MoMA, Gropius, Mies und Co.

Von Adolf Stock |
Im Berliner Martin-Gropius-Bau werden in einer großen Ausstellung bis zum 4. Oktober 90 Jahre Bauhaus gefeiert. Ist es eine Schule, ein Stil, eine Idee, der es hier zu folgen gilt ? Sicher alles zusammen, aber vor allem eine neue Idee mit der griffigen Formel: Kunst und Technik eine neue Einheit. Sie inspirierte den Gründungsdirektor des Museum of Modern Art, prägte das Museum in New York von Anfang an und bestimmte von hier aus das Bild des Bauhauses weitaus stärker, als es die Gründungsväter vermochten.
Der Anfang war bescheiden, dem Museum of Modern Art gehörten acht Bilder und Zeichnungen. Aus dem recht kargen Bestand sollte die dichteste und qualitätsvollste Sammlung zur Kunst des 20. Jahrhunderts werden. Das New Yorker Museum of Modern Art, kurz MoMA genannt, umfasst heute mehr als 100.000 Bilder, Skulpturen, Zeichnungen, Objekte und Design.

Seine Gründung verdankt das Museum kunstbeflissenen Damen, die etwas Neues wagen wollten. Sie waren bekannte Größen der New Yorker Gesellschaft: Lillie Bliss, Mary Quinn-Sullivan und Abby Aldrich, die Gattin von John D. Rockefeller Junior. Die Damen sammelten Geld und setzten auf ihre spendablen Gatten.

Annemarie Jaeggi, Leiterin des Berliner Bauhaus Archivs: ""Ich glaube so sehr anders als die Damen der New Yorker Gesellschaft heute wird das auch nicht gewesen sein, aber das ist traditionell in Händen oder im Engagement von Frauen verankert, damals wie heute. Denken Sie an diese schillernden Figuren, wie die Rebay, die Salomon Guggenheim dazu bekommen hat, dass er abstrakte Gemälde anfängt zu sammeln. Das sind solche Persönlichkeiten, die das mit vollem Engagement als einen Auftrag begreifen, tätig zu werden, bürgerschaftlich etwas zu unternehmen. Und natürlich ist es dann ja auch der Ruhm oder die Stellung, die man dadurch genießt, die Nähe zu Künstlern, sie persönlich zu kennen, das ist ja schon etwas Exklusives und Besonderes."

Es waren keine gelangweilten Gattinnen, die ihren millionenschweren Ehemännern auf der Tasche lagen, sondern selbstbewusste Frauen auf dem Weg in die Moderne.

Hellmut Seemann, Präsident der Klassik Stiftung Weimar: "Die ästhetische Moderne und die Emanzipation der Frau, das hat sehr viel miteinander zu tun. In der Durchsetzung der modernen Kunst, auch des modernen Designs haben Frauen eine herausragende Rolle gespielt, das muss man schon so sagen. Wer hat Duchamps durchgesetzt? Alles Frauen, die ihn gesammelt haben, die dafür gesorgt haben, dass er seiner Arbeit in dieser Form nachgehen konnte. Frauen haben zu dieser Moderne, wie sie sich in den zehner und den zwanziger Jahren in Europa entwickelte, ein natürliches Verhältnis gehabt, weil sie ganz genau merkten, dort wird etwas verhandelt, was uns unmittelbar angeht. Und deswegen ist es auch kein Wunder, dass es ausschließlich Frauen waren, die zu den ersten großen Stiftern dieses neuen Museums in New York gehörten."

Mary Sullivan interessierte sich für irisch-amerikanische Kunst und mochte die Bilder von Jack Yeats und George William Russell, während Lillie Bliss und Abby Aldrich Rockefeller für die französischen Impressionisten schwärmten.

"Es war eine perfekte Kombination", schrieb Nelson Rockefeller, "die Frauen vereinten in sich die finanziellen Möglichkeiten, das Feingefühl und die Kenntnis zeitgenössischer Kunst, welche die Situation erforderte. Um genau zu sein, hatten sie den Mut, die Sache der Moderne auch angesichts von weit verbreiteten Flügelkämpfen, Ignoranz oder dunklen Vermutungen zu verteidigen, es handle sich hier um so etwas wie ein bolschewistisches Komplott."

Als Gründungsdirektor für das neu geplante Museum wurde ein junger Kunsthistoriker bestellt. Alfred Hamilton Barr kam aus Detroit. Mit 16 begann er in Princeton Archäologie und Kunstgeschichte zu studieren, bevor er 1924 erstmals nach Europa kam, um sich in der europäischen Kunstszene umzusehen.

1927 reiste Alfred Barr erneut nach Europa. Diesmal blieb er ein ganzes Jahr. Er ging nach London, um Anregungen für das geplante Museum zu finden. In Holland sah er die bedeutende Sammlung von Kröger-Müller. Die Industriellengattin Helene Müller sammelte nicht nur die gelben Sonnenblumen Vincent van Goghs, an den Museumswänden hingen auch die kubistischen Bilder von Juan Gris und Pablo Picasso, die den Beginn eines abstrakten Kunstwillens so anschaulich zeigen.

Annemarie Jaeggi: "Der Anspruch, etwas ganz Neues zu machen, nämlich ein Museum, das sich der aktuellen Kunst widmet, und eigentlich nach dem damaligen Verständnis war das ein Widerspruch. In ein Museum kam nur etwas, was alt, anerkannt, gediegen, wertvoll war, alte Meister zum Beispiel. Impressionisten kamen auch schon so langsam aber sicher in die Museen, aber was die Gründer des MoMAs wollten, das war wirklich, das Zeitgenössische in ein Museum hineinzutragen, einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen."

In Berlin ging Barr in das Kronprinzenpalais Unter den Linden, wo die moderne Abteilung der Nationalgalerie zu sehen war. In der "Galerie der Lebenden" wurde moderne Kunst ausgestellt: französische Impressionisten, die Dresdener Brücke-Maler und vor allem Bilder der Expressionisten, die damalige Avantgarde, die für erbitterten Streit in Fachkreisen und bei den Besuchern sorgte.

Annemarie Jaeggi: "Ich denke, dass Alfred Barr extrem gut informiert war über das, was in Europa lief. Und zu der Zeit, und wir sprechen von der Dessauer Zeit des Bauhauses, denke ich wohl, ist man um das Bauhaus nicht herumgekommen. Vielleicht nicht so sehr als Einrichtung, aber zumindest, was seine einzelnen Meister, Professoren, Schüler auch schon anbelangte. Die hatten ja alle einen Starstatus, denken Sie an Kandinsky und Klee, die man nicht unbedingt im Zusammenhang mit dem Bauhaus sehen muss, die europaweit und inzwischen auch in Amerika ihre Galeristen und Vertretungen hatten, das ist selbstverständlich etwas, was er nicht nur beobachtet hat, sondern er hat sich bemüht, direkt Kontakt mit diesen Leuten aufzunehmen."

In Dessau lernte Barr den Bauhaus-Direktor Walter Gropius und die Bauhaus-Meister kennen. Er führte Gespräche mit Laszlo Moholy-Nagy, ein bedeutender Vertreter des Konstruktivismus, und mit Theo van Doesburg, ein Mitglied der holländischen De-Stijl-Bewegung, der damals am Dessauer Bauhaus war.

Hellmut Seemann staunt bis heute über die MoMA-Gründer, denen das Kunststück gelang, das revolutionäre Bauhaus, das sich ausdrücklich als ein soziales Experiment verstand und gegen die etablierte Kunstauffassung zu Felde zog, mit Haut und Haaren konzeptionell zu vereinnahmen und in ein völlig neuartiges Museum zu packen.

Hellmut Seemann: "Das Museum of Modern Art in seiner Gründungsphase, es war ein Museum für zeitgenössische Kunst, orientierte sich in dem Begriff davon, was Modern Art ist, was zeitgenössische Kunst ist, an einer Konzeption, die an dem orientiert war, was das Bauhaus darstellte. Und insofern kann man wirklich sagen, dass das Bauhaus, das damals ja wirklich eine Schule war, also in den zwanziger Jahren, zu seiner eigenen Musealisierung dadurch sehr viel beigetragen hat, dass es eine Museumsgründung beeinflusst hat, die ihrerseits wiederum eigentlich antimuseal war. Das ist ein sehr vertrackter, aber nachvollziehbarer Zusammenhang."

Im Bauhaus-Manifest von 1918 hatte Walter Gropius das Verhältnis zwischen Künstler und Handwerker neu definiert. Kunst und Handwerk sollten in einer gemeinsamen Anstrengung zusammengeführt werden. Ziel war die Kathedrale, ein hierarchisch gebautes Gesamtkunstwerk. Das Bauhaus verstand sich als Keimzelle einer neuen Gesellschaft, die einer Kathedrale gleichen sollte, erschaffen von kunstsinnigen Menschen, mit einem gemeinsamen Ziel.

1923 musste das Bauhaus auf politischen Druck der Nationalsozialisten die Bürgerstadt Weimar verlassen. Die Schule zog in die Industriestadt Dessau. Mit dem Umzug verschob sich das Interesse weg vom Handwerk hin zur industriellen Produktion. "Kunst und Technik eine neue Einheit" hieß jetzt die Formel, mit der Walter Gropius das Bauhaus neu positionierte.

In Dessau begegnen wir einem kühlen, eher nüchternen Bauhaus, das auf gut gestaltete Massenware setzt und den Schulterschluss mit der Industrie sucht. So war die Lage, als Alfred Barr mit seinem Kurator Philip Johnson auf die Bauhäusler traf. Nach dem Besuch in Dessau entwickelte Barr sein Konzept für das Museum of Modern Art.

Philipp Oswalt, Direktor der Bauhaus Stiftung Dessau: "Die MoMA-Begründer haben praktisch die Idee für das MoMA-Konzept bei einem Besuch im Bauhaus getroffen. Ein wesentlicher Aspekt ist ja nicht nur die klassische Kunst, Malerei, Skulptur sondern eben halt auch das Design, die Grafik und so weiter umfasst, das geht praktisch auf den Bauhaus-Einfluss zurück."

Am 9. November 1929 wurde im 12. Stock des Heckscher Building das Museum of Modern Art eröffnet. In der ersten Ausstellung waren Impressionisten zu sehen: Paul Cézanne, Georges Seurat und Vincent van Gogh. Doch schon bald wurde das Publikum weit mehr gefordert. Noch im selben Jahr trug eine weitere Ausstellung den staubtrockenen Titel: "Nützliche Haushaltswaren unter fünf Dollar". Pragmatisch und konsequent wurde im fernen New York eine klassische Bauhaus-Idee in Szene gesetzt.

Annemarie Jaeggi: "Im Grunde genommen ist das die unmittelbare Umsetzung dessen, was das Bauhaus wollte, aber nie wirklich erreicht hat. Dass man Alltagsgegenstände, die man für gut erachtet, und zwar gut, weil sie nützlich, aber weil sie auch preisgünstig und sicher auch weil sie schön sind, weil sie zeitgenössisch sind. Wenn Sie den entscheidenden Text zur Bauhaus-Produktion von Walter Gropius aus dem Jahre 1925 lesen, dann steht genau das drin, nur bis zur Umsetzung ist es zumindest unter seinem Direktorat nicht gekommen, aus den vielfältigsten Gründen. Und ich denke, Amerika war damals einfach auch schon anders aufgestellt als Deutschland. Das darf man nicht vernachlässigen, und die Damen haben natürlich auch etwas damit zu tun, das sehr Praktische, Rationale, Amerikanische steckt da auch dahinter."

Das Museum of Modern Art begann die Kunst mit der angewandten Kunst, mit Fotografie, Design und Architektur zusammenzuführen. Die Amerikaner sahen im Bauhaus vor allen einen Stil, obwohl sich das historische Bauhaus als ein gesellschaftliches Projekt verstand, das mit der traumatischen Erfahrung des Ersten Weltkrieges im Zusammenhang steht.

Philipp Oswalt: "Wir haben als Deutsche durch diesen Horror des Holocaust und des Nationalsozialismus sehr vergessen, welcher Zivilisationsbruch und humanitäre Albtraum der Erste Weltkrieg war. Und das Bauhaus, in seinem Versuch, neu anzufangen, Avantgarde zu sein, ist natürlich genau die Schlussfolgerung aus der Feststellung, dass die Tradition der europäischen Nationalstaaten in eine absolute Sackgasse geführt hat und in eine humanitäre Katastrophe. Und es war den Beteiligten klar, dass sie da nicht mehr ansetzen, sondern versuchten, sich neu zu begründen, ein Versuch einer Stunde Null, und daher auch diese extreme Radikalität dieses Projektes. Das sehen wir natürlich heute zwiespältig, welche Dinge da mit über Bord geworfen sind, welche Schwierigkeiten ein solcher Geschichtsbruch bedeutet, aber aus der damaligen Zeit völlig verständlich und eigentlich fast eine Notwendigkeit. Und das ist aber wirklich nur in diesem Spannungsfeld zwischen Kultur und Politik zu verstehen."

Als der Erste Weltkrieg zu Ende war, wollten die Bauhäusler einen radikalen Neubeginn. Bauhausgründer Walter Gropius forderte eine Zäsur, den Aufbruch in eine neue, bessere Zeit.

Annemarie Jaeggi: "Nach dem Ersten Weltkrieg will er mit Stil gar nichts mehr zu tun haben. Da ist er der Meinung, dass Stil, das Wort, eigentlich etwas negativ Besetztes ist. Genauso wie das Wort Architektur eins ist, das sowohl er wie auch seine Zeitgenossen ungern verwenden. Sie sprechen lieber vom Bauen. Architektur ist verbunden, wie das Wort Stil, mit dem Historismus, mit dem 19. Jahrhundert, was man abgeschüttelt hat, mit dem immer wieder Zurückgreifen in die Schublade der Epochen, der Stile, die verfügbar sind. Also es bekommt einen ganz starken negativen Anstrich, und deswegen reagiert er auch immer so stark, wenn man das Wort "Bauhaus-Stil" verwendet. Er wollte mit dem Bauhaus auch nie so etwas wie einen Stil kreieren, sondern er wollte in seiner Zeit tätig sein, modern das Leben gestalten, so könnte man es vielleicht umschreiben."

Die europäische Sichtweise blieb Alfred Barr letztlich fremd. Er war an europäischer Kunst interessiert und schätzte am Bauhaus den offenen weiten Blick, der den elitären Kunstbegriff demokratisierten und erweitern konnte.

Annemarie Jaeggi: "Ich weiß nicht, ob man den sozialen Anspruch der Moderne wirklich am MoMA so gesehen hat. Die Vorstellung des Bauhauses, einen neuen Menschen kreieren zu wollen, die Welt verändern zu wollen, also dieses utopische Manifest-Moment, was die Avantgarden ja alle in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beinhalten, das ist nicht unbedingt etwas, was ein Museum sich auf die Fahnen heften muss. Ein Museum achtet vielleicht mehr auf Qualität, auf Ausgewogenheit, auf eine breite Streuung, so viele Vertreter der unterschiedlichen Avantgarden zusammenzubekommen, ich glaube die Aufgabe ist vielleicht eine andere."

1932 war im Museum of Modern Art die Ausstellung "The International Style" zu sehen. Kurator war Philip Johnson. Die Ausstellung bündelte die Eindrücke einer Europareise. Johnson und sein Kollege, der Architekturkritiker Henry-Russell Hitchcock, fassten die ganz unterschiedlichen Facetten der funktionalen europäischen Architektur in einer griffigen Formel zusammen, die sich ganz selbstverständlich in die traditionsreiche Abfolge der großen Stilepochen fügte. Hier wurde erstmals für jedermann sichtbar die Bauhaus-Architektur in einen globalen Kontext gestellt.

Dabei war die Wertschätzung des Architekten Walter Gropius durchaus begrenzt. Alfred Barr und Philip Johnson hielten den späteren Bauhaus-Direktor Mies van der Rohe für den weitaus besseren Architekten, zumal seine Architektur nicht nur ein moderner Neubeginn war, sondern zugleich in der Nachfolge des großen Baumeisters Karl Friedrich Schinkel stand.

In der Architekturgeschichte wurde der "International Style" schnell zu einem festen Begriff. Henry-Russell Hitchcock und Philip Johnson hatten mit ihrer Ausstellung neue Maßstäbe gesetzt, und gegen ihre Sicht der Dinge schien kein Kraut gewachsen. Jahrzehnte später, 1988, sollte das Philip Johnson noch einmal gelingen, als er mit einer programmatischen Ausstellung im Museum of Modern Art den Dekonstruktivismus salonfähig machte und Architekten wie Frank Gehry, Daniel Libeskind oder Zaha Hadid in den Sattel hob.

Annemarie Jaeggi: "'International Style' ist ein Wort, was eigentlich erst über diese Ausstellung Anfang der 30er Jahre im amerikanischen, aber dann auch sehr rasch im englischen Sprachgebrauch aufgekommen ist. Gropius hat sich dagegen positioniert, aber nicht wirklich mit Vehemenz."

1938 konnte Walter Gropius im Museum of Modern Art mit einer großen Ausstellung sein Bauhaus zeigen. 1934 war er nach London gegangen, 1937 emigriert er in die Vereinigten Staaten. Als er seine Ausstellung konzipierte, lehrte er in Harvard Architektur, an der berühmten Graduate School of Design. Gemeinsam mit Herbert Bayer, der am Dessauer Bauhaus Leiter der Werkstätten war, nutzte Gropius die Chance, seine Bauhaus-Idee vor aller Welt ins rechte Licht zu rücken. Hellmut Seemann.

Hellmut Seemann: "Da wurde das Bauhaus als eine nur neun Jahre existierende Schule präsentiert, nämlich die neun Jahre, die es eben von Gropius geleitet wurde. Unfassbar, dass die wichtigste Präsentation dieser Schule, die erste und größte, die im MoMA stattfand, eigentlich vollkommen verkehrt war, man muss das ja so sagen. Es gab nur einen Direktor, es gab nur neun Jahre und es gab eben ganz wichtige Entwicklungen zwischen 28 und 33, die kamen einfach gar nicht vor. Sehr seltsam, aber so wird Kulturgeschichte tradiert, durch Menschen und wenn Menschen mit im Spiel sind, dann kommen solche falschen Perspektiven ganz schnell in die Text-Books der Historiker."

Seine Nachfolger am Bauhaus, zunächst der Schweizer Architekt Hannes Meyer, dann Mies van der Rohe, kamen in der Ausstellung erst gar nicht vor. Das geschönte Bauhaus-Bild von 1938 ist nicht mehr das Bauhaus der Anfangsjahre. Fast 20 Jahre waren seit der Gründung vergangen. Gropius lebte im Exil, und Amerika hatte auch seinen Blick auf das Bauhaus verändert. Jetzt ging es nicht mehr um einen Neubeginn, sondern um das Verwalten und das Bewahren einer Idee. Und dieser neue Blick nahm – gewollt oder nicht – auch Rücksicht auf amerikanische Empfindlichkeiten.

Philipp Oswalt, Direktor der Bauhaus Stiftung Dessau: "Im Wesentlichen ist die amerikanische Rezeption über das MoMA von dem Agieren Walter Gropius geprägt gewesen. Und er hat eine gestreamlinete Version, die im amerikanischen Kulturkontext vermittelbar war, geschaffen, die auch seinen persönlichen Interessen dienten. Er hat die anderen Bauhaus-Direktoren – insbesondere Hannes Meyer aber auch Mies van der Rohe – in den Hintergrund gedrängt. Er hat das ganze Projekt extrem entpolitisiert und es eher zu einer Stilfrage gemacht. Das war in dem amerikanischen Kontext, sagen wir auch dem kapitalistisch geprägten und dann später mit McCarthy natürlich auch extrem antikommunistisch geprägten Amerika fast eine Notwendigkeit, um anzukommen, obwohl es natürlich auch noch andere Rezeptionen in den USA gab."

Die Amerikaner urteilten aus großer Distanz. Den mühevollen Alltag, die großen und kleinen Streitereien, die es ständig am Bauhaus gab, blendeten sie weitgehend aus. Für sie war das Bauhaus eine "Schule des Sehens", und nur so konnte das Bauhaus konzeptionell zum Vorbild werden.

Hellmut Seemann: "Insofern hat das MoMA, das was die Moderne am meisten ablehnte, nämlich den Historismus, wiederum in die Moderne eingeführt. Das Bauhaus, gerade in seiner frühen Zeit, war ja eine Schule, in der ganz viele eigentlich nicht kompatible Bewegungen nebeneinander hat. Das ist doch sehr seltsam, dass da Dada, Konstruktivismus, Expressionismus, Esoterisches, bis hin zum Surrealismus alles nebeneinander in dieser Schule einen Ort hatte. Jeder machte im Grunde genommen was er sehr persönlich für das Interessanteste hielt. Und das ist ein Relativismus, der so gar nicht zu dieser Striktheit, der strengen Grundsätzen zu passen scheint, die man gerade mit dem Bauhaus und auch mit dem MoMA verbindet. Aber wenn wir das aus dem Rückblick sehen, sieht man die eigentlich unvereinbaren Welten, die alle nebeneinander nirgendwo so herrlich zu sehen sind wie in diesem Museum of Modern Art."

Mit der historischen Distanz zeigt das Bauhaus immer deutlicher seine konventionellen Wurzeln. Wir fangen an zu verstehen, wie sehr das Bauhaus auch in der Vergangenheit verwurzelt ist, weit mehr als es die die Bauhäusler selbst wahrhaben wollten.

1933 wurde das Bauhaus in Dessau auf Druck der Nationalsozialisten endgültig aufgelöst. Der letzte Direktor Mies van der Rohe war mit der Schule noch nach Berlin gezogen, um sie als Privatschule weiterzuführen. Aber auch das ließen die Nationalsozialisten nicht zu. Nachdem Mies einsehen musste, dass es in Deutschland für ihn keine Zukunft mehr gab, emigrierte er 1938 in die Vereinigten Staaten, dort wurde er Leiter des IIT in Chicago, dem berühmten Illinois Institute of Technology.

Das Bauhaus wirkte in Amerika fort, zumal viele Bauhäusler dort eine neue Heimat fanden. An amerikanischen Universitäten vermittelten sie der nachfolgenden Generation ihre Ideen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam dieses veränderte Bauhaus zurück nach Deutschland, in ein Deutschland, das sich zunächst in zwei feindlichen Blöcken gegenüberstand.

Philipp Oswalt: "Das Bauhaus war dann auch eine Waffe im Kalten Krieg, und diese entpolitisierte, domestizierte Form des Bauhauses wurde dann nach Westdeutschland reimportiert, als Bild eines anderen, besseren Deutschlands, als Bild von Moderne, von Freiheit, von Demokratie, aber eben aller ihrer Widerspenstigkeit beraubt."

Die amerikanische Sichtweise begann auch bei uns, das historisch belegte Bauhaus-Bild zu überlagern. Ausgerechnet ein politisch gereinigtes Bauhaus wurde zum Ausdruck für eine lupenreine demokratische Gesinnung, zu einem Abgrenzungsmerkmal gegenüber der DDR und dem sozialistischen Lager, das sich damals den Realismus auf die Fahnen geschrieben hatte.

Hellmut Seemann: "Das kann man sich ja heute gar nicht mehr vorstellen, dass es gute Menschen gab, die waren für abstrakte Kunst, und es gab böse Menschen, die wollten noch etwas auf den Leinwänden sehen, was sie an die Realität erinnerte. Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen, und das ist auch nur in diesem Sinne eines Glaubenskrieges, der da so zwischen 1950 und 1975 getobt hat, zu verstehen. In dieser Debatte in West und Ost – es stand einfach das westliche kapitalistische System gegen das östliche staatsmonopolistische – und da waren die Symboldebatten, die sich im Bereich der Ästhetik abspielten, wirklich nur der Mantel, unter dem man das gut auf die Bühne stellen konnte."

Die große Ausstellung zum 90. Bauhaus-Jubiläum im Berliner Martin-Gropius-Bau stellt nun das historische Bauhaus in all seinem Facettenreichtum vor und bietet jenseits der schematischen Stildebatten Gelegenheit, über das Bauhaus neu nachzudenken. Aber auch in New York gibt es ein großes Interesse, das amerikanische Bauhaus-Bild neu zu justieren. Das Museum of Modern Art wird im Herbst 2009 erstmals seit 1938 wieder eine große Bauhaus-Ausstellung zeigen.

Annemarie Jaeggi, Leiterin des Berliner Bauhaus Archivs: "Wenn man überlegt, dass es seit 1938, seit dieser besagten Ausstellung, es am MoMA keine weitere Bauhaus-Ausstellung gegeben hat, dann macht das vielleicht auch deutlich, warum in der angelsächsischen Welt, nicht nur in Amerika, wenn man das Wort Bauhaus ausspricht, man eigentlich immer an Dessau denkt, an einige Ikonen, die stellvertretend eben für diese reduzierte funktionale Ästhetik der Dessauer Zeit stehen."

Das soll sich nun ändern, jetzt will das Museum of Modern Art auch von dem frühen, esoterischen Bauhaus erzählen.

Philipp Oswalt: "Das MoMA selber ist natürlich eine extrem etablierte Institution und ist insofern auch sehr, sehr klassisch. Sie haben natürlich an diesem widerspenstigen Erbe des Bauhauses nicht so ein starkes Interesse. Was sie in dem Jubiläumsjahr jetzt sehr interessiert, ist die frühe Phase des Bauhauses, die expressionistische, die in dieser Streamline-Version auch unter den Tisch gefallen ist, aber nicht jetzt das gesellschaftliche Engagement, das gesellschaftliche Projekt des Bauhauses, sondern eben halt dieses Künstlerisch-Expressionistische der frühen Weimarer Jahre. Das ist die amerikanische Neuentdeckung, die das MoMA Ende des Jahres präsentieren will."

Doch nicht nur das, das Museum of Modern Art will auch den Bogen zu den beiden großen Bauhaus-Ausstellungen spannen, die es1928 und 1938 am MoMA gegeben hat, es will den Besuchern zeigen, wie man damals das Bauhaus gesehen hat und damit seine eigene Rezeptionsgeschichte thematisieren.

Hellmut Seemann: "Die sind an dieser Frage interessiert, warum ist das Bauhaus in einer so extrem selektiven Form auf uns gekommen und wie können wir den heutigen Betrachtern dieser kulturgeschichtlichen Epoche am Bauhaus zeigen, wie viel breiter das Spektrum der gestalterischen Interessen und Ansätze damals gewesen ist? Also die wollen wirklich den Besuchern des MoMA, die da reinkommen als Connaisseure und natürlich wissen, was das Bauhaus ist, und dann eins, zwei, drei sehen wollen, denen wollen sie eine Ausstellung zeigen, wo die immer wieder glauben sollen, ich muss die falsche Tür erwischt haben, das ist doch hier gar nicht Bauhaus. Das heißt, ich habe einfach bei den Gesprächen mit den Kuratoren festgestellt, dass sie insbesondere immer an den Dingen interessiert waren, wo man den konventionellen Bezug zum dem, was der Bauhaus-Stil angeblich sein soll, nicht so klar ist, das interessiert sie."

Das historische Bauhaus hat von 1919 bis 1933 existiert. Danach ging es um die Deutungsgeschichte einer Schule, die zum Mythos wurde und weltweit für den Siegeszug der Moderne steht. Dieser Deutungsprozess ist längst nicht abgeschlossen. Auf die Frage, wohin dies führen könnte, hat Hellmut Seemann, Präsident der Klassik Stiftung Weimar, diese Antwort:

"Ich glaube, da könnte so ein Schlagwort herauskommen, die Moderne war postmodern, soll sagen, die Moderne war viel weniger über sich selbst von Anfang an aufgeklärt, sie war viel weniger rational, sie war viel weniger systematisch, als wir glauben, dass sie gewesen sei. Sie war auch ein Suchprozess, der von sehr unterschiedlichen Wurzeln und Interessen sich auf einen im Ergebnis offenen Weg gemacht hat. Und das nachzuvollziehen ist eigentlich viel interessanter, als die klassischen Früchte, die wir immer mit dem Bauhaus verbinden, immer wieder in einer gewissen Anbetungshaltung sich anzuschauen."


Literatur:
Ute Ackermann, Ulrike Bestgen (Herausgegeben für die Klassik Stiftung Weimar): Das Bauhaus kommt aus Weimar. (Berlin, München (Deutscher Kunstverlag) 2009