Monika Maron: "Munin oder Chaos im Kopf"
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018
221 Seiten, 20,- Euro
Ein minutiös dargestellter Nachbarschaftskrieg
Stilistisch elegant schildert die Autorin, wie sich ein Nachbarschaftskrieg entspinnt, während die Protagonistin an einem Text über den Dreißigjährigen Krieg arbeitet. Eine Annäherung an die Themen Gewalt und Toleranz, damals und in der Gegenwart.
Für ein paar Sommerwochen igelt sich Mina Wolf, eine allein lebende Journalistin fortgeschrittenen Alters, in ihrer Berliner Wohnung ein, um an einem Auftragstext über den Dreißigjährigen Krieg zu schreiben.
Dies ist das Setting des neuen Romans von Monika Maron "Munin oder Chaos im Kopf". Auf verschiedenen Fährten nähert er sich einem hochaktuellen Thema: Barbarisch entfesselte Gewalt.
Auf die Gegenwart übertragbar
Je tiefer sich Mina Wolf in die Lektüre über den Dreißigjährigen Krieg versenkt, desto eindringlicher fragt sie sich, ob dessen sozialgeschichtliche und ideologische Verhältnisse auf die täglichen Terror- und Schreckensmeldungen der Gegenwart übertragbar sind; ob wir uns, ohne es wahrhaben zu wollen, in einem Vorstadium des Krieges befinden. Denn auch in ihrer unmittelbaren Umgebung beobachtet die Ich-Erzählerin beunruhigende Vorgänge.
Im Haus gegenüber lebt eine als verrückt geltende Frau, die von ihrem Balkon aus Lärmterror verbreitet. Stundenlang brüllt sie Opernarien in die Straße und lässt zur Begleitung einen Kassettenrekorder laufen.
Aus dem Unmut der Nachbarn über die permanente Ruhestörung entsteht eine Bürgerinitiative und damit ein Lagerkampf zwischen toleranzbereiten und radikalen Anwohnern. Unversehens lädt sich die Atmosphäre der beschaulichen Wohnstraße mit Feindseligkeit, ja mit Gewaltbereitschaft auf.
Über die Gegenwärtigkeit des Dreißigjährigen Kriegs
Zu den Stärken des Romans zählt neben seiner stilistischen Eleganz die minutiöse Darstellung eines Nachbarschaftskrieges, der mit Ressentiments zwischen Bildungs- und Kleinbürgern beginnt und mit zerstochenen Autoreifen, Drohbriefen und körperlichen Attacken endet.
Gleichzeitig lässt sich die Geistesverwandtschaft zwischen der literarischen Figur Mina Wolf und ihrer Erfinderin nicht übersehen. Monika Maron trat in den vergangenen Jahren durch eine forciert islamkritische Position und durch ihre scharfe Kritik an der Flüchtlingspolitik Angela Merkels hervor. Einiges davon kehrt nun in den Reflexionen der Ich-Erzählerin wieder.
Auch die politische Heimatlosigkeit, die Monika Maron in Interviews jüngerer Zeit beklagte, da sie sich von der Linken entfremdet und von der Öffentlichkeit in die rechte Ecke gedrängt fühle, scheint sich ins Mina Wolfs einsamen Selbstgesprächen zu spiegeln.
Einziger Gesprächspartner eine Krähe
Ihr einziger Gesprächspartner ist eine zutrauliche Krähe, die sich mit Wurstbrocken durch die Balkontür ins Wohnzimmer locken lässt und zu Mina Wolfs Verwunderung zu sprechen beginnt.
Die sprechende Krähe, die verrückte Sängerin, die intellektuelle Einzelgängerin: Diesem entrückten Figuren-Trio verdankt Monika Marons neuer Roman seinen literarischen Charme.
Was ihn schmälert, ist ein gelegentliches Übergewicht gesellschaftspolitischer Statements. Unabhängig davon, ob man sie als Leser teilt oder nicht, schaffen sie den Eindruck, die Romanerzählung in den Dienst eines Leitartikels zu nehmen.