Moleküle in der Netzhaut dienen als Kompass für Zugvögel
Zugvögel orientieren sich bei ihrem Flug in den Süden an Magnetfeldern. Dabei bringe ein Gehirnbereich im Sehzentrum "den magnetischen" Kompass zum Funktionen, sagt Henrik Mouritsen vom Institut für Biologie und Umweltwissenschaften Universität Oldenburg über die neuesten Erkenntnisse seines Forschungsteams.
Ulrike Timm: Derzeit fliegen sie wieder ins Winterquartier, die Zugvögel. Viele Vogelliebhaber fahren weite Strecken, um die Kraniche rasten zu sehen, staunen über das Phänomen des Vogelzugs. Wie machen die das bloß, wie finden sie den Weg? Dieses Geheimnis scheint jetzt ein bisschen mehr gelüftet zu sein.
Am Telefon ist Professor Henrik Mouritsen von der Universität Oldenburg. Schönen guten Tag!
Henrik Mouritsen: Guten Tag!
Timm: Herr Mouritsen, wie machen die das? Haben Sie den Kompass gefunden?
Moursitsen: Ja, den Kompass schon, die Karte allerdings nicht. Also, diese Geschichte, wie sie den Baum wiederfinden, dazu brauchen Sie mehr als nur einen Kompass, und dieses Problem haben wir nicht gelüftet sozusagen. Was wir aber gemacht haben, ist, dass wir einen Gehirnbereich identifiziert haben, mit denen die Vögel den magnetischen Kompass zum Funktionieren bringen sozusagen, also, wo die magnetische Information im Gehirn verarbeitet wird.
Timm: Dieser Bereich liegt im Sehzentrum. Kann man sich denn irgendwie vorstellen, wie das geht? Die Vögel können das Magnetfeld irgendwie wahrnehmen. Wie machen sie das? Sehen sie Farben, Formen, was sehen die da?
Moursitsen: Wir wissen noch nicht genau, was sie sehen, aber das ist sehr wahrscheinlich, weil es eben ein visueller Gehirnbereich ist, dass die Vögel regelrecht die Referenzrichtung des Magnetfeldes sehen.
Timm: Wie haben sie denn das gefunden?
Moursitsen: Wir haben Orientierungsexperimente mit Zugvögeln gemacht, in denen wir einige einer kleinen Operation unterzogen hatten, wo wir diesen Gehirnbereich, den wir zusammen mit einem Kollegen aus den USA 2004 gefunden hatten, den haben wir ausgeschaltet, so dass es nicht funktionierte. Und dann haben wir Orientierungsexperimente mit den Vögeln gemacht, und dadurch konnte man sehen, dass der magnetische Kompass, wenn man diese Operation macht, nicht mehr funktioniert. Allerdings funktioniert der Sternenkompass und der Sonnenkompass genauso gut wie vorher.
Timm: Heißt das, die Vögel haben dann die Grobrichtung nach der Sonne gefunden, aber konnten nicht mehr fein landen?
Moursitsen: Nein, das sind drei ganz verschiedene Sachen. Wir haben in einem Experiment ihnen nur Sonneinformationen gegeben, dann orientieren sie sich richtig. Dann haben wir sie in ein kleines Planetarium eingebracht und haben ihnen nur Sterneninformationen zur Verfügung gestellt, dann orientieren sie sich auch. Und dann haben wir sie in eine Holzhütte reingesetzt, wo Sterne und Sonne nicht zur Verfügung standen, sondern nur das Magnetfeld, und da können sie sich nicht mehr orientieren. Wenn ich allerdings eine Scheinoperation mache, also, ich mache die gleiche Operation, aber ich inaktiviere nichts, dann orientieren sie sich perfekt in dieser Holzhütte.
Timm: Und dann haben Sie die Informationen zusammengebracht und diese kleine Hirnregion bei Zugvögeln gefunden, die ihnen die Navigation ermöglicht. Ist denn das schon die Erklärung dafür, warum die Vögel nicht nur an einen bestimmten Ort zurückfinden, sogar auf ein bestimmtes Dach?
Moursitsen: Nein, das kann es mit Sicherheit nicht erklären, weil mit so einem Kompass findet man ja nur die grobe Richtung sozusagen, und wenn man das mit einem Kalenderprogramm kombiniert, wo man also weiß, man muss zum Beispiel drei Wochen in die Richtung fliegen und dann nachher zwei Wochen in eine andere Richtung fliegen, dann kommt man ungefähr korrekt an. Aber das ist nur der Langstreckennavigationsteil von so einem Zugvogelflug. Man muss aber auch dann eine genaue Zielfindung einbauen, allerdings bauen die Vögel diesen Teil des Navigationssystems nur an, wenn sie schon den Weg einmal geflogen sind. Also, das erste Mal fliegen sie ja nicht einen bestimmten Baum in Afrika an, aber während des ersten Zuges lernen sie den Weg, und kann dann die genauen Orte wiederfinden in späteren Zügen.
Timm: Das heißt, auch für den Neurosensologen und Zugvogelexperten Henrik Mouritsen bleiben noch viele Geheimnisse?
Moursitsen: Es gibt viele Geheimnisse.
Timm: Jenseits des Erkenntnisgewinns, über den man ja jetzt schon staunt – ist das neue Wissen auch nützlich?
Moursitsen: Ja, es gibt zwei Hauptnutzen von diesem, erstens ist es so, dass es sehr viele bedrohte Zugvögelarten gibt, und man möchte oft versuchen, die in einer neuen Heimat anzusiedeln, weil die ursprüngliche Heimat zerstört ist oder gestört wird, und wenn man so Versetzungen versucht, dann ist es normalerweise so, dass die Vögel sind schneller zurück als die Wissenschaftler, weil die Vögel wissen: Ich gehöre nicht dahin, wo sie hingefrachtet worden sind, wenn sie Zugvögel sind. Und ich glaube, dass der einzige Weg, das erfolgreich zu tun, ist, dass, wenn man die Navigationssysteme gut kennt, dann kann man die vielleicht während der Versetzung dieses Magnetfeld manipulieren zum Beispiel, so, dass sie nicht denken, dass sie verfrachtet worden sind. Oder man versteht, wie sich das entwickelt und man verfrachtet dann die Vögel in einem bestimmten Alter, bevor sie identifiziert haben, was ihre Heimat ist. Dieses Grundlagenwissen, was wir rausfinden, wird auch in der nature conversation, also Naturschutz, eine wichtige Rolle spielen, denn oft machen Naturschützer manchmal Dinge, die ohne wissenschaftliche Grundlage sind. Und das versuchen wir, ihnen zu helfen, die wissenschaftlichen Grundlagen zu schaffen, dass man eine größere Chance auf Erfolg hat.
Timm: Kann denn dieser innere Navigator der Vögel auch dadurch durcheinandergeraten, dass sich die Umwelt verändert oder das Klima?
Moursitsen: Die Klimaveränderungen spielen eher eine Rolle in dieser Zerstörung der Habitate sozusagen oder der Änderung der Habitate, so dass bestimmte Arten nicht mehr so gut da leben können. Da kann es vielleicht irgendwo anders leben, aber wenn das Navigationssystem ihm sagt, dass er nicht da hinfliegen soll, dann kann es ein Problem sein.
Timm: Professor Henrik Mouritsen, jetzt haben Sie einen Stein des Geheimnisses des Vogelflugs gelüftet. Was ist denn Ihr nächstes Ziel?
Moursitsen: Das nächste Ziel ist, zu verstehen, wie der molekulare Mechanismus ist, weil der wichtige … Warum das wichtig ist, ist, dass man hat diese ganze Diskussion über elektromagnetische Felder, ob die auch schlecht für die Menschen sind und so weiter. Im Moment guckt man so ein bisschen in Blinde, man hat keinen guten Grund, nach zum Beispiel Krebserkrankungen zu gucken, was man oft tut. Wenn wir aber jetzt verstehen, wie Magnetfelder, auch sehr schwache Magnetfelder, biologisches tissue in Englisch, …
Timm: … biologisches Material.
Moursitsen: … ja, biologisches Material beeinflussen können, also, wie es Moleküle und Neurone beeinflussen können, dann können wir in Menschen gucken, ob nicht da ähnliche Moleküle vorhanden sind, und das wissen wir schon, dass es da ähnliche Moleküle und Strukturen gibt. Und dann würde man genau nach Prozessen, wo ähnliche Moleküle in den Menschen beteiligt sind, gucken, ob diese elektromagnetischen Felder – zum Beispiel von Radiowellen oder von Handys oder von bildgebenden Verfahren in der Medizin –, ob die vielleicht an solche Prozessen ein Problem sein könnte. Im Moment gibt es keine gute Evidenz dafür.
Timm: Und dann könnten die Zugvögel in ferner Zukunft für den Menschen noch einmal nützlich sein. Ein großes Molekül, um das Geheimnis des Vogelzugs zu klären, hat Professor Henrik Mouritsen zusammen mit seinen Kollegen an der Universität Oldenburg gefunden. Vielen herzlichen Dank für das Gespräch!
Am Telefon ist Professor Henrik Mouritsen von der Universität Oldenburg. Schönen guten Tag!
Henrik Mouritsen: Guten Tag!
Timm: Herr Mouritsen, wie machen die das? Haben Sie den Kompass gefunden?
Moursitsen: Ja, den Kompass schon, die Karte allerdings nicht. Also, diese Geschichte, wie sie den Baum wiederfinden, dazu brauchen Sie mehr als nur einen Kompass, und dieses Problem haben wir nicht gelüftet sozusagen. Was wir aber gemacht haben, ist, dass wir einen Gehirnbereich identifiziert haben, mit denen die Vögel den magnetischen Kompass zum Funktionieren bringen sozusagen, also, wo die magnetische Information im Gehirn verarbeitet wird.
Timm: Dieser Bereich liegt im Sehzentrum. Kann man sich denn irgendwie vorstellen, wie das geht? Die Vögel können das Magnetfeld irgendwie wahrnehmen. Wie machen sie das? Sehen sie Farben, Formen, was sehen die da?
Moursitsen: Wir wissen noch nicht genau, was sie sehen, aber das ist sehr wahrscheinlich, weil es eben ein visueller Gehirnbereich ist, dass die Vögel regelrecht die Referenzrichtung des Magnetfeldes sehen.
Timm: Wie haben sie denn das gefunden?
Moursitsen: Wir haben Orientierungsexperimente mit Zugvögeln gemacht, in denen wir einige einer kleinen Operation unterzogen hatten, wo wir diesen Gehirnbereich, den wir zusammen mit einem Kollegen aus den USA 2004 gefunden hatten, den haben wir ausgeschaltet, so dass es nicht funktionierte. Und dann haben wir Orientierungsexperimente mit den Vögeln gemacht, und dadurch konnte man sehen, dass der magnetische Kompass, wenn man diese Operation macht, nicht mehr funktioniert. Allerdings funktioniert der Sternenkompass und der Sonnenkompass genauso gut wie vorher.
Timm: Heißt das, die Vögel haben dann die Grobrichtung nach der Sonne gefunden, aber konnten nicht mehr fein landen?
Moursitsen: Nein, das sind drei ganz verschiedene Sachen. Wir haben in einem Experiment ihnen nur Sonneinformationen gegeben, dann orientieren sie sich richtig. Dann haben wir sie in ein kleines Planetarium eingebracht und haben ihnen nur Sterneninformationen zur Verfügung gestellt, dann orientieren sie sich auch. Und dann haben wir sie in eine Holzhütte reingesetzt, wo Sterne und Sonne nicht zur Verfügung standen, sondern nur das Magnetfeld, und da können sie sich nicht mehr orientieren. Wenn ich allerdings eine Scheinoperation mache, also, ich mache die gleiche Operation, aber ich inaktiviere nichts, dann orientieren sie sich perfekt in dieser Holzhütte.
Timm: Und dann haben Sie die Informationen zusammengebracht und diese kleine Hirnregion bei Zugvögeln gefunden, die ihnen die Navigation ermöglicht. Ist denn das schon die Erklärung dafür, warum die Vögel nicht nur an einen bestimmten Ort zurückfinden, sogar auf ein bestimmtes Dach?
Moursitsen: Nein, das kann es mit Sicherheit nicht erklären, weil mit so einem Kompass findet man ja nur die grobe Richtung sozusagen, und wenn man das mit einem Kalenderprogramm kombiniert, wo man also weiß, man muss zum Beispiel drei Wochen in die Richtung fliegen und dann nachher zwei Wochen in eine andere Richtung fliegen, dann kommt man ungefähr korrekt an. Aber das ist nur der Langstreckennavigationsteil von so einem Zugvogelflug. Man muss aber auch dann eine genaue Zielfindung einbauen, allerdings bauen die Vögel diesen Teil des Navigationssystems nur an, wenn sie schon den Weg einmal geflogen sind. Also, das erste Mal fliegen sie ja nicht einen bestimmten Baum in Afrika an, aber während des ersten Zuges lernen sie den Weg, und kann dann die genauen Orte wiederfinden in späteren Zügen.
Timm: Das heißt, auch für den Neurosensologen und Zugvogelexperten Henrik Mouritsen bleiben noch viele Geheimnisse?
Moursitsen: Es gibt viele Geheimnisse.
Timm: Jenseits des Erkenntnisgewinns, über den man ja jetzt schon staunt – ist das neue Wissen auch nützlich?
Moursitsen: Ja, es gibt zwei Hauptnutzen von diesem, erstens ist es so, dass es sehr viele bedrohte Zugvögelarten gibt, und man möchte oft versuchen, die in einer neuen Heimat anzusiedeln, weil die ursprüngliche Heimat zerstört ist oder gestört wird, und wenn man so Versetzungen versucht, dann ist es normalerweise so, dass die Vögel sind schneller zurück als die Wissenschaftler, weil die Vögel wissen: Ich gehöre nicht dahin, wo sie hingefrachtet worden sind, wenn sie Zugvögel sind. Und ich glaube, dass der einzige Weg, das erfolgreich zu tun, ist, dass, wenn man die Navigationssysteme gut kennt, dann kann man die vielleicht während der Versetzung dieses Magnetfeld manipulieren zum Beispiel, so, dass sie nicht denken, dass sie verfrachtet worden sind. Oder man versteht, wie sich das entwickelt und man verfrachtet dann die Vögel in einem bestimmten Alter, bevor sie identifiziert haben, was ihre Heimat ist. Dieses Grundlagenwissen, was wir rausfinden, wird auch in der nature conversation, also Naturschutz, eine wichtige Rolle spielen, denn oft machen Naturschützer manchmal Dinge, die ohne wissenschaftliche Grundlage sind. Und das versuchen wir, ihnen zu helfen, die wissenschaftlichen Grundlagen zu schaffen, dass man eine größere Chance auf Erfolg hat.
Timm: Kann denn dieser innere Navigator der Vögel auch dadurch durcheinandergeraten, dass sich die Umwelt verändert oder das Klima?
Moursitsen: Die Klimaveränderungen spielen eher eine Rolle in dieser Zerstörung der Habitate sozusagen oder der Änderung der Habitate, so dass bestimmte Arten nicht mehr so gut da leben können. Da kann es vielleicht irgendwo anders leben, aber wenn das Navigationssystem ihm sagt, dass er nicht da hinfliegen soll, dann kann es ein Problem sein.
Timm: Professor Henrik Mouritsen, jetzt haben Sie einen Stein des Geheimnisses des Vogelflugs gelüftet. Was ist denn Ihr nächstes Ziel?
Moursitsen: Das nächste Ziel ist, zu verstehen, wie der molekulare Mechanismus ist, weil der wichtige … Warum das wichtig ist, ist, dass man hat diese ganze Diskussion über elektromagnetische Felder, ob die auch schlecht für die Menschen sind und so weiter. Im Moment guckt man so ein bisschen in Blinde, man hat keinen guten Grund, nach zum Beispiel Krebserkrankungen zu gucken, was man oft tut. Wenn wir aber jetzt verstehen, wie Magnetfelder, auch sehr schwache Magnetfelder, biologisches tissue in Englisch, …
Timm: … biologisches Material.
Moursitsen: … ja, biologisches Material beeinflussen können, also, wie es Moleküle und Neurone beeinflussen können, dann können wir in Menschen gucken, ob nicht da ähnliche Moleküle vorhanden sind, und das wissen wir schon, dass es da ähnliche Moleküle und Strukturen gibt. Und dann würde man genau nach Prozessen, wo ähnliche Moleküle in den Menschen beteiligt sind, gucken, ob diese elektromagnetischen Felder – zum Beispiel von Radiowellen oder von Handys oder von bildgebenden Verfahren in der Medizin –, ob die vielleicht an solche Prozessen ein Problem sein könnte. Im Moment gibt es keine gute Evidenz dafür.
Timm: Und dann könnten die Zugvögel in ferner Zukunft für den Menschen noch einmal nützlich sein. Ein großes Molekül, um das Geheimnis des Vogelzugs zu klären, hat Professor Henrik Mouritsen zusammen mit seinen Kollegen an der Universität Oldenburg gefunden. Vielen herzlichen Dank für das Gespräch!