Montage des Bösen
Der Journalist Joachim Gaertner hat die persönlichen Unterlagen der Columbine-High-School-Attentäter eingesehen und Auszüge zu einem dokumentarischen Roman montiert. In ihren Schulaufsätzen, Tagebucheintragungen oder Online-Chats treten Hinweise auf die Tat im Jahr 1999, bei der 13 Menschen starben, deutlich zu Tage – und wurden übersehen.
Das letzte Schuljahr ist gerade erst angebrochen, und Dylan Klebold denkt in einem Aufsatz über die Wahl des richtigen Studienortes und seine berufliche Laufbahn nach: "Ich werde vermutlich zu entscheiden haben", schreibt er, "wie der Rest meines Lebens aussehen wird." Der Text stammt vom 18. August 1998. Ein halbes Jahr später stürmen Dylan und sein Freund Eric Harris schwer bewaffnet in die Columbine High School in Jefferson County, Colorado. Sie erschießen zwölf Mitschüler und einen Lehrer, verwunden 24 weitere Menschen und bringen sich anschließend in der Bibliothek der Schule selbst um.
Dylans Gedanken über seine Zukunft gehören in eine Sammlung von knapp 1000 Seiten mit persönlichen Unterlagen der beiden Täter, die die Ermittlungsbehörden nach dem Attentat sicherstellten. Der deutsche Journalist Joachim Gaertner konnte das Material einsehen und hat jetzt einen Teil davon in Form eines "dokumentarischen Romans" veröffentlicht: "Ich bin voller Hass - und das liebe ich" ist eine Montage aus Schulaufsätzen, Tagebucheintragungen und Online-Chats, die durch Verhörprotokolle, Statements von Polizeipsychologen und Interviews mit Mitschülern ergänzt werden. Gaertner geht es weniger um die genaue Rekonstruktion des Tathergangs als um die beklemmende Frage, wie zwei durchschnittlich begabte Teenager über Monate hinweg einen Massenmord vorbereiten können, ohne dass ihre Umgebung Notiz davon nimmt.
Die beiden waren nicht einmal besonders vorsichtig: Eric zum Beispiel bringt bereits im Sommer 1998 eine selbstgebaute Rohrbombe mit in die Pizzeria, in der er nach der Schule arbeitet, und präsentiert sie im Umkleideraum stolz einem Kollegen. Kurz darauf kaufen Dylan und er auf einer Waffenschau eine doppelläufige Schrotflinte und ein Repetiergewehr und beschaffen sich über einen Bekannten eine halbautomatische Pistole. Die beiden rüsten sich für einen "Zwei-Mann-Krieg gegen alle anderen". Doch während sie im Netz bereits Hasstiraden veröffentlichen und ankündigen, möglichst viele Menschen "zu töten und zu verletzen", spielen sie zu Hause und in der Schule noch nach den Regeln. Zumindest auf den ersten Blick. Für seine Eltern ist Dylan ein "ganz normaler Heranwachsender", der lediglich "manchmal sehr kurz angebunden ist", und es scheint auch niemanden zu irritieren, als er im Herbst 1998 einen engagierten Aufsatz über die "Denkweise" und "Motive" des Psychopathen und Mörders Charles Manson einreicht.
Es sind die Erwachsenen und nicht die Teenager, die eine Wand um sich errichten: Am verstörendsten sind jene Momente in Joachim Gaertners Montage des Bösen, in denen die Hinweise auf die bevorstehende Tat deutlich zu Tage treten – und übersehen werden. Dylan zum Beispiel verfasst wenige Wochen vor dem Massaker im Rahmen des Creative-Writing-Unterrichts eine Kurzgeschichte über einen Killer, der ein Blutbad unter Schülern anrichtet. Doch seine Lehrerin liest den Text nicht einmal zu Ende, weil eine Frau darin als "pussy" bezeichnet wird: "Ich fühle mich beleidigt von deiner vulgären Ausdrucksweise!", schreibt sie nach der Hälfte an den Rand: "Nimm zur Kenntnis, dass ich ab hier aufgehört habe zu korrigieren." Kurz darauf ist es zu spät, um noch etwas zu verbessern. Das ist die Tragödie, die dieses Buch erzählt.
Rezensiert von Kolja Mensing
Joachim Gaertner: Ich bin voller Hass – und das liebe ich
Dokumentarischer Roman
Aus den Original-Dokumenten zum Attentat an der Columbine Highschool
Eichborn Berlin, Berlin 2009
186 Seiten, 16,95 Euro
Dylans Gedanken über seine Zukunft gehören in eine Sammlung von knapp 1000 Seiten mit persönlichen Unterlagen der beiden Täter, die die Ermittlungsbehörden nach dem Attentat sicherstellten. Der deutsche Journalist Joachim Gaertner konnte das Material einsehen und hat jetzt einen Teil davon in Form eines "dokumentarischen Romans" veröffentlicht: "Ich bin voller Hass - und das liebe ich" ist eine Montage aus Schulaufsätzen, Tagebucheintragungen und Online-Chats, die durch Verhörprotokolle, Statements von Polizeipsychologen und Interviews mit Mitschülern ergänzt werden. Gaertner geht es weniger um die genaue Rekonstruktion des Tathergangs als um die beklemmende Frage, wie zwei durchschnittlich begabte Teenager über Monate hinweg einen Massenmord vorbereiten können, ohne dass ihre Umgebung Notiz davon nimmt.
Die beiden waren nicht einmal besonders vorsichtig: Eric zum Beispiel bringt bereits im Sommer 1998 eine selbstgebaute Rohrbombe mit in die Pizzeria, in der er nach der Schule arbeitet, und präsentiert sie im Umkleideraum stolz einem Kollegen. Kurz darauf kaufen Dylan und er auf einer Waffenschau eine doppelläufige Schrotflinte und ein Repetiergewehr und beschaffen sich über einen Bekannten eine halbautomatische Pistole. Die beiden rüsten sich für einen "Zwei-Mann-Krieg gegen alle anderen". Doch während sie im Netz bereits Hasstiraden veröffentlichen und ankündigen, möglichst viele Menschen "zu töten und zu verletzen", spielen sie zu Hause und in der Schule noch nach den Regeln. Zumindest auf den ersten Blick. Für seine Eltern ist Dylan ein "ganz normaler Heranwachsender", der lediglich "manchmal sehr kurz angebunden ist", und es scheint auch niemanden zu irritieren, als er im Herbst 1998 einen engagierten Aufsatz über die "Denkweise" und "Motive" des Psychopathen und Mörders Charles Manson einreicht.
Es sind die Erwachsenen und nicht die Teenager, die eine Wand um sich errichten: Am verstörendsten sind jene Momente in Joachim Gaertners Montage des Bösen, in denen die Hinweise auf die bevorstehende Tat deutlich zu Tage treten – und übersehen werden. Dylan zum Beispiel verfasst wenige Wochen vor dem Massaker im Rahmen des Creative-Writing-Unterrichts eine Kurzgeschichte über einen Killer, der ein Blutbad unter Schülern anrichtet. Doch seine Lehrerin liest den Text nicht einmal zu Ende, weil eine Frau darin als "pussy" bezeichnet wird: "Ich fühle mich beleidigt von deiner vulgären Ausdrucksweise!", schreibt sie nach der Hälfte an den Rand: "Nimm zur Kenntnis, dass ich ab hier aufgehört habe zu korrigieren." Kurz darauf ist es zu spät, um noch etwas zu verbessern. Das ist die Tragödie, die dieses Buch erzählt.
Rezensiert von Kolja Mensing
Joachim Gaertner: Ich bin voller Hass – und das liebe ich
Dokumentarischer Roman
Aus den Original-Dokumenten zum Attentat an der Columbine Highschool
Eichborn Berlin, Berlin 2009
186 Seiten, 16,95 Euro