Ausstellung "I do you"

Kampfansage und Liebeserklärung an eine Architekturikone

05:27 Minuten
Blick in die Ausstellung "I do you" von Monica Bonvicini in der Neuen Nationalgalerie.
Ausstellungsansicht von "I do you" in der Neuen Nationalgalerie. "Spiegel verstärken den voyeuristischen Charakter der Glasarchitektur", so Kurator Joachim Jäger. © Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin /Jens Ziehe
Von Simone Reber |
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Raumhohe Spiegel und Handschellen: Die italienische Bildhauerin Monica Bonvicini hat für ihre Ausstellung "I do you" Installationen entworfen, die neue Perspektiven auf den Museumsraum der Neuen Nationalgalerie Berlin ermöglichen.
Wie ein Tempel für die Kunst steht die Neue Nationalgalerie von Ludwig Mies van der Rohe erhöht auf ihrer Terrasse über dem Landwehrkanal. Alles ist gerade und rechtwinklig. Das Stahldach scheint über den gläsernen Wänden zu schweben.
Aber Monica Bonvicini ist nichts heilig. Sie hat ihr spiegelndes Ausstellungsplakat schräg vor den Eingang gelehnt. „I do you“ – den Titel kann man als Liebeserklärung oder als Kampfansage verstehen.
Monica Bonvicini hat sich viele Gedanken darüber gemacht, was man gegen die Transparenz machen kann. Was es bedeutet, in einem Gebäude zu sein, das diesen "sehr starken voyeuristischen Aspekt hat".

Kunst und Publikum in der Vitrine

Der Transparenz setzt sie Spiegel entgegen. Das Innere der gläsernen Halle ist durch eine Spiegelwand geteilt. Man muss zweimal hinschauen, um zu verstehen, warum dieselben Besucher durch den vorderen wie durch den hinteren Teil der Halle spazieren. Der Spiegel, sagt der Kurator Joachim Jäger, löst das Haus auf.
Es sei einerseits ein offener Raum, so Jäger, andererseits durch die Gläser und durch die Fassade auch ein sehr gefasster Raum, in dem man sich sehr schnell orientiere. "Diese Orientierung", fährt er fort, "verliert man sofort. Und zwar schon beim Eintreten und noch mal, wenn man kurz vor dem Spiegel steht."
Der Spiegel verstärkt auch den voyeuristischen Charakter der Glasarchitektur. Die Künstlerin interpretiert den ganzen Museumsbau als eine Vitrine, in der nicht nur die Kunst, sondern auch das Publikum zu besichtigen ist.
"Man kann von draußen nach drinnen sehen", beschreibt der Kurator. "Man kann sich in der Reflexion von den Fenstern sehen, wenn es draußen dunkel ist." Und man habe immer das Gefühl, beobachtet zu werden.

Vom Museumspersonal anketten lassen

In den Fenstern hängen lange Ketten mit Handschellen. Wer will, kann sich für 30 Minuten von dem Museumspersonal anketten und zur Schau stellen lassen. Die klirrenden Ketten, Sado-Maso-Utensilien, sind ein wiederkehrendes Element im Werk von Monica Bonvicini.
"Die Ketten kaufe ich immer bei dieser Hebe-Firma", erklärt die Künstlerin. "Sie sind für mich wie ein ABC für Skulpturen." Sie trügen das Gewicht. Und sie würden normalerweise als Werkzeug definiert. "Ich habe viele Arbeiten gemacht und mich interessiert auch die Thematik, was Arbeit ist". Mit ihrer Kunst könne sie über Industrie, Arbeit und Schönheit nachdenken.

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In der Sonne funkeln die Ketten wie perlendes Wasser. Hinter der Spiegelwand hat die Künstlerin ein zweites Stockwerk in die hohe Halle eingezogen und so die Monumentalität auf Menschenformat reduziert. "Von hier oben kann man auf die Terrasse sehen und die Kompromisslosigkeit von Mies van der Rohe erkennen", sagt Joachim Jäger.
Alle Terrassen in Berlin sind Jäger zufolge normalerweise schräg. Damit das Wasser abfließen könne. "Aber Mies hat sich dieser Vorschrift widersetzt und hat eine absolut waagrechte Fläche gebaut." Das Wasser fließe durch die Platten ab. "Das ist eine sehr besondere Technik, dass er das überhaupt genehmigt bekommen hat, ist irre."

Liebe zum Gebäude und zu Mies

Das Podest ist gemütlich mit Teppichboden ausgelegt, darauf sind ausgezogene Jeans und Boxershorts abgebildet. Zwei Jahre lang hat die Künstlerin die Hosen fotografiert, die sie am Abend abgelegt hat. Die doppelbödige Arbeit bricht mit der Makellosigkeit der Moderne. "Das ist so eine Art punkige Unordnung", sagt Bonvicini, "und trotzdem ist es sehr elegant."
Beim Hinabsteigen entdeckt man zwischen den Stahlrohren des Tragwerks das Wort „Desire“ in spiegelnden Buchstaben. So ist diese furchtlose und verführerische Schau wohl doch weniger ein Machtkampf mit der Moderne, sondern vielmehr eine Liebeserklärung an Mies van der Rohe.
Für Kurator Joachim Jäger ist es ein Liebesverhältnis, "das aber durchaus Stärke formuliert". An dem Schriftzug "Desire" und auch an den Spiegelarbeiten sehe man, dass Bonvicini dieses Gebäude sehr liebt. Gleichzeitig werde deutlich, so Jäger, "dass man sich hier sehr stark machen muss, um auch als weibliche Position gesehen zu werden".
Folgerichtig und leicht ironisch zeigt Monica Bonvicini ihre komplette „Retrospektive“ nicht in der Museumshalle, sondern im Außenraum. Auf der Terrasse sind aus Lautsprechern die rund 2000 Titel ihres Werkes zu hören.

"I do you", die Ausstellung mit Arbeiten von Monica Bonvicini ist bis zum 30. April 2023 in der Neuen Nationalgalerie Berlin zu sehen. Täglich außer montags von 10-18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr
 

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