Dünne Story, schlechte Darsteller
Seit Jahrzehnten stampft "Godzilla" durchs japanische Kino, jetzt kommt das Monster in einer US-Produktion wieder auf die Leinwand. Wir sprechen mit dem Filmwissenschaftler Rolf Giesen über Gigantomanie, Special Effects und Menschen in Gummianzügen.
Ulrike Timm: Feuer frei! Die Riesenechse Godzilla radiert mit einem Schlag ihres Schwanzes ganze Stadtviertel aus. Godzilla, das Monster, prescht seit Jahrzehnten durchs japanische Kino und kommt jetzt in einer US-amerikanischen Produktion wieder auf die Leinwand. Bevor wir mit dem Filmwissenschaftler Rolf Giesen darüber sprechen, was an dem Vieh so fasziniert, ein Ausschnitt aus dem Film "Godzilla", der heute ins Kino kommt. Und die Tonspur, die ist schon mal unheilschwanger.
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Das hört sich gar nicht gut an. "Godzilla" – heute kommt der Film ins Kino, und über dieses Ur-Monster des japanischen Films wollen wir sprechen mit dem Filmwissenschaftler Rolf Giesen. Ich grüße Sie!
Rolf Giesen: Schönen guten Tag!
Timm: Und – haben Sie sich gegruselt?
Giesen: Sagen wir, ich habe mich gewissermaßen in Erinnerung unterhalten, in Erinnerung an alte Zeiten aus den 60er- und 70er-Jahren. Ich hatte auch etwas erwartet von dem Film. Natürlich habe ich erwartet, dass es um Fukushima geht, denn in Japan symbolisieren die Monstren natürlich Naturkatastrophen, Erdbeben. Und AKW in Japan stellen eine große Gefahr da. Dieser Anspruch wird aber nur zum Teil eingelöst.
Timm: 160 Millionen Dollar Produktionskosten, die mussten auch verballert werden!
Giesen: Da muss man vorsichtig sein ¬– nie die Summen glauben, die die Presseabteilungen sagen, lassen Sie uns davon ein paar Millionen abziehen.
Timm: Zumindest sehr, sehr teuer war es, diese Monster auf die Leinwand zu bringen. Und das viele Geld – einigen wir uns darauf, ob es nun 160 Millionen sind oder nicht, wissen wir nicht – aber das viele Geld muss ja auch verballert werden.
Giesen: Richtig.
Timm: Gelingt das dem Film oder erschlägt das bloß, das technische Equipment?
Giesen: Früher waren es natürlich Akteure in Gummianzügen. Das war ein Mensch, der Gummianzüge, der Monster Suits trug. Und das wird man heute nicht mehr tun, das alles ist CGI, und das Ganze ist natürlich dreimal so groß, mächtig und aufwändig wie früher. Die Zerstörung ist umfangreicher, der Grad an Realismus ist größer, aber die Intensität der Story bleibt dünn. Und noch dünner bleiben die menschlichen Darsteller. Es gibt einen Störfaktor in dem ganzen Film, und das sind die menschlichen Darsteller.
Timm: Die agieren dann etwas hilflos vor der ganzen Technik?
Giesen: Ja.
Timm: Dann schauen wir uns das Monster mal höchst selbst an, das ja ein japanisches Monster ist, ein Kino-Viech seit über 60 Jahren, auch jenseits dieses aktuellen Films. Wofür steht dieses Monster, wofür steht Godzilla?
Wie Godzilla zu einem positiven Helden wurde
Giesen: Die Japaner hatten amerikanische Monsterfilme gesehen von Ray Harryhousen, "The Beast from 20.000 Fathoms", mit Paul Hubschmid übrigens, und darin wurde ein Monstrum durch Nuklearenergie geweckt. Und sie haben gesagt, das ist eine Sache, die uns nach Hiroshima und Nagasaki sehr angeht, und sie wollten die Verkörperung der Atombombengefahr in einem sehr eindringlichen, monströsen Film 1954 ausdrücken. Das ist ein Film, der immer noch unter die Haut geht, weil er so nahe an Hiroshima und Nagasaki dran ist. Die Leute, die es gemacht haben, waren wirklich noch – sie haben das alles noch erlebt, und man spürt die Intensität.
Timm: Gibt es denn einen echten zeitgeschichtlichen Bogen zwischen diesem ersten Godzilla-Film 1954, der sich auf Hiroshima bezog, und diesem jetzigen, der Fukushima doch zumindest zum Anlass nimmt?
Giesen: Es gab dann mehrere Wellen. Es gab dann die Idee, King Kong gegen Godzilla antreten zu lassen, also ein amerikanisches Monster gegen ein japanisches, und ab diesem Moment, das heißt ab den frühen 1960er-Jahren wurde das Ganze bilderbuchartig. Es wurde auch immer mehr auf ein junges, auf ein jugendliches und zum Schluss ein Kinderpublikum abgezielt. Godzilla wurde dann zu einem positiven Helden, der es mit anderen Monstren zu tun bekam. Und das Ganze war dann eine Klopperei zuerst in Großstädten, und später, als die Filme immer billiger wurden, immer kleiner wurden, da zog man sich auf irgendwelche Inseln zurück, weil die Dekorationen leichter und kostengünstiger zu bauen waren.
Das ging so bis zur Krise der japanischen Filmindustrie in den frühen 1970er-Jahren. Dann gab es eine neue Renaissance, eine Renaissance Mitte der 1980er-Jahre, als die Toho-Studios mit einer weiteren Serie von Godzilla-Filmen aufwarteten. Zu der Zeit waren auch die Amerikaner schon sehr interessiert, denn viele dieser Filme waren in Amerika Erfolge, aber erst durch einen deutschen Regisseur, durch den Kollegen Roland Emmerich, gelang es dann, Godzilla wirklich nach Amerika zu holen.
Timm: Verzeihen Sie, vielleicht bin ich einfach zu monsterfilmabstinent, aber was genau fasziniert an einer Riesenechse mit Stampferbeinen und ziemlich kleinem Kopf? Ist das irgendein archaischer Typus?
Giesen: In Japan, und das ist das Entscheidende, wurden Special Effects nicht auf Realismus getrimmt. Darum ging es überhaupt nicht. Es ging um eine, fast hätte ich gesagt, expressionistische Darstellung von Spielzeuglandschaften. Es war also eine jugendliche, eine knabenhafte Gigantomanie, so als ob man irgendwelche Modelleisenbahnen kaputt macht. Das ist heute zerstört durch CGI. CGI ist absolut realistisch, und die Freude am Stabil-Baukasten, die ist natürlich heute nicht mehr gegeben.
Timm: Wir sprechen mit dem Filmwissenschaftler Rolf Giesen über das Kinomonster Godzilla. Herr Giesen, Godzilla ist ja eine Konstruktion aus zwei japanischen Wörtern: aus dem Wort für Gorilla und aus dem für Wal – das habe ich gelesen. Ist dieses Monster per se eigentlich sehr japanisch?
Japan - eine Insel auf dem Buckel eines Monsters
Giesen: Ja, ich möchte es schon sagen. Natürlich sind Kennzeichen von Dinosauriern da eingearbeitet, von Tyrannosaurus und Stegosaurus, aber die japanische Mythologie hält diese Art von Monstren doch bereit, weil sie ja die Verkörperung der Naturkatastrophen sind. Erdbeben sind in Japan fast an der Tagesordnung, und es ist so, als ruhe die ganze Insel auf dem Buckel eines gewaltigen Monstrums. Und irgendwann rüttelt und schüttelt die Erde, und das ist für die Japaner so, als würde ein Monster aufwachen. Darum ist gerade diese Form von asiatischem Monster sehr, sehr japanisch geprägt.
Timm: Wenn man mal auf die Historie des Monsterfilms an sich schaut – kann man eigentlich anhand der Monsterfilme auf die Zeitgeschichte außerhalb des Kinos schließen? Sie haben "King Kong" genannt, "Jurassic Park" – gibt es so was wie einen Kulturwandel des Monsters in der Kinogeschichte?
Giesen: Ja und nein. Bei King Kong haben wir es mit einem fast humanoiden Monster zu tun. Das heißt, hier wird fast eine Liebesbeziehung zu einer Frau, Fay Wray, artikuliert. Das ist bei Reptilien ganz, ganz schwer. Aber es ist gelungen im Laufe der Godzilla-Serie, diesem Monstrum gewisse menschliche Züge zu geben. Ab dem Moment, als es menschenfreundlicher wurde und gegen andere, bösere Monstren antrat, ab dem Moment wurde er so zu einer Art riesenhaften Schutzpolizisten im Pazifischen Ozean.
Also er wurde instrumentalisiert und bekam dann sogar gewisse menschliche Züge. Er wurde ja von einem Menschen gespielt im Gummianzug, und der machte so bestimmte Bewegungen, die natürlich auch, hätte ich fast gesagt, eine Basketball-, ein Footballplayer gemacht hätte.
Timm: Schlagen wir noch mal den Bogen zurück zum Beginn unseres Gesprächs. Sie haben die neueste "Godzilla"-Version sehr vornehm, aber auch sehr klar eigentlich verrissen. Vor diesem Hintergrund – welche Kinomonster haben denn in Ihren Augen wirklich Geschichte geschrieben, welche sollte man sich noch mal anschauen, wenn man kann.
Giesen: Das ist natürlich der erste King-Kong-Film, der immer noch die gesamte Palette, das gesamte Register dieses Genres beinhaltet. Das ist zumindest in einer gewissen Weise als Start "Panik in New York", "The Beast from 20.000 Fathoms" mit Paul Hubschmid, den ich bereits genannt habe. Darauf aufbauend ist "Godzilla" natürlich einzigartig, und seitdem ist in dem Genre nicht so viel passiert.
Ab dem Computerzeitalter ist im Grunde der Inhalt der Form geopfert worden. CGI macht alles größer und realistischer, aber die Storys sind dünner geworden, es sind Kompromisse. Also, ich sehe in dem neuen Film, der wahrscheinlich der größte aller Monsterfilme ist, aber wir haben letztens auch "Pacific Rim" gehabt, das war auch ein Monsterfilm, in ähnlicher CGI-Qualität. Das macht alles größer und teurer und es stürzt alles mehr ein, aber man interessiert sich nicht mehr so sehr für das Drama. Das Drama leidet.
Timm: Der Filmwissenschaftler Rolf Giesen über Filmmonster früherer und jetziger Zeiten. Heute kommt "Godzilla" ins Kino, aber von den Filmmonstern empfiehlt er eher die älteren. Herzlichen Dank fürs Gespräch!
Giesen: Ich danke auch!
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