Monumental und melancholisch
In "Die Elf" von Pierre Michon vermischen sich die Genres. Das essayistische Werk ist fiktional und historisch, wechselt dabei ständig seine Tonlage. Im Mittelpunkt des faszinierenden Romans: ein Riesengemälde im Louvre, das allerdings nie existiert hat.
Pierre Michon, der Meister der Verwandlungen des Kleinen ins Große, hat nach langem Schweigen 2009 ein sehr kleines Buch vorgelegt: eine 120 Seiten lange Exegese über eins der größten Kunstwerke der Geschichte.
Es handelt sich um ein Gemälde, das prominent im Pariser Louvre hängt, nicht nur monumental in seinen Maßen - übermannshoch und mehr als vier Meter breit - sondern auch emblematisch in der Abbildung des Schreckens der Geschichte und gnadenlos ausgeübter Macht. Nur: Dieses Bild, das die elf Mitglieder des einst allmächtigen Wohlfahrtsschusses zeigt, des Machtzentrums während der Terrorjahre der Französischen Revolution – dieses Bild existiert nicht und hat, jenseits der Imagination eines leidenschaftlichen, bildmächtigen und düsteren Schriftstellers, auch nie existiert.
Genauso wenig wie es den Maler je gegeben hat, ein gewisser Francois-Elie Corentin, geboren 1730 in Combleux an der Loire, Schüler Tiepolos und vermutlich als Page abgebildet im Fresko des Meisters im Würzburger Kaisersaal.
Michons Buch über das Gemälde "Die Elf" ist eine höchst faszinierende Mischung aus Roman und Meditation, aus fiktionaler Biografie und historischem Essay, geschrieben in ganz unterschiedlichen Tonlagen entsprechend dem jeweiligen Genre, auf das es gerade anspielt. Mal greift Michon die Muster historischer Mantel- und Degen-Romane auf, mal erhebt er polemisch die Stimme gegen bestimmte Formen der Geschichtsschreibung (wie die des jakobinischen Groß-Historikers Jules Michelet), mal schlägt er die leisen Töne liebevoller Melancholie an, die man aus seinem großen autobiografischen Werk "Leben der kleinen Toten" kennt.
Doch während dieses die Begrenztheit des Lebens der kleinen Leute aus Michons Heimat, dem Limousin, aufzeichnet und nur die Ahnung der Möglichkeit einer freieren und größeren Existenz zulässt, ist in den "Elf" genau das gestaltet und durchdacht, was diese Entgrenzung - historisch, politisch – mit sich brachte. Dass von den elf Mitgliedern des Wohlfahrtsausschusses zehn Schriftsteller waren, angefangen bei Robespierre selbst, ihnen also die Ahnung dieser Möglichkeiten vertraut war, ist in Michons Sichtweise zentral: die Träume der Revolution entstammen dem Bereich der intellektuellen und ästhetischen Spekulation, wenn nicht gar der Fiktion.
Doch als Folge, am Ende, erheben die elf Akteure ihre Stimme "nur, um sich von der Stimme des anderen zu unterscheiden, sie zu übertönen und sie schließlich zusammen mit dem Kopf aus dem sie kam, in den großen Korb zu werfen". Das klingt ein wenig nach Literaturbetrieb.
Historisch landeten sie alle im Korb des Henkers, wie man weiß, zumal die mächtigen Kommissare, die "braven Gelehrten mit den schmutzigen Händen", wie Michon schreibt.
Besprochen von Katharina Döbler
Pierre Michon: Die Elf
Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer
Bibliothek Suhrkamp, Berlin 2013
120 Seiten, 17,95 Euro
Es handelt sich um ein Gemälde, das prominent im Pariser Louvre hängt, nicht nur monumental in seinen Maßen - übermannshoch und mehr als vier Meter breit - sondern auch emblematisch in der Abbildung des Schreckens der Geschichte und gnadenlos ausgeübter Macht. Nur: Dieses Bild, das die elf Mitglieder des einst allmächtigen Wohlfahrtsschusses zeigt, des Machtzentrums während der Terrorjahre der Französischen Revolution – dieses Bild existiert nicht und hat, jenseits der Imagination eines leidenschaftlichen, bildmächtigen und düsteren Schriftstellers, auch nie existiert.
Genauso wenig wie es den Maler je gegeben hat, ein gewisser Francois-Elie Corentin, geboren 1730 in Combleux an der Loire, Schüler Tiepolos und vermutlich als Page abgebildet im Fresko des Meisters im Würzburger Kaisersaal.
Michons Buch über das Gemälde "Die Elf" ist eine höchst faszinierende Mischung aus Roman und Meditation, aus fiktionaler Biografie und historischem Essay, geschrieben in ganz unterschiedlichen Tonlagen entsprechend dem jeweiligen Genre, auf das es gerade anspielt. Mal greift Michon die Muster historischer Mantel- und Degen-Romane auf, mal erhebt er polemisch die Stimme gegen bestimmte Formen der Geschichtsschreibung (wie die des jakobinischen Groß-Historikers Jules Michelet), mal schlägt er die leisen Töne liebevoller Melancholie an, die man aus seinem großen autobiografischen Werk "Leben der kleinen Toten" kennt.
Doch während dieses die Begrenztheit des Lebens der kleinen Leute aus Michons Heimat, dem Limousin, aufzeichnet und nur die Ahnung der Möglichkeit einer freieren und größeren Existenz zulässt, ist in den "Elf" genau das gestaltet und durchdacht, was diese Entgrenzung - historisch, politisch – mit sich brachte. Dass von den elf Mitgliedern des Wohlfahrtsausschusses zehn Schriftsteller waren, angefangen bei Robespierre selbst, ihnen also die Ahnung dieser Möglichkeiten vertraut war, ist in Michons Sichtweise zentral: die Träume der Revolution entstammen dem Bereich der intellektuellen und ästhetischen Spekulation, wenn nicht gar der Fiktion.
Doch als Folge, am Ende, erheben die elf Akteure ihre Stimme "nur, um sich von der Stimme des anderen zu unterscheiden, sie zu übertönen und sie schließlich zusammen mit dem Kopf aus dem sie kam, in den großen Korb zu werfen". Das klingt ein wenig nach Literaturbetrieb.
Historisch landeten sie alle im Korb des Henkers, wie man weiß, zumal die mächtigen Kommissare, die "braven Gelehrten mit den schmutzigen Händen", wie Michon schreibt.
Besprochen von Katharina Döbler
Pierre Michon: Die Elf
Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer
Bibliothek Suhrkamp, Berlin 2013
120 Seiten, 17,95 Euro