation üblichen Mitteln griff, und der dann das Pech hatte zu verlieren, und die Geschichte wurde dann von den Siegern geschrieben.
von Billerbeck: Wir wissen es, und Sie haben es auch eben erwähnt, dass man auf dem englischen Thron ja nicht zimperlich sein durfte. Trotzdem hat man das Gefühl, dass ausgerechnet Richard III., der ja nur zwei Jahre auf dem Thron saß, zum meistgeschmähten Herrscher in der Geschichte Englands geworden ist. Wie hat er das geschafft?
Johnston: Das hat er ...
von Billerbeck: Oder wie haben das andere geschafft?
Johnston: Das haben andere geschafft, indem sie natürlich zum Beispiel allein die schreckliche Wirbelsäulenverkrümmung ganz stark ins Zentrum gerückt haben. Dieses äußerliche Zeichen körperlicher Gebrechlichkeit wurde auch als moralischer Makel interpretiert, also vielleicht sogar als göttliche Strafe, als Ausdruck seines Charakters, der sich auch physisch manifestiert, das ist natürlich ein gefundenes Fressen für Propagandisten, für Schriftsteller und natürlich für jemanden wie Shakespeare. Dann war natürlich das Problem der Ermordung der beiden Prinzen eines, an dem man nicht vorbeikonnte, und das ist ein Verbrechen - auch wenn wir nicht 100 Prozent sagen können, dass es auf Richard zurückging -, und als solches natürlich ein schreckliches Verbrechen. Und schließlich, was in der Geschichte und der Bewertung von historischen Persönlichkeiten immer wieder auch wichtig ist, die Tatsache der Niederlage - wer verloren hat, muss damit rechnen, dass seine Geschichte geschrieben wird von denen, die gewonnen haben.
von Billerbeck: Der Philologe Andrew Johnston ist mein Gesprächspartner von der Berliner FU, und Richard III. unser Thema. Nun haben wir ein Skelett, dieses Skelett zeigt eine stark verkrümmte Wirbelsäule als Folge einer Skoliose, sagen die Forscher, der König wäre aufgerichtet 1,73 Meter groß gewesen - das ist gar nicht so klein für diese Zeit -, und Shakespeare führt ihn ja in seinem Stück ein mit den Worten: "Ich um dies schöne Ebenmaß verkürzt von der Natur, um Bildung falsch betrogen, entstellt, verwahrlost, und zwar so lahm und ungeziemend, dass Hunde bellen, hink‘ ich wo vorbei."
Er war krumm, das sehen wir an dem Skelett, das uns jetzt präsentiert wurde, aber eben nicht bucklig. Aber im Laufe der Geschichte wurde ihm immer mehr angedichtet: ein Buckel, ein verkrüppelter Arm - hat das auch mit diesem Zeichen des bösen Charakters, den ihm seine Nachfahren angedichtet haben, oder seine Nachfolger auf dem Thron, zu tun?
Johnston: Auf jeden Fall. Wir müssen natürlich nicht davon ausgehen, dass Shakespeare medizinische Kenntnisse hatte, und schon gar nicht - beziehungsweise er hatte medizinische Kenntnisse, aber eben nicht medizinische Kenntnisse, wie wir sie haben, das heißt, es ist unklar, ob er diese Art der Erkrankung von einem Buckel hätte unterscheiden können. Optisch gewiss, aber er hat den Mann ja nie gesehen, er wird einfach nur Berichte gekannt haben, die von jener Verkrümmung des Rückens und von der ungeraden Haltung des Königs sprachen, und auf der Basis ließ sich dann eben diese schwarze Legende entwickeln.
von Billerbeck: Das Skelett, das uns jetzt präsentiert wurde, ist ja erstaunlich gut erhalten - so gut, dass man fast schon wieder misstrauisch werden möchte -, und daran finden sich zehn Hieb- und Stichverletzungen, die nahelegen, dass Richard tatsächlich 1485 mit 32 Jahren im Kampfgetümmel gefallen ist. Allerdings, so sagte das eine Forscherin, seien einige Verletzungen post mortem, also nach dem Tod, zugefügt worden. Das ist nichts anderes als Leichenschändung. Warum ist man so mit ihm umgegangen?
Johnston: Das ist Leichenschändung, in der Tat. Zum einen steckt in dieser Leichenschändung bereits der Versuch, den überwundenen Gegner zu delegitimieren, das heißt, indem die Leiche geschändet wird, wird beispielsweise die Idee eines späteren Martyriums unterminiert, also dass man die Leiche vielleicht irgendwie ausstellt, dass man sie politisch nutzt. Die Schändung ist eine Demütigung, und in dieser Demütigung wird die Verächtlichkeit der Person deutlich, man kann diesem Gegner keine Würde mehr zukommen lassen, und damit wird er ganz klar ausgeschlossen aus dem Kreis derer, die noch Ehre haben und die damit auch selbst über den Tod hinaus politisch als nutzbar gelten. Diese Demütigung hat also eine hohe symbolische und auch politische Wirkkraft.
von Billerbeck: Auch der Fundort dieses Skeletts legt ja nahe, dass der König Richard III. eher verscharrt als beerdigt wurde, nun soll er in der Leicester Cathedral beigesetzt werden. Gehört er Ihrer Meinung nach auch nach Westminster Abbey wie andere Könige?
Johnston: Ich würde sagen, ja. Auf jeden Fall - das ist jetzt eine private Meinung, aber letztlich ist die Frage, ob ein König im Mittelalter legitim war oder nicht, eine, die zu beantworten ist auf der Basis von höchst widersprüchlichen Argumenten. Keiner der englischen Könige im 15. Jahrhundert war nach mittelalterlichen Prinzipien wirklich absolut legitim. Die hatten alle Probleme, was das Erbrecht betraf, weil das Erbrecht eben, sagen wir, verschiedene Möglichkeiten und Interpretationen zuließ, weil es schon vor dem 15. Jahrhundert zu der Absetzung eines legitimen Herrschers gekommen war, sodass alle anderen, die nachfolgten, im Grunde irgendwie immer ihre eigene Rechtmäßigkeit konstruieren mussten.
Der Nachfolger Richards III., also Der Sieger in jenem Bürgerkrieg, Heinrich VII., war einer der am wenigsten legitimen Figuren im Rahmen des damaligen Ordnungs- und Rechtsdenkens. Insofern ist Richard III. zwar in der Schlacht gefallen, aber er wird ja heute noch als König von England gezählt mit seiner Ordnungszahl drei. Alle sagen, alle Historiker akzeptieren ihn für zwischen den Jahren 1483 und 1485 als den König Englands, und somit kommt er natürlich auch infrage für die Westminster Abbey, da ist überhaupt kein Zweifel.
von Billerbeck: Wenn man das alles hört, und wenn man dieses Skelett sieht, das da jetzt uns präsentiert wurde, muss man Richard III. nun anders sehen?
Johnston: Nein, dadurch ändert sich überhaupt nichts. Gewiss, es gab immer eine Gruppe von - es gibt ja sogar einen so kleinen Verein, der immer versucht hat, Richard III. reinzuwaschen oder als Opfer der Geschichtsschreibung darzustellen, und die werden sich natürlich freuen, oder vielleicht werden die sich zum Teil auch nicht freuen, weil sie ja sogar behauptet hatten, er hätte überhaupt keine Verkrümmung gehabt, oder wenn, nur eine kleine -, aber letztlich ändert das nichts.
Richard III. war ein Realpolitiker in seiner Zeit. Er war ein Politiker, der bereit war, über Leichen zu gehen, wenn auch nicht in höherem Maße, als seine Gegner und die letztlichen Sieger das auch taten. Wir wissen, dass er umgekommen ist, wir wissen, wie er umgekommen ist, wir wissen im Wesentlichen, was er während seiner Herrschaft getan hat, auch wenn die Frage mit den Prinzen nie endgültig geklärt wird. All dies wird durch den Fund dieser Leiche überhaupt nicht verändert.
von Billerbeck: Das sagt Andrew Johnston, Philologe an der Freien Universität Berlin, nach dem bestätigten Fund des Skelettes von Richard III. in Leicester.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Forscher analysieren die Knochen von König Richard III. (DKultur)
Was wir über Richard III. wissen, das haben wir größtenteils aus dem Shakespeare-Stück. Ob und was sich an diesem Bild ändern könnte durch den bestätigten Fund, darüber habe ich vor unserer Sendung mit Andrew Johnston gesprochen, Professor für Englische Philologie von der FU Berlin. Herr Johnston, wer das Stichwort Richard III. in eine Runde wirft, der kriegt meist nicht mehr als den Satz "Ein Pferd, ein Königreich für ein Pferd" als Auszug aus Shakespeares Stück. Gibt es eigentlich dafür Belege?
Andrew Johnston: Das ist eine gute Frage. Ich bin mir dessen selbst nicht sicher. Aber ich muss dazu sagen, das, was Sie vorhin sagten - wir kennen über Richard eigentlich nur das, was wir von Shakespeare kennen, das ist historisch gesehen nicht richtig. Das heißt, die meisten Leute kennen zwar Richard nur über Shakespeare, aber die Historiker wissen über Richard III. sehr gut Bescheid, das heißt, wir können die historische Figur von ihrer literarischen Formung sehr wohl unterscheiden.
von Billerbeck: Hat sich Shakespeare denn nicht auf historische Fakten bezogen?
Johnston: Shakespeare hat sehr bestimmte Quellen benutzt, die unter anderem zurückgehen zum Beispiel auf eine Art propagandistische Biografie, die Sir Thomas More geschrieben hat, also der uns als Thomas Morus bekannte Humanist, und die im Wesentlichen die Propaganda des Hauses Tudor im Auge hatten. Also es geht darum, das neue Königshaus Tudor, das noch immer auf dem Thron saß, als Shakespeare seine ersten Stücke schrieb - und "Richard III." gehört zu seinen ersten oder frühen Stücken -, es ging darum, dieses Haus Tudor zu legitimieren, und Richard III. war ja 1485 in der Schlacht von Bosworth gefallen, in einer Niederlage eben gegen dieses Haus Tudor, das dann auf den Thron kam.
von Billerbeck: Das heißt, das negative Bild, das eines überaus despotischen, brutalen Monarchen, der nicht davor zurückschreckte, Familienangehörige zu ermorden, der die Prinzen in den Tower gesperrt hat - alles Propaganda?
Johnston: Nein, nicht unbedingt alles Propaganda, aber alles gefärbt und zugespitzt auf eine bestimmte Form von Figurencharakterisierung, die bis auf mittelalterliche Vorbilder zurückgeht, auf die sogenannte Vice-Figur, also auf die Allegorie Sünde, und damit nicht so sehr ein Interesse an historischen Fakten oder auch an historischer Analyse, sondern eher ein Interesse an einer bestimmten Form von gezielter moralischer Gestaltung und Negativbewertung, was ja nicht das Gleiche ist. Die historischen Fakten müssen ja anders bewertet werden als das, was wir ja sozusagen einer literarischen Figur unterstellen könnten.
von Billerbeck: Wie sind denn die historischen Fakten? Wie war denn Richard III. wirklich?
Johnston: Formulieren wir es mal so: Das Bild der Historiker oszilliert, aber was eindeutig ist, ist, das Richard III. zu seiner Zeit ein typischer Realpolitiker war in einer Epoche, in der England von Bürgerkriegen geprägt war zwischen hocharistokratischen Gruppierungen, die sogenannten Rosenkriege. Eigentlich kein dauerhafter 30-jähriger Bürgerkrieg, auch wenn das oft sich auf dem Papier so liest, aber ein immer wieder neues Aufflackern von Kämpfen darum, wer die Macht im Lande hatte, und das eskalierte so weit, dass am Ende die monarchische Spitze selbst infrage gestellt wurde, es ging am Ende bei diesen Kriegen darum, wer König sein darf.
Und in dieser Situation sah sich das Land konfrontiert mit einem minderjährigen Thronerben, mit zwei Prinzen, die unter diesen Bedingungen wahrscheinlich das Amt des Königs kaum hätten ausüben können - in ruhigeren Zeiten vielleicht, nicht aber unter dieser Bedingung. Und da ist tatsächlich deren Absetzung, sozusagen unter dem Vorwand, dass die beiden Kinder nicht ehelich waren, dass sie illegitim waren, zwar ein unangenehmes Mittel, aber ein probates Mittel in der Zeit. Die Ermordung dieser Kinder ist natürlich ein Verbrechen - wir können nicht 100 Prozent sagen, ob sie tatsächlich auf Richard III. zurückging, es ist nicht unwahrscheinlich.
Der politische Mord gehörte damals dazu, es ist auf diese Weise nicht zu rechtfertigen, aber es macht ihn nicht zu einem - sagen wir mal, im Vergleich zu anderen Figuren seiner Zeit - bösartigeren oder tyrannischen Herrscher. Es macht ihn allerdings zu einem Herrscher, der, um seine Macht zu sichern, zu in dieser besonderen Situation üblichen Mitteln griff, und der dann das Pech hatte zu verlieren, und die Geschichte wurde dann von den Siegern geschrieben.
von Billerbeck: Wir wissen es, und Sie haben es auch eben erwähnt, dass man auf dem englischen Thron ja nicht zimperlich sein durfte. Trotzdem hat man das Gefühl, dass ausgerechnet Richard III., der ja nur zwei Jahre auf dem Thron saß, zum meistgeschmähten Herrscher in der Geschichte Englands geworden ist. Wie hat er das geschafft?
Johnston: Das hat er ...
von Billerbeck: Oder wie haben das andere geschafft?
Johnston: Das haben andere geschafft, indem sie natürlich zum Beispiel allein die schreckliche Wirbelsäulenverkrümmung ganz stark ins Zentrum gerückt haben. Dieses äußerliche Zeichen körperlicher Gebrechlichkeit wurde auch als moralischer Makel interpretiert, also vielleicht sogar als göttliche Strafe, als Ausdruck seines Charakters, der sich auch physisch manifestiert, das ist natürlich ein gefundenes Fressen für Propagandisten, für Schriftsteller und natürlich für jemanden wie Shakespeare. Dann war natürlich das Problem der Ermordung der beiden Prinzen eines, an dem man nicht vorbeikonnte, und das ist ein Verbrechen - auch wenn wir nicht 100 Prozent sagen können, dass es auf Richard zurückging -, und als solches natürlich ein schreckliches Verbrechen. Und schließlich, was in der Geschichte und der Bewertung von historischen Persönlichkeiten immer wieder auch wichtig ist, die Tatsache der Niederlage - wer verloren hat, muss damit rechnen, dass seine Geschichte geschrieben wird von denen, die gewonnen haben.
von Billerbeck: Der Philologe Andrew Johnston ist mein Gesprächspartner von der Berliner FU, und Richard III. unser Thema. Nun haben wir ein Skelett, dieses Skelett zeigt eine stark verkrümmte Wirbelsäule als Folge einer Skoliose, sagen die Forscher, der König wäre aufgerichtet 1,73 Meter groß gewesen - das ist gar nicht so klein für diese Zeit -, und Shakespeare führt ihn ja in seinem Stück ein mit den Worten: "Ich um dies schöne Ebenmaß verkürzt von der Natur, um Bildung falsch betrogen, entstellt, verwahrlost, und zwar so lahm und ungeziemend, dass Hunde bellen, hink‘ ich wo vorbei."
Er war krumm, das sehen wir an dem Skelett, das uns jetzt präsentiert wurde, aber eben nicht bucklig. Aber im Laufe der Geschichte wurde ihm immer mehr angedichtet: ein Buckel, ein verkrüppelter Arm - hat das auch mit diesem Zeichen des bösen Charakters, den ihm seine Nachfahren angedichtet haben, oder seine Nachfolger auf dem Thron, zu tun?
Johnston: Auf jeden Fall. Wir müssen natürlich nicht davon ausgehen, dass Shakespeare medizinische Kenntnisse hatte, und schon gar nicht - beziehungsweise er hatte medizinische Kenntnisse, aber eben nicht medizinische Kenntnisse, wie wir sie haben, das heißt, es ist unklar, ob er diese Art der Erkrankung von einem Buckel hätte unterscheiden können. Optisch gewiss, aber er hat den Mann ja nie gesehen, er wird einfach nur Berichte gekannt haben, die von jener Verkrümmung des Rückens und von der ungeraden Haltung des Königs sprachen, und auf der Basis ließ sich dann eben diese schwarze Legende entwickeln.
von Billerbeck: Das Skelett, das uns jetzt präsentiert wurde, ist ja erstaunlich gut erhalten - so gut, dass man fast schon wieder misstrauisch werden möchte -, und daran finden sich zehn Hieb- und Stichverletzungen, die nahelegen, dass Richard tatsächlich 1485 mit 32 Jahren im Kampfgetümmel gefallen ist. Allerdings, so sagte das eine Forscherin, seien einige Verletzungen post mortem, also nach dem Tod, zugefügt worden. Das ist nichts anderes als Leichenschändung. Warum ist man so mit ihm umgegangen?
Johnston: Das ist Leichenschändung, in der Tat. Zum einen steckt in dieser Leichenschändung bereits der Versuch, den überwundenen Gegner zu delegitimieren, das heißt, indem die Leiche geschändet wird, wird beispielsweise die Idee eines späteren Martyriums unterminiert, also dass man die Leiche vielleicht irgendwie ausstellt, dass man sie politisch nutzt. Die Schändung ist eine Demütigung, und in dieser Demütigung wird die Verächtlichkeit der Person deutlich, man kann diesem Gegner keine Würde mehr zukommen lassen, und damit wird er ganz klar ausgeschlossen aus dem Kreis derer, die noch Ehre haben und die damit auch selbst über den Tod hinaus politisch als nutzbar gelten. Diese Demütigung hat also eine hohe symbolische und auch politische Wirkkraft.
von Billerbeck: Auch der Fundort dieses Skeletts legt ja nahe, dass der König Richard III. eher verscharrt als beerdigt wurde, nun soll er in der Leicester Cathedral beigesetzt werden. Gehört er Ihrer Meinung nach auch nach Westminster Abbey wie andere Könige?
Johnston: Ich würde sagen, ja. Auf jeden Fall - das ist jetzt eine private Meinung, aber letztlich ist die Frage, ob ein König im Mittelalter legitim war oder nicht, eine, die zu beantworten ist auf der Basis von höchst widersprüchlichen Argumenten. Keiner der englischen Könige im 15. Jahrhundert war nach mittelalterlichen Prinzipien wirklich absolut legitim. Die hatten alle Probleme, was das Erbrecht betraf, weil das Erbrecht eben, sagen wir, verschiedene Möglichkeiten und Interpretationen zuließ, weil es schon vor dem 15. Jahrhundert zu der Absetzung eines legitimen Herrschers gekommen war, sodass alle anderen, die nachfolgten, im Grunde irgendwie immer ihre eigene Rechtmäßigkeit konstruieren mussten.
Der Nachfolger Richards III., also Der Sieger in jenem Bürgerkrieg, Heinrich VII., war einer der am wenigsten legitimen Figuren im Rahmen des damaligen Ordnungs- und Rechtsdenkens. Insofern ist Richard III. zwar in der Schlacht gefallen, aber er wird ja heute noch als König von England gezählt mit seiner Ordnungszahl drei. Alle sagen, alle Historiker akzeptieren ihn für zwischen den Jahren 1483 und 1485 als den König Englands, und somit kommt er natürlich auch infrage für die Westminster Abbey, da ist überhaupt kein Zweifel.
von Billerbeck: Wenn man das alles hört, und wenn man dieses Skelett sieht, das da jetzt uns präsentiert wurde, muss man Richard III. nun anders sehen?
Johnston: Nein, dadurch ändert sich überhaupt nichts. Gewiss, es gab immer eine Gruppe von - es gibt ja sogar einen so kleinen Verein, der immer versucht hat, Richard III. reinzuwaschen oder als Opfer der Geschichtsschreibung darzustellen, und die werden sich natürlich freuen, oder vielleicht werden die sich zum Teil auch nicht freuen, weil sie ja sogar behauptet hatten, er hätte überhaupt keine Verkrümmung gehabt, oder wenn, nur eine kleine -, aber letztlich ändert das nichts.
Richard III. war ein Realpolitiker in seiner Zeit. Er war ein Politiker, der bereit war, über Leichen zu gehen, wenn auch nicht in höherem Maße, als seine Gegner und die letztlichen Sieger das auch taten. Wir wissen, dass er umgekommen ist, wir wissen, wie er umgekommen ist, wir wissen im Wesentlichen, was er während seiner Herrschaft getan hat, auch wenn die Frage mit den Prinzen nie endgültig geklärt wird. All dies wird durch den Fund dieser Leiche überhaupt nicht verändert.
von Billerbeck: Das sagt Andrew Johnston, Philologe an der Freien Universität Berlin, nach dem bestätigten Fund des Skelettes von Richard III. in Leicester.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Wie Shakespeare den König zum Monster machte
Forscher analysieren die Knochen von König Richard III. (DKultur)