Monika Helfer und ihr Roman "Löwenherz"

Ein liebenswerter Sonderling mit tragischem Ende

29:47 Minuten
Die Vorarlberger Autorin Monika Helfer sitzt an einem Tisch und gestikuliert.
Beschließt ihre Familien-Trilogie mit einem Buch über den Bruder: Monika Helfer. © picture alliance / dpa / APA / picturedesk.com / Dietmar Stiplovsek
Moderation: Dorothea Westphal |
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Nach den großen Erfolgen „Die Bagage“ und „Vati“ ist nun der dritte Roman von Monika Helfers Familien-Trilogie erscheinen. Diesmal rückt die Schriftstellerin ihren Bruder Richard, genannt Löwenherz, in den Mittelpunkt der Geschichte.
Bereits die ersten beiden Bände der Familiengeschichte waren Beststeller. In „Die Bagage“ geht es um die Großeltern von Monika Helfer. In „Vati“ um ihren Vater, der nach dem Tod seiner Frau in schwere Melancholie verfiel und sich in die Welt der Bücher zurückzog.
Monika Helfers sechs Jahre jüngerer Bruder Richard war ein Mensch, der in den Tag hineinlebte und sich mit nur dreißig Jahren das Leben nahm. "Löwenherz" wurde Richard von seinem Vater genannt.
Wie der mittelalterliche Kreuzritter und König verschanzte sich auch Richard in seinen letzten Lebensjahren in einer Wohnung, mied die Außenwelt. War eine Art Gefangener. Er sei ein Lebenskünstler, aber ohne Antrieb gewesen, sagt die Schriftstellerin im Interview.

Fiktion und Realität

Dorothea Westphal: Das war in den siebziger Jahren. Wie sehr ähnelt denn die Figur im Roman ihrem Bruder?
Monika Helfer: Es ist natürlich viel Fiktion dabei. Aber im Grunde ähnelt sie ihm sehr. Und ich denke, wenn mein Bruder das lesen könnte, er wäre damit einverstanden. Es würde ihm an der Figur gefallen, dass sie so gar nicht in die Gesellschaft passt, er wollte nämlich auch nie in die Gesellschaft passen. Er hat immer gedacht, es ist besser, ein Außenseiter zu sein, als so zu tun wie alle.
Westphal: Warum haben Sie sich dafür entschieden, gleich zu Beginn des Buches zu erzählen, dass die Geschichte nicht gut ausgehen wird?
Helfer: Ich mag es nicht, wenn alles auf ein Ende hin erzählt wird. Ich möchte gerne, dass man am Anfang schon weiß, wie es ausgeht. Dann ist alles viel spannender.
Westphal: Bereits in ihrem Roman „Vati“ lassen Sie ihren Bruder sagen: „Wenn alles schiefgeht, kann ich mich ja immer noch umbringen.“ Er hatte das also scheinbar schon lange im Sinn. Wurde darüber gesprochen in ihrer Familie?
Helfer: Nein, es wurde nicht darüber gesprochen. Das war ein Hauptsatz von ihm, den hat er öfter gesagt. Aber die Familie hat ihm das nicht geglaubt. Die hat es nicht ernst genommen.
Westphal: Sie bezeichnen ihren Bruder als "Schmähtandler", was meinen Sie damit?
Helfer: Das ist ein Wiener Ausdruck. Das ist einer, der mit der Wahrheit wenig anfangen kann. Dem die Wahrheit nicht genügt. Der findet das, was er sagen will, manchmal zu langweilig, und schmückt es etwas aus.

Kitti, Putzi und der Hund

Westphal: Man hört ja von Autorinnen und Autoren immer wieder, dass es gerade die abstrusesten Begebenheiten sind, die zu Geschichten werden. Ist das bei Ihnen auch so?
Helfer: Ja, oft hört man eine Geschichte und denkt, das kann ich unmöglich schreiben. Das glaubt dir kein Mensch. Dabei ist es dann doch wahr. Zum Beispiel die Sache mit der Badewanne. Ich habe sogar ein Foto, auf dem man meinen Bruder in dieser Badewanne sieht.
Mein Bruder schlenderte am See und hat diese Wanne gesehen. Leute stellen oft ab, was sie nicht mehr brauchen. Und da stand halt diese Wanne. Dreckig und rostig. Aber er dachte: Die ist für mich. Hat sie gereinigt und sich damit aufs Wasser begeben.
Zusammen mit dem Hund. Das Problem war aber, dass er nicht schwimmen konnte. Aber daran hat er gar nicht gedacht. Und er wäre beinahe ertrunken. Gerettet wird Richard von der schwangeren Kitti, die ihr zweites Kind erwartet.
Daraus entwickelte sich ein spezielles Verhältnis. Diese Kitti ist eine tragische Figur. Sie hat keine Empathie und drängt dem Richard ihre Tochter Putzi auf. Sie lässt ihm das Kind für ein paar Monate. Diese Geschichte klingt erfunden, ist es aber nicht.
Westphal: Er nimmt auf eine hinreißende Weise das Kind an. Warum macht er das?
Helfer: Ich glaube, er hat sich richtig in das Kind verliebt. So wie er auch seinen Hund sehr liebte. Sie waren so eine Art kleine Familie. Er verliert später beide auf tragische Weise. Putzi wird ihm weggenommen. Die beiden hatten sich gesucht und gefunden. Putzi mochte den Richard sehr. Alle Arbeit teilten sie sich. Es hat ihr einfach gefallen, dass sie so behütet war. Sie war das nicht gewohnt. Mit ihrer Mutter war sie an unsicheren Plätzen. Bei Richard hatte sie eine sichere Zeit. Der war den ganzen Tag für sie da.

Ein Mann ohne Antrieb

Westphal: Ihr Bruder war Schriftsetzer, ein Beruf, den es heute nicht mehr gibt.
Helfer: Wir haben öfter darüber geredet, aber das passte auch zu ihm, dass er einen Beruf hatte, der aussterben würde. Mein Bruder war eine Art Lebenskünstler. Er hat einfach versucht, das Leben so gut wie möglich hinter sich zu bringen.
Westphal: Richards Schwester bezeichnet ihn als Mann ohne Antrieb.
Helfer: Ja, er war ja begabt als Maler. Ich habe mal zu ihm gesagt: Mach doch was draus. Aber nein, er hatte keinen Ehrgeiz. Und wenn jemand zu ihm gesagt hat, das Bild gefällt mir gut, dann antwortete er: Nimm es doch mit. Er hatte eine große Begabung.
Westphal: Was zog Frauen an ihm an?
Helfer: Vielleicht seine Gleichgültigkeit. Er hatte etwas Unernstes, das hat Frauen gefallen.
Westphal: Hat seine Art, sein Verhalten, etwas mit seiner Kindheit zu tun, mit dem frühen Tod der Mutter? Da war er fünf. Und mit dem Vater, der sich nicht um ihn kümmern konnte?
Helfer: Man neigt ja immer dazu, alles in der Kindheit verankert zu sehen. Bei ihm trifft das schon zu. Als die Mutter gestorben war, kam er zu einer Tante. Und zu einem Onkel, der blind war und sehr laut, nicht böse, aber unangenehm für ein Kind. Da hat er sich nicht wohl gefühlt.
Westphal: Treffen Sie mit Ihren Büchern einen Nerv der Zeit?
Helfer: Ich glaube schon. Mir ist aufgefallen, dass die Leute, die meine Familiengeschichten lesen, sich an ihre eigene Familie erinnert fühlen.

Gegenseitige Inspiration

Westphal: Ihr Mann, Michael Köhlmeier, tritt im Roman als Ratgeber auf. Trauten Sie Ihren eigenen Erinnerungen nicht?
Helfer: Nein, das nicht. Michael hat einfach viel von meinem Bruder gewusst. Die beiden hatten viel gemeinsam. Eigentlich hat mich mein Mann auch auf die Idee gebracht, über meine Familie zu schreiben, ich hatte ihm oft davon erzählt.
Westphal: Ist Ihr Mann auch Ihr erster Leser?
Helfer: Ja, ich lese seine Manuskripte auch zuerst. Und dann ist es für das Lektorat ja auch viel einfacher. Unsere Manuskripte sind schon immer gut durchgearbeitet, wenn wir sie zum Verlag geben.
Westphal: Was sagt denn Ihr Mann zu Ihrem literarischen Erfolg?
Helfer: Der freut sich. Früher war immer er derjenige, der das Geld verdient hat und den man kannte. Jetzt kennen die Leute mich. Das ist schon ein gutes Gefühl!

Monika Helfer: „Löwenherz“
Carl Hanser Verlag, München 2022
192 Seiten, 20 Euro

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