Mondäne Orte
In den 50er-Jahren erfand in Italien ein findiger Industrieller das Prinzip Agip. Er setzte auf Design und Service und machte aus den Tankstellen mondäne Orte des wirtschaftlichen Aufbruchs. Das Frankfurter Architektur Museum erinnert an diese Zeit.
Dorothea Deschermeier: "Agip bedeutet erst einmal Azienda Italiana Generale Petroli, und Agip ist eigentlich eine Gesellschaft aus der faschistischen Zeit. Ist aber dann 1953 in den italienischen Energiekonzern Eni integriert worden und damit beginnt eigentlich die Blütezeit von Agip, die auch hier in der Ausstellung dokumentiert wird, nämlich Agip als Mineralölkonzern des Wirtschaftswunders in Italien."
Kuratorin Dorothea Deschermeier zeigt gleich auf den sechsbeinigen Hund. Das feuerspeiende Fabelwesen beherrscht die Szene und taucht überall als Firmenlogo auf. Enrico Mattei, kongenialer Chef des Konzerns, hatte dem Tier noch zwei Beine hinzugefügt.
Dorothea Deschermeier: " ... um eine Allegorie herzustellen, dass der vierbeinige Hund ersetzt wird durch das vierrädrige Auto und der Fahrer mit seinen zwei Beinen sozusagen die sechs Pfoten des Hundes ergeben. Der eigentliche Designer dieses Logos war Luigi Broggini, ein Bildhauer, das ist aber erst nach seinem Tod 1986 bekannt geworden, vorher war das immer unter den Pseudonym Guzzi, und wie gesagt, erst nach dem Tod kam der tatsächliche Urheber des Logos dann zum Vorschein."
In Frankfurt wird die Agip-Geschichte mit zeitgenössischen Fotos in Szene gesetzt. Es sind Bilder, die voll Optimismus der Moderne vertrauen. Wunderbare Schwarz-Weiß-Aufnahmen, wie aus frühen Fellini-Filmen. Momentaufnahmen einer hoffnungsfrohen Zeit.
Dorothea Deschermeier: "Die Fotos stammen alle aus dem Firmenarchiv in Rom, sind aber damals Auftragsarbeiten gewesen vom Konzern, das Leben um die Tankstelle rum zu dokumentieren. Das heißt die Fotos sind keine reinen Architekturfotos, sondern eher Fotos, die eben das italienische Leben um die Tankstelle herum zeigen. Zum Teil sind die Fotografien von sehr berühmten Fotografen wie Aldo Ballo, zum Teil stammen sie auch aus der berühmten Fotoagentur Publifoto, die eine Entsprechung ist von dem amerikanischen Magnum."
Stazione di servizio wurde die Tankstellen bei Agip genannt. Auf einem Foto sitzen gestandene Tankstellenwärter wie die Schulbuben in einem Klassenzimmer. Sie waren zum Lehrgang bei Agip, um perfekte Botschafter des Konzerns zu werden. Auch die Architektur diente diesem Ziel. Wolfgang Voigt, stellvertretender Direktor des Deutschen Architektur Museums.
Wolfgang Vogt: "Diese herrlichen ausladenden Kragdächer, dass ist ein Zeichen einer optimistischen Haltung, das ist eine Architektur die zeigt, dass man an den Fortschritt glaubt, und das ist ganz besonders in Italien zuhause gewesen, wo das in den 30er-Jahren virulent ist, in Deutschland ist der Bau von Tankstellen dann betrieben worden durch die Reichsautobahn, diese Tankstellen sehen relativ schwer aus, die pflegen dann nicht mehr diesen Kult der Moderne."
Tankstellen im wackeren Heimatstil gab es jenseits der Alpen nicht. Trotz Mussolini und Krieg war in Italien die Verbindung zur Moderne nie abgebrochen. Man stand in der großen Tradition der Futuristen, die in Italien ihre Heimat hatten.
Wolfgang Vogt: "Ein Merkmal, das ja diese wunderschönen Agip-Tankstellen nachher auch haben, das ist dieses weit auskragende Betondach. Und das gibt's dann auch in zwei Richtungen, sodass die Tankstelle aussieht wie ein Vogel mit ausgebreiteten Schwingen oder auch ein Flugzeug. Und diese Ähnlichkeit, die war gewollt, denn das Flugzeug und das Auto, das waren ja die Luxusverkehrsmittel damals, und nur wenige Leute konnten Auto fahren, noch viel weniger Leute konnten fliegen."
Das sollte sich nach dem Krieg ändern. Mobilität war jetzt für alle da. Bei Agip wurden Architektur, Produktgestaltung und Lebensart als eine Einheit gesehen. Die Tankstelle wurde zu einem quirligen Treffpunkt der Italiener. Dreizehn Modelle standen zur Auswahl, vom bescheidenen Pavillon bis hin zur Großtankanlage.
Dorothea Deschermeier: "Das besondere der Agip Tankstelle war natürlich, erst mal war sie eine standardisierte Tankstelle, das heißt, es wurden in ganz Italien nur noch die Agip-Tankstellen in dieser Form gebaut. Und da haben sie eben auf den Service-Gedanken gesetzt, das heißt eben, in Italien darf dann natürlich die Bar nicht fehlen, aber auch eben Kioske, Restaurants, später kam sogar noch das Motel für einige Verkehrsknotenpunkte hinzu. Und da hat Agip natürlich punkten können, im Gegensatz zu den anderen Tankstellen, tatsächlich die Tankstelle von einem UNOrt zu einem Ort werden zu lassen, gar zu einem Treffpunkt und manchmal sogar zum Ziel eines Ausfluges im fabrikneuen Cinquecento."
Auch die Teutonen waren begeistert. Mit einem offenen Cabrio an den Golf von Neapel zu fahren, war ein Traum der 50er-Jahre. Auch wenn es am Ende nur mit dem Bus über die Alpen ging, beim sechsbeinigen Hund wurde Station gemacht. Dort gab es nicht nur Benzin, es gab auch Spaghetti, Espresso und Dolce bei Agip an der Autostrada del Sol.
Die Fotografien bebildern auch ein Stück Firmengeschichte. Böse Zungen behaupten, das flotte Agip-Design sei ein wohlkalkuliertes Ablenkungsmanöver gewesen, um den maroden Konzern zu retten. Enrico Mattei sollte das Relikt aus der Mussolini-Ära liquidieren, stattdessen ließ er in der Po-Ebene nach Erdöl bohren. Das war nicht sonderlich erfolgreich, was ihn nicht daran hindern konnte, mit dem Slogan Supercortemaggiore zu werben. Die Leute sollten glaubten, sie hätten italienischen Treibstoff im Tank, Benzin aus Cortemaggio, wo es tatsächlich ein paar Liter Erdöl gab.
Wolfgang Voigt: "Agip ist nicht einfach irgendeine Energiefirma gewesen, sondern etwas ganz Besonderes und – das darf man auch sagen – eine italienische Leistung der Nachkriegszeit, nämlich ohne die amerikanischen und britischen Konzerne eine eigene große Energieversorgungsfirma aufzubauen. Und dann hat es ja auch seinen tragischen Aspekt, der verdiente Gründer Enrico Mattei ist dann nachher ja auf ungeklärte Weise bei einem Flugzeugunglück umgekommen."
Bis heute Stoff für Spekulationen. Auf einem Foto steht Firmenchef Enrico Mattei mit Hut und Mantel vor seinem Privatflugzeug. Unter dem Fenster des Piloten klebt sein sechsbeiniger Freund. Es ist eines der Frankfurter Bilder, die uns von Agip und dem Fortschritt erzählen.
Kuratorin Dorothea Deschermeier zeigt gleich auf den sechsbeinigen Hund. Das feuerspeiende Fabelwesen beherrscht die Szene und taucht überall als Firmenlogo auf. Enrico Mattei, kongenialer Chef des Konzerns, hatte dem Tier noch zwei Beine hinzugefügt.
Dorothea Deschermeier: " ... um eine Allegorie herzustellen, dass der vierbeinige Hund ersetzt wird durch das vierrädrige Auto und der Fahrer mit seinen zwei Beinen sozusagen die sechs Pfoten des Hundes ergeben. Der eigentliche Designer dieses Logos war Luigi Broggini, ein Bildhauer, das ist aber erst nach seinem Tod 1986 bekannt geworden, vorher war das immer unter den Pseudonym Guzzi, und wie gesagt, erst nach dem Tod kam der tatsächliche Urheber des Logos dann zum Vorschein."
In Frankfurt wird die Agip-Geschichte mit zeitgenössischen Fotos in Szene gesetzt. Es sind Bilder, die voll Optimismus der Moderne vertrauen. Wunderbare Schwarz-Weiß-Aufnahmen, wie aus frühen Fellini-Filmen. Momentaufnahmen einer hoffnungsfrohen Zeit.
Dorothea Deschermeier: "Die Fotos stammen alle aus dem Firmenarchiv in Rom, sind aber damals Auftragsarbeiten gewesen vom Konzern, das Leben um die Tankstelle rum zu dokumentieren. Das heißt die Fotos sind keine reinen Architekturfotos, sondern eher Fotos, die eben das italienische Leben um die Tankstelle herum zeigen. Zum Teil sind die Fotografien von sehr berühmten Fotografen wie Aldo Ballo, zum Teil stammen sie auch aus der berühmten Fotoagentur Publifoto, die eine Entsprechung ist von dem amerikanischen Magnum."
Stazione di servizio wurde die Tankstellen bei Agip genannt. Auf einem Foto sitzen gestandene Tankstellenwärter wie die Schulbuben in einem Klassenzimmer. Sie waren zum Lehrgang bei Agip, um perfekte Botschafter des Konzerns zu werden. Auch die Architektur diente diesem Ziel. Wolfgang Voigt, stellvertretender Direktor des Deutschen Architektur Museums.
Wolfgang Vogt: "Diese herrlichen ausladenden Kragdächer, dass ist ein Zeichen einer optimistischen Haltung, das ist eine Architektur die zeigt, dass man an den Fortschritt glaubt, und das ist ganz besonders in Italien zuhause gewesen, wo das in den 30er-Jahren virulent ist, in Deutschland ist der Bau von Tankstellen dann betrieben worden durch die Reichsautobahn, diese Tankstellen sehen relativ schwer aus, die pflegen dann nicht mehr diesen Kult der Moderne."
Tankstellen im wackeren Heimatstil gab es jenseits der Alpen nicht. Trotz Mussolini und Krieg war in Italien die Verbindung zur Moderne nie abgebrochen. Man stand in der großen Tradition der Futuristen, die in Italien ihre Heimat hatten.
Wolfgang Vogt: "Ein Merkmal, das ja diese wunderschönen Agip-Tankstellen nachher auch haben, das ist dieses weit auskragende Betondach. Und das gibt's dann auch in zwei Richtungen, sodass die Tankstelle aussieht wie ein Vogel mit ausgebreiteten Schwingen oder auch ein Flugzeug. Und diese Ähnlichkeit, die war gewollt, denn das Flugzeug und das Auto, das waren ja die Luxusverkehrsmittel damals, und nur wenige Leute konnten Auto fahren, noch viel weniger Leute konnten fliegen."
Das sollte sich nach dem Krieg ändern. Mobilität war jetzt für alle da. Bei Agip wurden Architektur, Produktgestaltung und Lebensart als eine Einheit gesehen. Die Tankstelle wurde zu einem quirligen Treffpunkt der Italiener. Dreizehn Modelle standen zur Auswahl, vom bescheidenen Pavillon bis hin zur Großtankanlage.
Dorothea Deschermeier: "Das besondere der Agip Tankstelle war natürlich, erst mal war sie eine standardisierte Tankstelle, das heißt, es wurden in ganz Italien nur noch die Agip-Tankstellen in dieser Form gebaut. Und da haben sie eben auf den Service-Gedanken gesetzt, das heißt eben, in Italien darf dann natürlich die Bar nicht fehlen, aber auch eben Kioske, Restaurants, später kam sogar noch das Motel für einige Verkehrsknotenpunkte hinzu. Und da hat Agip natürlich punkten können, im Gegensatz zu den anderen Tankstellen, tatsächlich die Tankstelle von einem UNOrt zu einem Ort werden zu lassen, gar zu einem Treffpunkt und manchmal sogar zum Ziel eines Ausfluges im fabrikneuen Cinquecento."
Auch die Teutonen waren begeistert. Mit einem offenen Cabrio an den Golf von Neapel zu fahren, war ein Traum der 50er-Jahre. Auch wenn es am Ende nur mit dem Bus über die Alpen ging, beim sechsbeinigen Hund wurde Station gemacht. Dort gab es nicht nur Benzin, es gab auch Spaghetti, Espresso und Dolce bei Agip an der Autostrada del Sol.
Die Fotografien bebildern auch ein Stück Firmengeschichte. Böse Zungen behaupten, das flotte Agip-Design sei ein wohlkalkuliertes Ablenkungsmanöver gewesen, um den maroden Konzern zu retten. Enrico Mattei sollte das Relikt aus der Mussolini-Ära liquidieren, stattdessen ließ er in der Po-Ebene nach Erdöl bohren. Das war nicht sonderlich erfolgreich, was ihn nicht daran hindern konnte, mit dem Slogan Supercortemaggiore zu werben. Die Leute sollten glaubten, sie hätten italienischen Treibstoff im Tank, Benzin aus Cortemaggio, wo es tatsächlich ein paar Liter Erdöl gab.
Wolfgang Voigt: "Agip ist nicht einfach irgendeine Energiefirma gewesen, sondern etwas ganz Besonderes und – das darf man auch sagen – eine italienische Leistung der Nachkriegszeit, nämlich ohne die amerikanischen und britischen Konzerne eine eigene große Energieversorgungsfirma aufzubauen. Und dann hat es ja auch seinen tragischen Aspekt, der verdiente Gründer Enrico Mattei ist dann nachher ja auf ungeklärte Weise bei einem Flugzeugunglück umgekommen."
Bis heute Stoff für Spekulationen. Auf einem Foto steht Firmenchef Enrico Mattei mit Hut und Mantel vor seinem Privatflugzeug. Unter dem Fenster des Piloten klebt sein sechsbeiniger Freund. Es ist eines der Frankfurter Bilder, die uns von Agip und dem Fortschritt erzählen.