Mohammed auf Deutsch
Wohl kaum eine heilige Schrift wird von Andersgläubigen so intensiv diskutiert und so wenig gelesen wie der Koran. Das liegt nicht zuletzt an der schweren Verständlichkeit des Textes. Nun legen in Deutschland gleich mehrere Verlage neue Übersetzungen vor.
Der Koran. Das heilige Buch der Muslime, offenbart in arabischer Sprache. Ihn in eine andere Sprache zu übersetzen, galt unter Muslimen über Jahrhunderte hinweg als Sakrileg. Denn der Koran ist nach muslimischer Überzeugung das Wort Gottes, geoffenbart an seinen Gesandten Muhammad:
"Der Koran gilt als unübertroffenes sprachliches Meisterwerk. Das ist eine tief eingewurzelte dogmatische Überzeugung unter Muslimen, und von daher sind sie der Überzeugung, dass es gar nicht möglich ist … die wunderbare Sprache des Korans in irgendeine andere Sprache zu übersetzen."
Hartmut Bobzin, Professor für Islamwissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Dem Dogma von der Unnachahmlichkeit des Koran folgte das von seiner Unübersetzbarkeit. Das Problem war nur: Je mehr sich der Islam ausbreitete und auch Völker erreichte, die keine Arabischkenntnisse hatten, wuchs die Notwendigkeit, den Neumuslimen den Inhalt der Schrift näherzubringen. Aus pragmatischen Gründen ließen die islamischen Rechtsgelehrten nunmehr Übersetzungen zu, die den Originaltext jedoch nie ersetzen durften. Weiterhin galt es als verdienstvolles Werk, den Koran für die liturgischen Handlungen auswendig zu lernen und auf Arabisch zu rezitieren. Die Übersetzer bedienten sich oft eigenwilliger Methoden, um den Gläubigen eine Verständnishilfe zu geben:
"Man kann also an Handschriften sehr schön sehen, dass es alte Koranhandschriften gibt, in denen dann immer die entsprechenden Wortbedeutungen über den arabischen Text geschrieben wurden, ohne dass es einen zusammenhängenden Text gab, also so wie man in Schultexten, in lateinischen Schultexten oder so, sich die Vokabeln darüberschreibt. Das ist der Beginn von Übersetzungen."
Während bei der Verbreitung des Christentums die Übersetzung der Bibel in die jeweilige Volkssprache eine entscheidende Rolle spielte, waren die Koranübersetzungen nur von untergeordneter Bedeutung:
"Es ist dann dazu gekommen, dass man die Sprachregelung bei der Übersetzung dahingehend vorgenommen hat, dass man von einer Übersetzung der Bedeutung des Korans oder der Bedeutungen des Korans oder einer Erklärung der Bedeutung des Korans spricht. Und damit ist gewährleistet, dass der eigentliche arabische Text nicht angetastet wird, aber dass der Benutzer, der gläubige Muslim, der nicht arabischer Muttersprachler ist, eben auch weiß, was steht in diesem Text eigentlich drin."
Der Koran – für Christen lange Zeit ein Buch mit sieben Siegeln. Schon die fremde arabische Sprache, mit einer schwierigen Grammatik und einem enormen Wortschatz ausgestattet, versperrte den Zugang zu dem heiligen Text. Zudem verliefen im Orient zur damaligen Zeit die religiösen Trennlinien schärfer als heute: Muslime und Christen interessierten sich kaum für die heiligen Schriften des anderen. Zu groß war die Rivalität, die nicht zuletzt in den Kreuzzügen zum Ausdruck kam.
Zum ersten Mal wurde der Koran dann in Europa durch die lateinische Übersetzung bekannt, die der Abt Petrus Venerabilis aus Cluny im 12. Jahrhundert in Spanien anfertigen ließ. Sie entstand aus der Erkenntnis heraus, dass der Islam nicht mit Waffengewalt, sondern nur mit der Macht des Wortes zu besiegen sei. Für mehr als 500 Jahre war sie die wichtigste Quelle für die Korankenntnis in der westlichen Christenheit. Erst viel später, im Jahre 1647, erschien in Paris die erste direkte Übersetzung des Korans aus dem Arabischen in eine europäische Volkssprache, das Französische. An der negativen Einstellung gegenüber dem Koran hatte sich jedoch kaum etwas geändert. So schrieb der Übersetzer André du Ryer in seinem Vorwort:
"Dieses Buch ist ein langer Vortrag Gottes, der Engel, und Mohammeds, den dieser falsche Prophet auf allzu plumpe Weise erfunden hat …"
Eine deutsche Übersetzung erschien erstmals 1772, mit dem Titel "Die türkische Bibel, oder der Koran". Auch hier ging es dem Übersetzer Megerlin darum, den Koran als "Lügen- und Fabelbuch" zu denunzieren. Weitere deutsche Übersetzungen folgten, doch spiegelten sich in ihnen stark die dogmatischen Vorbehalte der Kirche wieder. Einzig die Übersetzung des Orientalisten Friedrich Rückert von 1888 bildete hier eine Ausnahme: Rückert versuchte, den Koran sprachlich wie religiös gleichermaßen einfühlsam zu übersetzen.
Die Nacht der Macht
Im Namen Gottes des allbarmherzigen Erbarmers.
Wir sandten ihn hernieder in der Nacht der Macht.
Weißt Du, was ist die Nacht der Macht?
Die Nacht der Macht ist mehr als was
In tausend Monden ward vollbracht.
Die Engel steigen nieder und der Geist in ihr, Auf ihres Herrn Geheiß, alles sei bedacht.
Heil ist sie ganz und Friede, bis der Tag erwacht.
Die schwierige arabische Sprache ist nicht die einzige Hürde, die ein Übersetzer des Koran zu überwinden hat:
"Es ist ein alter arabischer Text. Es ist nicht klassisches Arabisch, sondern vorklassisches Arabisch. … Die besondere Sprachform, seltene Worte, ein sehr lapidarer, also knapper Stil, der oft mit Andeutungen auskommt. Oft ist nicht klar, wer ist eigentlich angeredet, von wem ist die Rede. … Es ist ein Text, der sprachlich eben größte Schwierigkeiten bietet."
Der Koran ist nicht nur hinsichtlich des Stils ein anspruchvoller Text, sondern auch einer, der höchsten ästhetischen und poetischen Ansprüchen standhält:
"Der Koran ist voller Gleichnisse, Bilder, Andeutungen, aber auch Hinweise, die ungeklärt bleiben. Man weiß manchmal nicht, wer angesprochen ist, wo das Subjekt und wo das Objekt ist. Es gibt Fragmente, es gibt Sprünge, sodass man es mit einer Gesamtkomposition zu tun hat, die auch eine gewisse Polyphonie hat. Es gibt nicht nur den Gott, der spricht, sondern es gibt viele Stimmen im Koran. Es gibt Propheten, die sprechen, es gibt Engel, die sprechen, es gibt Andersgläubige, Leugner, aber auch Ungläubige, die dadurch sozusagen zur Sprache gebracht werden."
Ahmad Milad Karimi hat den Koran neu übersetzt; die Übersetzung ist vor wenigen Wochen erschienen. Das Ziel des in Afghanistan geborenen und in Deutschland aufgewachsenen Philosophen und Islamwissenschaftlers war es, dem deutschen Leser den ästhetisch-poetischen Charakter des Koran zu vermitteln. Selbst Menschen, die der arabischen Sprache mächtig sind, haben Schwierigkeiten, den Koran aufgrund seiner komplizierten Struktur und seiner vielen mehrdeutigen Verse zu verstehen. Doch dies ist oft auch gar nicht nötig. Denn der Koran ist ein Text, der sich dem Rezipienten hörend erschließt.
"Der Koran ist kein Lesebuch, wenn ich das so sagen darf, im Unterschied zu den Evangelien, zum Beispiel, oder zur Thora. Der Koran ist ein zu Hörendes. 'Al-Qur'an', das ist das Vorzutragende. Der Prophet hatte keine Tafel vor sich, was er lesen konnte, sondern er hörte. Es ist das Hören, was sozusagen das Koranische ausmacht, sodass in diesem Hören die Gegenwart Gottes nachempfindbar wird, und diese ganz eigene Situation der Offenbarung, der damaligen Offenbarung wird gegenwärtig, wenn die Muslime heute den Koran auf Arabisch vortragen."
Dieses Phänomen, das den eigentlichen Zauber des Korans ausmacht, ergreift auch Muslime, die nicht der arabischen Sprache mächtig sind. Daher ist es schwer, diesen Charakter ins Deutsche zu transportieren:
"Grundsätzlich muss ich sagen, dass ich den Koran hörend übersetzt habe, das heißt, ich habe den koranischen Text mir angehört, immer wieder angehört, einzelne Verse, einzelne Wörter, und nach diesem Gehörten versucht … zu übersetzen."
"Die Bestimmung
Im Namen Gottes, des Barmherzigen, des Erbarmers
Wahrlich, Wir sandten ihn herab in der Nacht der Bestimmung.
Was lässt dich wissen, was ist die Nacht der Bestimmung?
Die Nacht der Bestimmung, ja sie ist herrlicher als tausend Monde.
Die Engel steigen hernieder, und in ihr der Geist, 'mit der Erlaubnis ihres Herrn,
auf jegliches Geheiß.
Friede ist sie, bis hereinbricht die Morgenröte."
Damit hebt sich Karimis Übersetzung ab von anderen deutschen Koranübersetzungen. Besonders in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es vonseiten mehrerer deutscher Wissenschaftler und Philologen Anstrengungen, den Koran ins Deutsche zu übersetzen. Zu den wichtigsten Übertragungen gehört dabei die des Islamwissenschaftlers Rudi Paret. Diese sehr wissenschaftlich angelegte Übertragung bedient sich einer äußerst nüchternen Sprache, die nur wenig von der sprachlichen Schönheit und der religiösen Tiefgründigkeit des Originals erahnen lässt. Dennoch galt sie über Jahre hinweg als die maßgebliche Übersetzung. So schrieb der Arabist und Koranexperte Helmut Gätje einst über sie:
"Parets Übersetzung ist deshalb von Bedeutung, weil sie erstmals vollen Ernst mit dem Gedanken macht, dass man den Koran als historisches Dokument aus sich selbst interpretieren muss. Paret hat daher den ganzen Koran systematisch auf Parallelstellen durchforscht und diese neben dem Material einheimischer Kommentare ausgewertet. Der Form nach ist die Übersetzung in ein leicht kommentierendes Gewand gekleidet, und zwar dergestalt, dass dem Leser durch Klammerzusätze verschiedenen Umfanges über den sprachlichen Ausdruck hinaus das Gemeinte deutlich gemacht wird."
Es sind vor allem diese in Klammern gesetzten sprachlich bedingten Erweiterungen, die einen kontinuierlichen Zugang zum Text erschweren:
"Die Bestimmung
Wir haben ihn (das heißt den Koran) in der Nacht der Bestimmung hinabgesandt.
Aber wie kannst Du wissen, was die Nacht der Bestimmung ist?
Die Nacht der Bestimmung ist besser als tausend Monate.
Die Engel und der Geist kommen in ihr mit der Erlaubnis ihres Herrn herab, lauter (Logos)wesen.
Sie ist (voller) Heil (und Segen), bis die Morgenröte sichtbar wird (wörtlich: aufgeht)."
Die erste Übertragung des Korans aus der Feder eines deutschsprachigen Muslims stammt aus dem Jahre 1996 von Ahmad von Denffer. Es folgten im Laufe der Jahre Übersetzungen von den in Deutschland lebenden Muslimen Muhammad Ahmad Rassoul, Fatima Grimm und Amir Zaidan. Diese Übersetzungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie zentrale theologische Begriffe in ihrer arabischen Form stehen lassen, wie beispielsweise das Wort "Al-Qadr" für "Das Schicksal" in der Übersetzung des Ägypters Muhammad Ahmad Rassoul:
"Die Bestimmung (al-Qadr)
Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen!
Wahrlich, Wir haben ihn hinabgesandt in der Nacht von al-Qadr.
Und was lehrt dich wissen, was die Nacht von al-Qadr ist.
Die Nacht von al-Qadr ist besser als tausend Monate.
In ihr steigen die Engel und Gabriel herab mit der Erlaubnis ihres Herrn zu jeglichem Geheiß.
Frieden ist sie bis zum Anbruch der Morgenröte."
Ergänzt werden die Ausgaben dieser Koranübertragungen durch den arabischen Urtext sowie einem Kommentar. Der Islamwissenschaftler Hartmut Bobzin lehnt diese Methode aber ab:
"Es verstößt auch im Grunde genommen gegen den Geist einer Übersetzung, die ja alles in irgendeiner Weise explizit machen soll. Wenn ich jetzt statt Gläubiger 'Mumin’ schreibe, oder 'Mu’min’, wie es korrekt heißt, dann ist eigentlich von vorneherein klar, diese Übersetzung ist nur für einen Leser, der schon einen Verstehenshorizont hat, in den er das einordnen kann. Für den normalen Leser ist das nichts, der wird eher abgeschreckt. Und damit verfehlt eigentlich die Übersetzung ihr Ziel."
Den Christen den Zugang zum Koran zu ermöglichen, dies ist die Intention des Religionswissenschaftlers Adel Theodor Khoury aus Münster. Sie versucht, sprachlich zu vermitteln und stützt sich auf vertraute Formulierungen:
"Ich setze diese Arbeit in den Rahmen meiner langjährigen Bemühung um den Dialog zwischen Christen und Muslimen. Das ist also mehr ein Dienst an den Christen. Die sollen wissen, was das heilige Buch des Islams beinhaltet. Wenn man das nicht kennt, hat man keine ausreichende Grundlage für einen fruchtbaren und erfolgreichen Dialog."
Die Übersetzung des gebürtigen christlichen Libanesen, die 1987 erstmals veröffentlicht wurde, gilt vielen Lesern heute noch als die beste und sprachlich modernste, versucht sie doch, den Geist des Korans einzufangen. Auch unter Muslimen genießt sie große Wertschätzung:
"Ich versuche, mit den Augen eines gläubigen Muslims den Koran zu lesen und seine Tradition in Betracht zu ziehen. Wenn ein Text da ist, der mehrere Interpretationen zulässt, schaue ich, was die großen Gelehrten des Islams, wie sie diesen Text verstanden haben, und ich übernehme ihre Erklärung."
"Die Bestimmung (al-Qadr)
Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen.
Wir haben ihn in der Nacht der Bestimmung hinabgesandt.
Woher sollst du wissen, was die Nacht der Bestimmung ist?
Die Nacht der Bestimmung ist besser als tausend Monate.
Die Engel und der Geist kommen in ihr mit der Erlaubnis ihres Herrn herab mit jedem Anliegen.
Voller Frieden ist sie bis zum Aufgang der Morgenröte."
Auch nach Jahrhunderten übt der Koran auf Nichtmuslime eine ungebrochene Faszination aus. Nach den Anschlägen des 11. September stieg in den deutschen Buchhandlungen die Nachfrage nach Kopien von Koranübersetzungen, verbunden mit der Hoffnung, durch die Lektüre mehr über diese fremde und oft unheimlich anmutende Religion und ihre Gläubigen zu erfahren. Und das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" titelte in der Ausgabe vom 24.12.2007: "Der Koran – Das mächtigste Buch der Welt". Mittlerweile sind Übersetzungen des Koran schon im Internet abrufbar. Doch im Gegensatz zur Bibel ist der Koran kein Buch, das sich dem Leser leicht erschließt, egal, ob er Muslim ist oder nicht. Deshalb empfiehlt der Wissenschaftler Adel Theodor Khoury:
"Bevor Sie den Koran lesen, lesen sie eine gute Einführung in den Islam, in die Themen des Islam, in seinen Glauben, in seine religiöse Praxis, und dann versuchen Sie, den Koran zu lesen, dann haben Sie wenigstens einen Rahmen zum Verständnis dessen, was im Koran ist. Das ist also eine wichtige Sache."
"Der Koran gilt als unübertroffenes sprachliches Meisterwerk. Das ist eine tief eingewurzelte dogmatische Überzeugung unter Muslimen, und von daher sind sie der Überzeugung, dass es gar nicht möglich ist … die wunderbare Sprache des Korans in irgendeine andere Sprache zu übersetzen."
Hartmut Bobzin, Professor für Islamwissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Dem Dogma von der Unnachahmlichkeit des Koran folgte das von seiner Unübersetzbarkeit. Das Problem war nur: Je mehr sich der Islam ausbreitete und auch Völker erreichte, die keine Arabischkenntnisse hatten, wuchs die Notwendigkeit, den Neumuslimen den Inhalt der Schrift näherzubringen. Aus pragmatischen Gründen ließen die islamischen Rechtsgelehrten nunmehr Übersetzungen zu, die den Originaltext jedoch nie ersetzen durften. Weiterhin galt es als verdienstvolles Werk, den Koran für die liturgischen Handlungen auswendig zu lernen und auf Arabisch zu rezitieren. Die Übersetzer bedienten sich oft eigenwilliger Methoden, um den Gläubigen eine Verständnishilfe zu geben:
"Man kann also an Handschriften sehr schön sehen, dass es alte Koranhandschriften gibt, in denen dann immer die entsprechenden Wortbedeutungen über den arabischen Text geschrieben wurden, ohne dass es einen zusammenhängenden Text gab, also so wie man in Schultexten, in lateinischen Schultexten oder so, sich die Vokabeln darüberschreibt. Das ist der Beginn von Übersetzungen."
Während bei der Verbreitung des Christentums die Übersetzung der Bibel in die jeweilige Volkssprache eine entscheidende Rolle spielte, waren die Koranübersetzungen nur von untergeordneter Bedeutung:
"Es ist dann dazu gekommen, dass man die Sprachregelung bei der Übersetzung dahingehend vorgenommen hat, dass man von einer Übersetzung der Bedeutung des Korans oder der Bedeutungen des Korans oder einer Erklärung der Bedeutung des Korans spricht. Und damit ist gewährleistet, dass der eigentliche arabische Text nicht angetastet wird, aber dass der Benutzer, der gläubige Muslim, der nicht arabischer Muttersprachler ist, eben auch weiß, was steht in diesem Text eigentlich drin."
Der Koran – für Christen lange Zeit ein Buch mit sieben Siegeln. Schon die fremde arabische Sprache, mit einer schwierigen Grammatik und einem enormen Wortschatz ausgestattet, versperrte den Zugang zu dem heiligen Text. Zudem verliefen im Orient zur damaligen Zeit die religiösen Trennlinien schärfer als heute: Muslime und Christen interessierten sich kaum für die heiligen Schriften des anderen. Zu groß war die Rivalität, die nicht zuletzt in den Kreuzzügen zum Ausdruck kam.
Zum ersten Mal wurde der Koran dann in Europa durch die lateinische Übersetzung bekannt, die der Abt Petrus Venerabilis aus Cluny im 12. Jahrhundert in Spanien anfertigen ließ. Sie entstand aus der Erkenntnis heraus, dass der Islam nicht mit Waffengewalt, sondern nur mit der Macht des Wortes zu besiegen sei. Für mehr als 500 Jahre war sie die wichtigste Quelle für die Korankenntnis in der westlichen Christenheit. Erst viel später, im Jahre 1647, erschien in Paris die erste direkte Übersetzung des Korans aus dem Arabischen in eine europäische Volkssprache, das Französische. An der negativen Einstellung gegenüber dem Koran hatte sich jedoch kaum etwas geändert. So schrieb der Übersetzer André du Ryer in seinem Vorwort:
"Dieses Buch ist ein langer Vortrag Gottes, der Engel, und Mohammeds, den dieser falsche Prophet auf allzu plumpe Weise erfunden hat …"
Eine deutsche Übersetzung erschien erstmals 1772, mit dem Titel "Die türkische Bibel, oder der Koran". Auch hier ging es dem Übersetzer Megerlin darum, den Koran als "Lügen- und Fabelbuch" zu denunzieren. Weitere deutsche Übersetzungen folgten, doch spiegelten sich in ihnen stark die dogmatischen Vorbehalte der Kirche wieder. Einzig die Übersetzung des Orientalisten Friedrich Rückert von 1888 bildete hier eine Ausnahme: Rückert versuchte, den Koran sprachlich wie religiös gleichermaßen einfühlsam zu übersetzen.
Die Nacht der Macht
Im Namen Gottes des allbarmherzigen Erbarmers.
Wir sandten ihn hernieder in der Nacht der Macht.
Weißt Du, was ist die Nacht der Macht?
Die Nacht der Macht ist mehr als was
In tausend Monden ward vollbracht.
Die Engel steigen nieder und der Geist in ihr, Auf ihres Herrn Geheiß, alles sei bedacht.
Heil ist sie ganz und Friede, bis der Tag erwacht.
Die schwierige arabische Sprache ist nicht die einzige Hürde, die ein Übersetzer des Koran zu überwinden hat:
"Es ist ein alter arabischer Text. Es ist nicht klassisches Arabisch, sondern vorklassisches Arabisch. … Die besondere Sprachform, seltene Worte, ein sehr lapidarer, also knapper Stil, der oft mit Andeutungen auskommt. Oft ist nicht klar, wer ist eigentlich angeredet, von wem ist die Rede. … Es ist ein Text, der sprachlich eben größte Schwierigkeiten bietet."
Der Koran ist nicht nur hinsichtlich des Stils ein anspruchvoller Text, sondern auch einer, der höchsten ästhetischen und poetischen Ansprüchen standhält:
"Der Koran ist voller Gleichnisse, Bilder, Andeutungen, aber auch Hinweise, die ungeklärt bleiben. Man weiß manchmal nicht, wer angesprochen ist, wo das Subjekt und wo das Objekt ist. Es gibt Fragmente, es gibt Sprünge, sodass man es mit einer Gesamtkomposition zu tun hat, die auch eine gewisse Polyphonie hat. Es gibt nicht nur den Gott, der spricht, sondern es gibt viele Stimmen im Koran. Es gibt Propheten, die sprechen, es gibt Engel, die sprechen, es gibt Andersgläubige, Leugner, aber auch Ungläubige, die dadurch sozusagen zur Sprache gebracht werden."
Ahmad Milad Karimi hat den Koran neu übersetzt; die Übersetzung ist vor wenigen Wochen erschienen. Das Ziel des in Afghanistan geborenen und in Deutschland aufgewachsenen Philosophen und Islamwissenschaftlers war es, dem deutschen Leser den ästhetisch-poetischen Charakter des Koran zu vermitteln. Selbst Menschen, die der arabischen Sprache mächtig sind, haben Schwierigkeiten, den Koran aufgrund seiner komplizierten Struktur und seiner vielen mehrdeutigen Verse zu verstehen. Doch dies ist oft auch gar nicht nötig. Denn der Koran ist ein Text, der sich dem Rezipienten hörend erschließt.
"Der Koran ist kein Lesebuch, wenn ich das so sagen darf, im Unterschied zu den Evangelien, zum Beispiel, oder zur Thora. Der Koran ist ein zu Hörendes. 'Al-Qur'an', das ist das Vorzutragende. Der Prophet hatte keine Tafel vor sich, was er lesen konnte, sondern er hörte. Es ist das Hören, was sozusagen das Koranische ausmacht, sodass in diesem Hören die Gegenwart Gottes nachempfindbar wird, und diese ganz eigene Situation der Offenbarung, der damaligen Offenbarung wird gegenwärtig, wenn die Muslime heute den Koran auf Arabisch vortragen."
Dieses Phänomen, das den eigentlichen Zauber des Korans ausmacht, ergreift auch Muslime, die nicht der arabischen Sprache mächtig sind. Daher ist es schwer, diesen Charakter ins Deutsche zu transportieren:
"Grundsätzlich muss ich sagen, dass ich den Koran hörend übersetzt habe, das heißt, ich habe den koranischen Text mir angehört, immer wieder angehört, einzelne Verse, einzelne Wörter, und nach diesem Gehörten versucht … zu übersetzen."
"Die Bestimmung
Im Namen Gottes, des Barmherzigen, des Erbarmers
Wahrlich, Wir sandten ihn herab in der Nacht der Bestimmung.
Was lässt dich wissen, was ist die Nacht der Bestimmung?
Die Nacht der Bestimmung, ja sie ist herrlicher als tausend Monde.
Die Engel steigen hernieder, und in ihr der Geist, 'mit der Erlaubnis ihres Herrn,
auf jegliches Geheiß.
Friede ist sie, bis hereinbricht die Morgenröte."
Damit hebt sich Karimis Übersetzung ab von anderen deutschen Koranübersetzungen. Besonders in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es vonseiten mehrerer deutscher Wissenschaftler und Philologen Anstrengungen, den Koran ins Deutsche zu übersetzen. Zu den wichtigsten Übertragungen gehört dabei die des Islamwissenschaftlers Rudi Paret. Diese sehr wissenschaftlich angelegte Übertragung bedient sich einer äußerst nüchternen Sprache, die nur wenig von der sprachlichen Schönheit und der religiösen Tiefgründigkeit des Originals erahnen lässt. Dennoch galt sie über Jahre hinweg als die maßgebliche Übersetzung. So schrieb der Arabist und Koranexperte Helmut Gätje einst über sie:
"Parets Übersetzung ist deshalb von Bedeutung, weil sie erstmals vollen Ernst mit dem Gedanken macht, dass man den Koran als historisches Dokument aus sich selbst interpretieren muss. Paret hat daher den ganzen Koran systematisch auf Parallelstellen durchforscht und diese neben dem Material einheimischer Kommentare ausgewertet. Der Form nach ist die Übersetzung in ein leicht kommentierendes Gewand gekleidet, und zwar dergestalt, dass dem Leser durch Klammerzusätze verschiedenen Umfanges über den sprachlichen Ausdruck hinaus das Gemeinte deutlich gemacht wird."
Es sind vor allem diese in Klammern gesetzten sprachlich bedingten Erweiterungen, die einen kontinuierlichen Zugang zum Text erschweren:
"Die Bestimmung
Wir haben ihn (das heißt den Koran) in der Nacht der Bestimmung hinabgesandt.
Aber wie kannst Du wissen, was die Nacht der Bestimmung ist?
Die Nacht der Bestimmung ist besser als tausend Monate.
Die Engel und der Geist kommen in ihr mit der Erlaubnis ihres Herrn herab, lauter (Logos)wesen.
Sie ist (voller) Heil (und Segen), bis die Morgenröte sichtbar wird (wörtlich: aufgeht)."
Die erste Übertragung des Korans aus der Feder eines deutschsprachigen Muslims stammt aus dem Jahre 1996 von Ahmad von Denffer. Es folgten im Laufe der Jahre Übersetzungen von den in Deutschland lebenden Muslimen Muhammad Ahmad Rassoul, Fatima Grimm und Amir Zaidan. Diese Übersetzungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie zentrale theologische Begriffe in ihrer arabischen Form stehen lassen, wie beispielsweise das Wort "Al-Qadr" für "Das Schicksal" in der Übersetzung des Ägypters Muhammad Ahmad Rassoul:
"Die Bestimmung (al-Qadr)
Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen!
Wahrlich, Wir haben ihn hinabgesandt in der Nacht von al-Qadr.
Und was lehrt dich wissen, was die Nacht von al-Qadr ist.
Die Nacht von al-Qadr ist besser als tausend Monate.
In ihr steigen die Engel und Gabriel herab mit der Erlaubnis ihres Herrn zu jeglichem Geheiß.
Frieden ist sie bis zum Anbruch der Morgenröte."
Ergänzt werden die Ausgaben dieser Koranübertragungen durch den arabischen Urtext sowie einem Kommentar. Der Islamwissenschaftler Hartmut Bobzin lehnt diese Methode aber ab:
"Es verstößt auch im Grunde genommen gegen den Geist einer Übersetzung, die ja alles in irgendeiner Weise explizit machen soll. Wenn ich jetzt statt Gläubiger 'Mumin’ schreibe, oder 'Mu’min’, wie es korrekt heißt, dann ist eigentlich von vorneherein klar, diese Übersetzung ist nur für einen Leser, der schon einen Verstehenshorizont hat, in den er das einordnen kann. Für den normalen Leser ist das nichts, der wird eher abgeschreckt. Und damit verfehlt eigentlich die Übersetzung ihr Ziel."
Den Christen den Zugang zum Koran zu ermöglichen, dies ist die Intention des Religionswissenschaftlers Adel Theodor Khoury aus Münster. Sie versucht, sprachlich zu vermitteln und stützt sich auf vertraute Formulierungen:
"Ich setze diese Arbeit in den Rahmen meiner langjährigen Bemühung um den Dialog zwischen Christen und Muslimen. Das ist also mehr ein Dienst an den Christen. Die sollen wissen, was das heilige Buch des Islams beinhaltet. Wenn man das nicht kennt, hat man keine ausreichende Grundlage für einen fruchtbaren und erfolgreichen Dialog."
Die Übersetzung des gebürtigen christlichen Libanesen, die 1987 erstmals veröffentlicht wurde, gilt vielen Lesern heute noch als die beste und sprachlich modernste, versucht sie doch, den Geist des Korans einzufangen. Auch unter Muslimen genießt sie große Wertschätzung:
"Ich versuche, mit den Augen eines gläubigen Muslims den Koran zu lesen und seine Tradition in Betracht zu ziehen. Wenn ein Text da ist, der mehrere Interpretationen zulässt, schaue ich, was die großen Gelehrten des Islams, wie sie diesen Text verstanden haben, und ich übernehme ihre Erklärung."
"Die Bestimmung (al-Qadr)
Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen.
Wir haben ihn in der Nacht der Bestimmung hinabgesandt.
Woher sollst du wissen, was die Nacht der Bestimmung ist?
Die Nacht der Bestimmung ist besser als tausend Monate.
Die Engel und der Geist kommen in ihr mit der Erlaubnis ihres Herrn herab mit jedem Anliegen.
Voller Frieden ist sie bis zum Aufgang der Morgenröte."
Auch nach Jahrhunderten übt der Koran auf Nichtmuslime eine ungebrochene Faszination aus. Nach den Anschlägen des 11. September stieg in den deutschen Buchhandlungen die Nachfrage nach Kopien von Koranübersetzungen, verbunden mit der Hoffnung, durch die Lektüre mehr über diese fremde und oft unheimlich anmutende Religion und ihre Gläubigen zu erfahren. Und das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" titelte in der Ausgabe vom 24.12.2007: "Der Koran – Das mächtigste Buch der Welt". Mittlerweile sind Übersetzungen des Koran schon im Internet abrufbar. Doch im Gegensatz zur Bibel ist der Koran kein Buch, das sich dem Leser leicht erschließt, egal, ob er Muslim ist oder nicht. Deshalb empfiehlt der Wissenschaftler Adel Theodor Khoury:
"Bevor Sie den Koran lesen, lesen sie eine gute Einführung in den Islam, in die Themen des Islam, in seinen Glauben, in seine religiöse Praxis, und dann versuchen Sie, den Koran zu lesen, dann haben Sie wenigstens einen Rahmen zum Verständnis dessen, was im Koran ist. Das ist also eine wichtige Sache."