Montenegro

Glanzlose Perle der Adria

Flagge Montenegro
Die Flagge von Montenegro im Wind © imago/ITAR-TASS
Von Stephan Ozsvàth |
Vor zehn Jahren erklärte Montenegro seine Unabhängigkeit. Zu mehr Demokratie hat es nicht geführt, klagen Menschenrechtler. Im Gegenteil: Korruption und Bestechung sind an der Tagesordnung, Journalisten werden bedroht und angegriffen.
Es ist ein rauschendes Fest gewesen damals im alten Regierungsgebäude am Westufer der Moraca. Hunderte jubelnde Menschen, fahnenschwenkend, trunken vor Glück.
Dragoljub Zizic präsentiert mit Stolz das Video, das ihn vor zehn Jahren zeigt. Es ist die Nacht des Referendums. Das Ergebnis damals ist durchaus knapp. 55,5 Prozent der Montenegriner stimmen für die Unabhängigkeit. Der starke Mann Montenegros, Milo Djukanovic, verkündet das Ergebnis.
Die EU-Kommission hatte ein Quorum von 55 Prozent zur Bedingung gemacht. Am Ende waren es nur etwa 45.000 Stimmen mehr als nötig.
Tausende demonstrieren für Unabhängigkeit Montenegros. Im Mai 2006 Kundgebung in Podgorica
Seit Juni 2006 unabhängig, Montenegro, Podgorica© picture alliance / dpa / epa / Koca Sulejmanovic
Viele der Stimmen für die Unabhängigkeit seien von den ethnischen Albanern gekommen, erinnert sich Ismet Karamanaga im Küstenstädtchen Ulcinj an der Grenze zu Albanien.
"Der montenegrinische Staat soll sehr dankbar sein zu Albanern und Muslimen. Die 7 % Albaner und 14 % Muslime haben damals die Zahl ausgemacht. Albaner kamen aus Amerika, aus Deutschland, von überall, um 'JA' zu sagen."
Der Norden Montenegros dagegen – die Gebiete, die an Serbien grenzen – sie stimmen seinerzeit für den Verbund mit dem großen Nachbarn, viele schwenkten damals die jugoslawische Fahne. Vergeblich. Sie waren knapp in der Minderheit. Montenegro wurde in dieser Nacht im Mai 2006 unabhängig, befreite sich aus der Umklammerung Belgrads.
"Imamo Drzavu!", wir haben einen Staat, rufen die Menschen damals fahnenschwenkend. Und sie singen das Lied, das heute die Nationalhymne Montenegros ist.

Erst die D-Mark, jetzt der Euro

Schon vor der Unabhängigkeit gab es Vorboten: Neues Geld kam nach Montenegro. Erst die D-Mark, später der Euro. Mit ihm bezahlt man heute in den Läden von Podgorica. In Euro werden auch die Löhne ausbezahlt, obwohl Montenegro noch nicht EU-Mitglied ist.
Ljubisa Krgovic war damals daran beteiligt, den Dinar abzuschaffen und neues Geld in das kleine Adria-Land zu holen. Der großgewachsene Montenegriner war Finanzberater im Büro des Ministerpräsidenten, später Notenbankchef. Er hat – zusammen mit US-Experten – die Währungsumstellung vorbereitet. Rückblickend sagt er.
"Die Einführung der Deutschen Mark war ein sehr wichtiger Schritt in diesem Prozess. Nach dem Kosovo-Krieg haben wir quasi unser eigenes Finanzsystem aufgebaut - noch vor dem Referendum. Nach der Einführung der Deutschen Mark um die Jahrtausendwende haben wir schon wie ein eigener Staat funktioniert."

Ex-Banker gegen Clan

Der frühere Notenbank-Chef Montenegros deutet über seinen Weinberg – auf antike Ausgrabungen zwischen den Weinreben, nur wenige Kilometer entfernt liegt die Hauptstadt Podgorica.
Während der Ex-Banker kühlen Chardonnay in die Gläser gießt, erzählt er: Das Weinmachen sei schon länger sein Hobby gewesen. Vor zwölf Jahren habe er dann angefangen, Reben zu pflanzen. Als er die Bank verlassen hat, habe er aus dem Hobby seinen Beruf gemacht.
Krgovic hat die Bank nicht freiwillig verlassen. Der herrschende Djukanovic-Clan hatte ihn fallen lassen. Der mächtigen Familie gehört die Prva Banka zur Hälfte. Das Geldhaus war in Schieflage geraten – Premier Djukanovic wollte die Prva Banka – und damit das Geld seiner Familie - mithilfe der Staatsschatulle retten. Krgovic verweigerte einen Kredit. Die Bank wurde gerettet.
Krgovic hatte sich mächtige Feinde gemacht, musste gehen. Seine Familie hat er vorsorglich eine Zeitlang lieber ins Ausland gebracht.

Nur wenige haben profitiert

Viele Glückritter kamen nach der Unabhängigkeit des Landes nach Montenegro. Gewaschenes Geld aus dunklen Geschäften floss in Immobilien-Projekte, Staatsbetriebe wurden für schnelles Geld privatisiert. Das hat seinen Preis. Wirtschaftsexperte Krgovic macht einen massiven Reformstau im Land aus.
"Wir haben die Chancen der Unabhängigen nicht genutzt. Wir haben keine nachhaltige Wirtschaft. Unsere Staatsschulden liegen bei 70 Prozent. Wir haben so viele Ressourcen verschleudert, ohne dass sich der Lebensstandard erhöht hätte. Statt mit Privatisierungen den Wohlstand aller zu steigern, profitieren nur einige mit guten Beziehungen zu den Spitzenpolitikern. Sie wurden reich, aber die Bürger leben auf dem gleichen Niveau wie vorher."

Klientel-Politik und Korruption

Es gibt viele verwitterte Wohnblocks mit Graffiti in der Hauptstadt Podgorica. Man sieht ihnen an, dass hier schon lange kein Geld mehr investiert wird. Wer mit einem 50 Euro-Schein bezahlt, bringt die Verkäufer in den Läden morgens in Verlegenheit – sie haben kein Wechselgeld. Kein Wunder: Nur 500 Euro verdient ein Montenegriner im Durchschnitt. Dieser Mann klagt.
"Das Schlimmste ist , dass es keine Perspektive gibt. Es herrscht totale Korruption. Wenn du nicht schmieren kannst oder keine Beziehungen zur Regierungspartei hast, gehst Du unter. Das ist für mich das größte Problem. Ich sage nicht, dass es vor der Unabhängigkeit gut lief, auch damals war es schlecht, aber jetzt ist es viel schlechter."
Der Landschaftsgärtner aus Podgorica ist Serbe. Er sei sogar in die Regierungspartei eingetreten, um einen Job zu bekommen, erzählt er. Die dauerhafte Treue zu Djukanovic ist ihre Arbeitslosenversicherung, glauben sie. Der Landschaftsgärtner wurde trotzdem nach einem Jahr wieder gefeuert. Der Stimmenkauf hat seinen Preis, meint Vuk Maras von der Anti-Korruptions-Bewegung MANS.
"Montenegro ist das einzige Balkan-Land, das seine Eliten seit mehr als 25 Jahren nicht ausgetauscht hat. Das hat eine klientelistische Regierung geschaffen. Dort sitzen die selben Leute, die dort schon seit Jahren sitzen. Und diese Leute sitzen da nicht, weil sie mit einem Programm Stimmen gewinnen müssen bei Wahlen. Sie regieren, weil sie verschiedene Methoden des Stimmenkaufs nutzen, in der Regel mit öffentlichen Geldern. Natürlich alles zum Wohle der regierenden Sozialisten und Djukanovic selbst."
Ein Straßenmusiker sitzt am neu geschaffenen Platz der Unabhängigkeit in Podgorica. Er spielt die Nationalhymne des jungen Adria-Staates. Die Hauptstadt Montenegros ist gerade mal so groß wie Saarbrücken. Vieles kann man hier zu Fuß erledigen. Und jeder kennt jeden.
In den Parks joggen die Hauptstädter – ihren Bedarf an Schuhwerk decken die Läden in der beschaulichen Fußgängerzone. Roma-Kinder betteln um ein paar Münzen, die Cafés sind voll.

Pressefreiheit? Wer wühlt, lebt gefährlich

In einem verwitterten Betonbau nahe dem Unabhängigkeitsplatz von Podgorica ist die Redaktion von "Vjesti" untergebracht. Von außen deutet nichts darauf hin, dass im Innern - in einem stickigen Großraum-Büro - Journalisten eine Zeitung, einen Fernsehkanal und eine Internet-Seite produzieren. Das hat seine Gründe – immer wieder hat es Anschläge auf Journalisten gegeben.
Die Bedingungen für Journalisten sind seit der Unabhängigkeit schlechter geworden, erzählt Chefredakteur Mihajlo Jovovic.
"Hauptsächlich, weil die Regierung nach der Unabhängigkeit entschieden hat, alle kritischen Stimmen zum Schweigen zu bringen. Selbst Stimmen wie "Vjesti", die offen für die Unabhängigkeit waren. Djukanovic hat damals gesagt: Mit Serbien gibt es keine Demokratie.
Viele Menschen haben das geglaubt. Aber nachdem er sein Ziel Unabhängigkeit erreicht hatte, hat er den zweiten Teil unter den Tisch fallen lassen. Demokratie kam nie."

Milo Djukanovic, der starke Mann in Montenegro

Seit mehr als 25 Jahren ist Milo Djukanovic der starke Mann in Montenegro – mal als Regierungschef, mal als Präsident. Und immer wieder taucht der Familien-Name Djukanovic im Zusammenhang mit kriminellen Machenschaften auf: Schmiergelder bei der Privatisierung der Telekom, Zigarettenschmuggel – die Liste der Vorwürfe ist lang, die Beweisführung schwierig.
Der montenegrinische Ministerpräsident Milo Djukanovic wird in Brüssel von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker empfangen. 
Der montenegrinische Ministerpräsident Milo Djukanovic bei einem Treffen mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. © picture alliance / dpa / EPA / Julien Warnand
Und wer wühlt, lebt gefährlich. Seit Djukanovic das Sagen hat, gibt es Angriffe auf Journalisten in Montenegro. In den letzten vier Jahren allein hat es 69 Angriffe auf Journalisten in dem kleinen Adria-Staat gegeben. "Reporter ohne Grenzen" veröffentlicht jedes Jahr eine Rangliste in Sachen Medienfreiheit – dort steht Montenegro auf Platz 114, nur wenige Punkte vor Afghanistan.
Damit füge sich das Adria-Land in die Negativ-Top-Ten des Balkan ein, meint OSZE-Medienbeauftragte Dunja Mijatovic.
"Der ganze Balkan – das frühere Jugoslawien plus Albanien – leidet unter den gleichen Krankheiten, wenn es um Presse- und Meinungsfreiheit geht: Es fehlen eine unabhängige Justiz und Institutionen. Schwierigkeiten bei der Umwandlung von staatlichen in echte öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten. Angriffe auf Journalisten werden nicht untersucht. Es ist der alte Kampf: Es geht um Kontrolle, das Fehlen von Freiheit und Regierungen, die versuchen, die Medien zu kontrollieren."
Zwar hat die Regierung in Podgorica immer wieder Untersuchungen angekündigt, Aufklärung versprochen. Heraus kam dabei nie etwas. Das Klima für Journalisten bleibt feindselig. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns – Montenegro ist entlang dieser Bruchlinie gespalten.
Den Keim dafür habe das Unabhängigkeits-Referendum gelegt, meint der Vjesti-Chefredakteur.
"Das Land ist immer noch gespalten. Denn die Politiker, vor allem die Der Regierung, haben die Zeit seit der Unabhängigkeit nicht genutzt, um diese beiden Gruppen zu versöhnen. Das wurde in ziemlich allen Wahlen als Manipulationswerkzeug genutzt – um nicht über wirklich wichtige Themen reden zu müssen, also Gesundheitswesen, Bildung, Jobs, Wirtschaft. Es war für die Regierenden einfacher darüber zu reden, ob wir Serben oder Montenegriner sind. NATO– Ja oder Nein ? Und ich bedaure, dass es bei den kommenden Wahlen im Oktober auch nicht um die Themen gehen wird, die den Leuten auf den Nägeln brennen."

Opposition gegen NATO-Mitgliedschaft

"Er ist erledigt!", rufen die Demonstranten in der Hauptstadt Podgorica nur wenige Monate vor den Unabhängigkeitsfeierlichkeiten. Und sie meinen damit: Milo Djukanovic.
Es geht um die NATO-Mitgliedschaft des kleinen Adriastaates. Das Parlament hat sie beschlossen. Djukanovic will sie. Die Opposition findet: Darüber hätte es ein Referendum geben müssen. Oppositionsführer Andrija Mandic tönte im Oktober 2015 auf einer Kundgebung in Podgorica.
"Diese Regierung ist erledigt. Sie ist fast am Ende. Wir wollen unser Ziel auf friedliche und zivilisierte Weise erreichen."
Das Ziel des Serben ist es, den starken Mann Djukanovic von der Schalthebeln der Macht zu vertreiben. Wochenlang haben die Montenegriner protestiert. Am Ende kam ein Kompromiss heraus: Djukanovic akzeptiert, dass bis zu den Wahlen im Herbst einige kleinere Oppositionsparteien mit regieren.
Oppositionsführer Mandic macht da nicht mit. Er residiert in einem kleinen Büro im selben Gebäude, in dem auch die deutsche Botschafterin sitzt. Vor zehn Jahren – beim Referendum - hat Oppositionspolitiker Mandic gegen die Unabhängigkeit Montenegros gestimmt. Seine düsteren Prophezeiungen sind eingetroffen, sagt er.
"Die schlimmsten Vorahnungen, die wir als Block für den Erhalt des gemeinsamen Staates mit Serbien hatten, sind wahr geworden. Wir haben damals gesagt: Es wird ein krimineller Privatstaat entstehen, in dem eine Gruppe das Sagen haben wird. Die Mafia hatte auch vorher schon großen Einfluss. Aber mit der Unabhängigkeit bekam sie ihren eigenen Staat."

EU-Beitritt die einzige Hoffnung

Ein EU-Beitritt würde viel zur Demokratisierung Montenegros beitragen, meint Vuk Maras von der Anti-Korruptions-Gruppe MANS.
"Die EU-Integration ist unsere größte Hoffnung, wenn wir auf das Beispiel Kroatien schauen. Dort sind die Institutionen im Vergleich zu vorher viel professioneller. Das hoffen wir auch für Montenegro, dass die verfolgt werden, die unser Land zerstört haben. Dass es eine Art sozialen Ausgleich gibt für die Tausenden, die jahrzehntelang in den Fabriken gearbeitet haben. Diese Mittelschicht ist jetzt verloren."
"Wir leben nicht besser. Alles ist so wie vor der Unabhängigkeit. Vielleicht geht es bestimmten Einzelnen besser, aber uns kleinen Leuten kaum."
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