Monolog eines Mörders

Der See im späten September übt auf Kron, den Protagonisten in Martin Gülichs Roman, eine besondere Anziehung aus. Dann hat es den Anschein, als würde die Wasseroberfläche im Widerschein der tief stehenden Sonne brennen.
"'Septemberleuchten' habe seine Mutter es genannt, und er habe nie ein passenderes Wort dafür gefunden."

Für Kron ist der See ein Refugium der Stille, das er gern auf dem Uferweg umrundet oder nur so betrachtet. Baden kommt für ihn nicht in Frage, da er sich "etwas so Unwägbarem wie dem Wasser" niemals aussetzen würde. Kron ist kein Macher und trifft ungern Entscheidungen. Verantwortung macht ihn schläfrig.

Doch gerade an seinem Lieblingsplatz, vor der Schönheit der abendlichen Seekulisse, hat sich ein grauenvolles Verbrechen ereignet, bei dem Kron anwesend war. Nun ist es seine Aufgabe, den Tatvorgang zu rekonstruieren, und es stellt sich die Frage, inwieweit er aktiv daran beteiligt war.

Alles in Gülichs Roman wird in einem langen Monolog aus dem Erinnerungspotential Krons heraus rekonstruiert. Indem sein Sprachvermögen durchgängig im Konjunktiv wiedergegeben wird, entsteht ein distanzierter, nahezu sachlicher Stil. Kron nimmt erstaunt zur Kenntnis, was dieser Mann Kron zu Protokoll gibt.

Die Tat sei nicht geplant gewesen. Das Aufeinandertreffen mit Vanek und Gerland am Samstagnachmittag in der Stadt sowie die Idee gemeinsam zum See zu fahren, um einen geselligen Abend bei Sonnenuntergang zu verbringen, hätten sich ganz nebenbei ergeben. Zuvor hätten sie im Restaurant gegessen. Dabei sei ein ihm unbekannter Mann im Wintermantel anwesend gewesen, der auf ihn einen erbärmlichen Eindruck gemacht hätte. Bereits während des Essens sei es zu einem Übergriff Gerlands auf den Mann gekommen. Kron hätte die devote Reaktion des Mannes irritiert, der sich nicht gewehrt habe. Ihm war auch unklar, worum es ging, aber er hätte geschwiegen.

Zu viert fuhren sie zum See. Dort kam es durch Vanek, Gerland und durch Kron - schließlich wollte dieser sich nicht widersetzen - zu massiven Gewaltausbrüchen gegen den Mann, bis dieser am Boden lag. Splitternackt und durch Stricke gänzlich wehrlos gemacht, hätten sie ihn am Seeufer vergraben, obwohl er sich noch bewegt habe.

"Eine kaum merkliche Regung seiner rechten Hand, ein Zucken, ein letztes Zeichen hinaus in die Welt."

Krons Mittäterschaft zeigt sich nicht nur als ein erschreckendes Defizit an eigener Meinungsbildung und sozialer Kompetenz. Gewissenlos und kalt nimmt er an den Gewaltexzessen teil, aus Angst, von der Gruppe ausgeschlossen zu werden. Er schaut weg, wenn er handeln müsste.

Martin Gülichs narrative Kunst besteht darin, das Psychogramm eines Täters aus sich selbst heraus zu skizzieren. Dabei tastet er die Skala seines Leidens ab, ohne die Not des Opfers zu reflektieren. Er fragt sich auch nach der Tat nicht, warum er an einem Tötungsverbrechen teilgenommen hat, für das es keinen Anlass gab.

Besprochen von Carola Wiemers

Martin Gülich: Septemberleuchten
Nagel & Kimche, München 2009
123 Seiten, 14,90 Euro