Momente intensiver Gewalt
Der britische Erfolgsautor Irvine Welsh widmet sich in seinem neuen Roman "Crime" dem sexuellen Missbrauch von Kindern. Wie immer dreht sich bei Welsh dabei allerdings alles auch um Drogen, Alkohol und Fußball: Ein Polizist aus Edinburgh rutscht in pädophile Machenschaften.
Seit seinem sensationellem Debut "Trainspotting” (1993) ist Irvine Welsh ein "Kultautor”. Der Schotte hat sich seitdem in seinen Romanen immer wieder mit den verschiedensten Arten von Sexualität befasst, mit Gewalt, mit Drogen und Alkohol und auch mit Polizisten. In Welshs neuem, auf Deutsch vorliegendem Buch "Crime", geht es folgerichtig um einen von Drogen, Alkohol und seinem Job ausgebrannten Polizisten aus Edinburgh, der in Florida, wo er sich und seine Beziehung zu kurieren versucht, in widerwärtige pädophile Machenschaften rutscht und sich mit einem hochorgansierten Ring von Kinderschändern konfrontiert sieht.
"Crime" - eindeutiger kann ein Titel kaum sein und dennoch verschiedene Sinnebenen beinhalten - besteht im Grunde aus zwei Romanen: einem ziemlich gut gemachten Kriminalroman, "hardboiled", stilistisch knapp, präzise, mit bösen Einsichten ins "Rentnerparadies" Florida, durch das Ray Lennox, so heißt unser Held, robust pflügt. Er will ein zehnjähriges Mädchen vor seinen pädophilen Peinigern retten. Seine Odyssee mit dem zutiefst verwirrten, aber langsam Vertrauen fassenden Mädchen im Schlepptau wird zu einer Art bösartigen Variante von "Alice in den Städten", bei der es allerdings um Leben und Tod geht. Denn die Kinderschänder sind überall; nette, aufrechte Mitbürger allesamt, und dummerweise ist das Hauptekel Polizist.
Zum anderen erzählt "Crime" die Geschichte von Lennox, wie er in Edinburgh nur deswegen Polizist wurde, weil er Kinderschänder jagen wollte, und wie er daran beinahe zugrunde ging. Wir erfahren seine Familiengeschichte, wir lernen viel über Fußball (wie immer bei Welsh) und über Edinburgh. Dieser Teil des Buches leidet an der störend manierierten Erzählhaltung: Die Hauptperson Lennox wird ständig vom Erzähler angeredet, beziehungsweise Personen- und Erzählerrede werden identisch: "Als du in verwirrender Finsternis hochschrecktest, sahst du auf deiner Liste entgangener Anrufe ..."
Eine Stilisierung, um Distanz zwischen dem Lennox der Gegenwart in Florida und dem in der Vergangenheit in Edinburgh zu schaffen, das ist klar. Aber eine Stilisierung, die sich schnell abnutzt, schwerfällig und redundant wird. Genauso redundant wie viele Rückblenden in Lennox´ Leben und Jugend. Allzu deutlich unterstreicht Welsh den nicht ganz überraschenden springenden Punkt, dass sein Held zum fanatischen Jäger wird, weil er selbst Opfer war.
Auf der Ebene der aktuellen Kriminalromanhandlung löst Welsh die psychische Disposition seiner Figur viel radikaler in "action" und in Momente heftiger, intensiv geschilderter Gewalt auf. Wenn sich Lennox immer wieder auf die Peiniger seiner Schutzbefohlenen wirft, bis sie endlich erledigt sind, hat der Roman seine großen Qualitäten: Da wird die Wut und die Desperado-Mentalität des zornigen Bullen entschieden fühlbarer als in den eher reflektorischen Passagen.
"Crime" besteht also aus einer brillanten und einer weniger brillanten Hälfte, das ist - je nachdem, wie man zu Welsh stehen möchte - entweder erfreulich oder ein wenig enttäuschend.
Besprochen von Thomas Wörtche
Irvine Welsh: Crime
Aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011
479 Seiten, 19,99 Euro
"Crime" - eindeutiger kann ein Titel kaum sein und dennoch verschiedene Sinnebenen beinhalten - besteht im Grunde aus zwei Romanen: einem ziemlich gut gemachten Kriminalroman, "hardboiled", stilistisch knapp, präzise, mit bösen Einsichten ins "Rentnerparadies" Florida, durch das Ray Lennox, so heißt unser Held, robust pflügt. Er will ein zehnjähriges Mädchen vor seinen pädophilen Peinigern retten. Seine Odyssee mit dem zutiefst verwirrten, aber langsam Vertrauen fassenden Mädchen im Schlepptau wird zu einer Art bösartigen Variante von "Alice in den Städten", bei der es allerdings um Leben und Tod geht. Denn die Kinderschänder sind überall; nette, aufrechte Mitbürger allesamt, und dummerweise ist das Hauptekel Polizist.
Zum anderen erzählt "Crime" die Geschichte von Lennox, wie er in Edinburgh nur deswegen Polizist wurde, weil er Kinderschänder jagen wollte, und wie er daran beinahe zugrunde ging. Wir erfahren seine Familiengeschichte, wir lernen viel über Fußball (wie immer bei Welsh) und über Edinburgh. Dieser Teil des Buches leidet an der störend manierierten Erzählhaltung: Die Hauptperson Lennox wird ständig vom Erzähler angeredet, beziehungsweise Personen- und Erzählerrede werden identisch: "Als du in verwirrender Finsternis hochschrecktest, sahst du auf deiner Liste entgangener Anrufe ..."
Eine Stilisierung, um Distanz zwischen dem Lennox der Gegenwart in Florida und dem in der Vergangenheit in Edinburgh zu schaffen, das ist klar. Aber eine Stilisierung, die sich schnell abnutzt, schwerfällig und redundant wird. Genauso redundant wie viele Rückblenden in Lennox´ Leben und Jugend. Allzu deutlich unterstreicht Welsh den nicht ganz überraschenden springenden Punkt, dass sein Held zum fanatischen Jäger wird, weil er selbst Opfer war.
Auf der Ebene der aktuellen Kriminalromanhandlung löst Welsh die psychische Disposition seiner Figur viel radikaler in "action" und in Momente heftiger, intensiv geschilderter Gewalt auf. Wenn sich Lennox immer wieder auf die Peiniger seiner Schutzbefohlenen wirft, bis sie endlich erledigt sind, hat der Roman seine großen Qualitäten: Da wird die Wut und die Desperado-Mentalität des zornigen Bullen entschieden fühlbarer als in den eher reflektorischen Passagen.
"Crime" besteht also aus einer brillanten und einer weniger brillanten Hälfte, das ist - je nachdem, wie man zu Welsh stehen möchte - entweder erfreulich oder ein wenig enttäuschend.
Besprochen von Thomas Wörtche
Irvine Welsh: Crime
Aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011
479 Seiten, 19,99 Euro