Hannah Monyer, Martin Gessmann:
"Das geniale Gedächtnis – Wie das Gehirn aus der Vergangenheit unsere Zukunft macht"
Knaus Verlag, München 2015
256 Seiten, 19,99 Euro
Was das menschliche Gehirn mit unseren Erlebnissen macht
Unser Gehirn ist kein Archiv, sondern ein lebendiges Organ. So ist auch auf unsere Erinnerungen kein Verlass, denn sie werden immer wieder "umgeschrieben", wie Hannah Monyer und Martin Gessmann in ihrem Buch "Das geniale Gedächtnis" darlegen.
Das Gedächtnis ist dazu da, die Vergangenheit originalgetreu aufzubewahren. Tatsächlich? In ihrem neuen Buch "Das geniale Gedächtnis" räumen Hannah Monyer und Martin Gessmann mit veralteten Vorstellungen auf.
Ein Gedächtnis, das lediglich konserviert, ergäbe schon evolutionsbiologisch keinen Sinn, erklären die Hirnbiologin und der Philosoph, denn Lebewesen seien darauf ausgerichtet, ihr Überleben in der Zukunft zu sichern. Dazu tragen auch unsere Erinnerungen bei – und wie vielfältig und erstaunlich sie dies tun, beleuchtet das Buch anhand von Traumforschung, "falschen" Erinnerungen, der Biologie des alternden Gehirns, Aspekten eines "kollektiven Gedächtnisses" und immer wieder ausführlich anhand von Erkenntnissen aus den Neurowissenschaften.
Vor allem die Traumforschung hat viel zu einer neuen Sicht des Gedächtnisses beigetragen, denn sie konnte zeigen, dass Säugetiere in den traumlosen Tiefschlafphasen das, was sie tagsüber an Neuem gelernt haben, immer wieder innerlich abspulen – in hoher Geschwindigkeit, um es zu stabilisieren und zu verdichten. Doch dabei bleibt es nicht, denn anschließend ergreifen die intensiven Traumphasen des Schlafes das Erlernte und führen es in eine Welt der gefühlsgesteuerten Fantasie. "Was wäre wenn?", fragt der Traumschlaf und klopft auf diese Weise die Erfahrungen des Tages darauf ab, welche Rollen sie in möglichen Zukunftsszenarien spielen könnten. Wer aufwacht, hat seine Erinnerungen sowohl gefestigt wie auch aufgefächert und umgeschrieben. All dies muss das Gedächtnis leisten, unterstreicht das Buch.
Frische Erfahrungen statt sterile Sudoku-Übungen
Dennoch kennt jeder Mensch Erinnerungen, die niemals überschrieben werden, sondern wie unbewegte Felsen aus dem Strom der Erfahrungen ragen. Es sind die Erinnerungen unserer Kindheit. Wie kommt es dazu? Die frühen Lebensjahre seien von vielen "ersten Malen" geprägt, erklären die Autoren – die erste Erdbeere im Mund, der erste Sturz vom Fahrrad, das erste Verliebtsein. Ein erstes Mal ist per Definition eben das – es lässt sich nicht um ein zweites oder drittes "erstes Mal" ergänzen. Analog legt das Buch älteren Menschen nahe, ihr Gedächtnis nicht durch sterile Sudoku-Übungen jung zu halten, sondern als Mensch lebendig und für frische Erfahrungen offen zu bleiben. Nur dann finde das Gedächtnis die lebensweltliche Komplexität vor, die es gleichfalls lebendig halte.
Hannah Monyer und Martin Gessmann versprechen im Vorwort, ihre unterschiedlichen hirnbiologischen und philosophischen Perspektiven miteinander ins Gespräch zu bringen. Dabei gerät die Philosophie ein wenig ins Hintertreffen. Statt der vielen Synapsen und Frequenzen hätte man sich größere Reflexionsbögen gewünscht, wie es am Ende des Buches geschieht, wenn es um die Spannung zwischen Freiheit und biologisch determinierten Prozessen im Gehirn geht. Die Botschaft der Autoren bleibt trotzdem ungewöhnlich und interessant. Und am Ende der Lektüre versteht man auch das Zitat des französischen Schriftstellers Paul Valéry ganz vorn: "Das Gedächtnis ist die Zukunft der Vergangenheit".
Dennoch kennt jeder Mensch Erinnerungen, die niemals überschrieben werden, sondern wie unbewegte Felsen aus dem Strom der Erfahrungen ragen. Es sind die Erinnerungen unserer Kindheit. Wie kommt es dazu? Die frühen Lebensjahre seien von vielen "ersten Malen" geprägt, erklären die Autoren – die erste Erdbeere im Mund, der erste Sturz vom Fahrrad, das erste Verliebtsein. Ein erstes Mal ist per Definition eben das – es lässt sich nicht um ein zweites oder drittes "erstes Mal" ergänzen. Analog legt das Buch älteren Menschen nahe, ihr Gedächtnis nicht durch sterile Sudoku-Übungen jung zu halten, sondern als Mensch lebendig und für frische Erfahrungen offen zu bleiben. Nur dann finde das Gedächtnis die lebensweltliche Komplexität vor, die es gleichfalls lebendig halte.
Hannah Monyer und Martin Gessmann versprechen im Vorwort, ihre unterschiedlichen hirnbiologischen und philosophischen Perspektiven miteinander ins Gespräch zu bringen. Dabei gerät die Philosophie ein wenig ins Hintertreffen. Statt der vielen Synapsen und Frequenzen hätte man sich größere Reflexionsbögen gewünscht, wie es am Ende des Buches geschieht, wenn es um die Spannung zwischen Freiheit und biologisch determinierten Prozessen im Gehirn geht. Die Botschaft der Autoren bleibt trotzdem ungewöhnlich und interessant. Und am Ende der Lektüre versteht man auch das Zitat des französischen Schriftstellers Paul Valéry ganz vorn: "Das Gedächtnis ist die Zukunft der Vergangenheit".