Erspart uns Kulturhauptstädte!
Im belgischen Mons stürzte eine Installation ein, auch in der tschechischen Bier-Metropole Pilsen funktioniert kaum etwas. Dabei sind die beiden Orte die Europäischen Kulturhauptstädte 2015. Der Autor Marko Martin könnte auf den Titel gut verzichten.
Was haben das wallonische Städtchen Mons und das tschechische Pilsen miteinander gemeinsam? Beide kennen die Strukturprobleme postindustrieller Gesellschaften.
Die Bergwerkshütten und Mienen rund um Mons sind seit Jahrzehnten geschlossen; viel ist seither nicht geschehen - und wer die äußerlich aufgehübschte Stadt besucht, hat das Gefühl, sich im Inneren eines besonders tristen Georges-Simenon-Romans zu befinden.
Nach dem Revolutionsjahr 1989 hatte sich Pilsen mit Ähnlichem herumschlagen müssen: Der riesige Staatskonzern Skoda war pleite, das gleiche galt für die staatliche Brauerei.
Libeskind baut für mehrere Millionen Euro in Mons
Doch wusste eine kluge Wirtschaftspolitik ausländische Investoren anzulocken, die einzelne Skoda-Bereiche übernahmen und auch die Brauerei kauften, um sie profitabel zu machen. Arbeitsplätze wurden damit nicht nur erhalten, sondern auch für die Zukunft gesichert. Darüber hinaus entwickelte sie einen Industriepark, der nun um einen Forschungs- und Technologiepark erweitert werden soll.
In Mons entsteht derweil für Millionensummen ein neues Kongresszentrum. Entworfen hat es kein Geringerer als der Star-Architekt Daniel Libeskind, so dass sich die Honoratioren der Stadt unbändig freuen dürfen.
Würde Europa nun wirklich zusammenwachsen, wie es in nahezu jeder Sonntagsrede heißt: Beide Stadtentwicklungen ließen sich diskutierend abgleichen, man könnte zuhören und lernen. Umso mehr beide Städte zwölf Monate lang den stolzen Titel "Europäische Kulturhauptstadt" als Metropolen-Doppel tragen werden.
Um es frei heraus zu sagen: Es ist höchste Zeit, mit diesem pompösen Defilee von Konzepten und Ideen aufzuhören, die Millionen von EU-Steuergeld verschlingen, ohne Völker zu verbinden oder anderweitig wirklich nachhaltig zu sein.
Dabei feiern die Schlüsselwörter "Nachhaltigkeit, Diversität, Innovation" in den Programm-Katalogen beider Städte wahre Orgien.
Doch bei Lichte besehen werden lediglich "street art" und "Kunst-Installationen" präsentiert, gibt es Konzerte und Zirkusaufführungen, ein paar neue Ausstellungen und diverse ranschmeißerisch angekündigte "Jugend-Projekte", die sich nicht entblöden, mit "Be subversive" hausieren zu gehen.
Event-Bürokraten liefern nur törichtes Tingeltangel
Währenddessen hängen arbeitslose marokkanische Jugendliche weiterhin in Mons´ Bahnhofsnähe herum, wo die größte Straße noch immer nach dem Kongo-Völkermörder König Léopold II benannt ist.
Was hier ein jeder weiß, es jedoch nicht offen zu sagen traut: Der Kulturhauptstadt-Status ist vor allem dem cleveren Antichambrieren von Bürgermeister Elio de Rupio zu verdanken, der bis diesen Herbst auch als belgischer Premier amtierte und beste Beziehungen zur Brüsseler EU-Subventions-Bürokratie unterhält.
Und dann gibt es noch eine andere Vergangenheit, die bis in die Gegenwart reicht: Pilsen wurde im Mai 1945 von amerikanischen Truppen unter General Patton befreit. Erst später marschierte die Rote Armee ein. Doch die stalinistische Geschichtslüge hielt bis 1989 an: Amerikaner seien nie und nimmer dort gewesen.
Inzwischen ist Tschechien seit langem Mitglied der NATO, deren militärisches Hauptquartier sich übrigens just in Mons befindet. Gäbe es also nicht gerade jetzt, in Zeiten geopolitischer Herausforderungen und Gefahren, eine weitere thematische Verknüpfung?
Anstatt jedoch West- und Osteuropäern, Belgiern und Tschechen ein wirkliches Gefühl ihrer Zusammenhörigkeit zu vermitteln, fällt den Event-Bürokraten nur törichtes Tingeltangel ein: Brot und Spiele. Auch so kann man Europa unterminieren.
Marko Martin, Jahrgang 1970, lebt als Schriftsteller und Publizist in Berlin. Soeben veröffentlichte er den Essayband "Treffpunkt ´89. Von der Gegenwart einer Epochenzäsur" (Wehrhahn Verlag).