Moraltheologe: Kirchen im Konsens über Patientenverfügung
Katholische und evangelische Kirche verbinde ein gemeinsames Grundanliegen bei der Sterbebegleitung, sagt der katholische Moraltheologe Eberhard Schockenhoff im Vorfeld der Präsentation einer überarbeiteten Fassung der gemeinsamen Handreichung zur Patientenverfügung.
Christopher Ricke: In Frieden sterben dürfen, nein sagen zu können zu einer quälenden, leidensverlängernden Medizin, aber nicht sterben müssen, weil vielleicht die Kosten zu hoch sind oder der seelische Druck zu stark, seinen Angehörigen zur Last zu fallen – eins ist ganz klar: Wenn man in der entscheidenden Stunde sich nicht mehr artikulieren kann, hilft es, wenn man vorher eine Patientenverfügung verfasst hat. Die katholische und die evangelische Kirche legen nun eine Handreichung zur Patientenverfügung vor, einen Leitfaden, wie ein Christ im Einklang mit seinem Glauben seinen Willen klar artikulieren kann. Ich spreche jetzt mit dem Professor für katholische Moraltheologie an der Uni Freiburg, Eberhard Schockenhoff, er ist auch Mitglied des Ethikrates. Guten Morgen, Professor Schockenhoff!
Eberhard Schockenhoff: Guten Morgen!
Ricke: Das ist ja schon ein Stück gelebte Ökumene. Wie schwierig war es denn, katholische und evangelische Positionen hier zusammenzubringen?
Schockenhoff: Es gab ja bereits zwei vorangehende Auflagen einer Patientenverfügung, man konnte sich also auf einen gemeinsamen Entwurf, den man schon verabschiedet hatte vor Jahren, stützen. Es ist ein gemeinsames Grundanliegen, die Begleitung Sterbender, das ist eine ganz wichtige Herausforderung der kirchlichen Seelsorge und auch der christlichen Ethik. Insofern war es eigentlich nicht schwierig, sich im Grundanliegen zu einigen. Es gab allerdings einige Punkte, wo es Differenzen gibt, die man aber ausräumen konnte. Diese berührten vor allem die Frage, ob die voraussorgende Willensbestimmung nur gelten solle für die letzte Phase vor dem Sterben, wenn also tatsächlich die eigentliche Sterbephase bereits begonnen hat, ob es also eine sogenannte Reichweitenbegrenzung der Patientenverfügung geben soll, oder ob das auch darüber hinaus gelten solle.
Ricke: Ich habe ja die christliche grundsätzliche Position immer so verstanden: Ja, man hat ein Recht, sterben zu dürfen, nach dem Motto, sein Wille geschehe, man hat aber kein Recht, sich selbst zu töten oder gar um Hilfe bei der Selbsttötung zu bitten, also nicht, mein Wille geschehe. Ist das noch so richtig, so vereinfacht, so verkürzt?
Schockenhoff: Ja, das kann man auf diese Formel bringen. Dahinter steht die Überzeugung, dass der Tod ein Ereignis ist, das man nicht einfach selbst wählt, man hat ja auch nicht sozusagen aus eigener Entscheidung beschlossen, ins Dasein zu treten. Es gibt eine grundlegende Passivität, die am Anfang und am Ende des Lebens in besonderer Deutlichkeit hervortritt. Wenn man das Leben als ein Geschenk betrachtet, das man von Gott als dem Schöpfer empfangen hat, dann kann man es nicht eigenmächtig beenden. Aber das besagt nicht, dass man nun gezwungen wäre, alle denkbaren technischen Möglichkeiten der Lebensverlängerung, über die die moderne Medizin verfügt, auch tatsächlich durchzuführen, sondern dass man im Sterben selbst Unterstützung bekommt durch Palliativmedizin und durch den Verzicht auf sinnlos gewordene, lebensverlängernde Maßnahmen. Das ist eine gemeinsame Grundaussage beider Kirchen.
Ricke: Aber was ist, wenn das Leben kein Geschenk mehr ist, wenn es nur noch Qual ist, wenn es nur noch Pein ist? Kann ich dann als bewusst und eigenverantwortlicher Mensch nicht entscheiden: Nun ist es genug, ich will meinem Schöpfer gegenübertreten?
Schockenhoff: So argumentieren diejenigen, die auch die Zulassung des ärztlich assistierten Suizids oder gar der bewussten Tötung auf Verlangen fordern. Der große Einwand dagegen ist, dass wenn wir eine gesetzliche Regelung hätten, die das vorsieht, also eine reguläre Maßnahme, die es im Verhältnis zwischen Arzt und Patient gibt, dann würde das den Druck auf Patienten, auf Sterbende enorm erhöhen, dass sie eben eine Bitte aussprechen, getötet zu werden. Das wäre dann sozusagen ihre letzte Anstandspflicht – Sie haben das in der Moderation ja gut gesagt –, weil sie dann befürchten müssen, dass sie ihrer Umgebung zur Last fallen. Das würde also die Autonomie und Freiheit der Sterbenden nicht erhöhen, sondern das würde diese neuartigen Zwängen aussetzen.
Ricke: Es gibt eine Situation, die für Angehörige sehr schwierig ist, ich will mal eine beispielhaft beschreiben: Das ist das Bild des Sohns, der unter Tränen das Beatmungsgerät seines Vaters abschaltet, weil er den Willen seines Vaters kennt, weil er vielleicht auch die Patientenverfügung kennt, weil er sagt, das ist jetzt das Ende eines mechanischen Leidensverlängerungsprozesses. Wo stehen die Kirchen hier?
Schockenhoff: Also das Abschalten eines Beatmungsgerätes kann durchaus aus berechtigten Gründen erfolgen. Es gibt ja keine Verpflichtung, das Leben mit künstlichen Mitteln so lange als irgend möglich zu verlängern. Das Abschalten eines Beatmungsgerätes ist dann, wenn der Patient in der letzten Phase einer zum Tode führenden Krankheit ist, ja auch nicht die Tötungsursache, sondern das ist nur eine notwendige Bedingung, aber nicht die hinreichende Bedingung dafür, dass der Tod eintritt. Und wenn der Patient dann stirbt, dann stirbt er eben nicht daran, dass das Beatmungsgerät abgeschaltet wird, sondern er stirbt an seiner Krankheit, deren Verlauf schon zum Tod geführt hätte, wenn man nicht die künstliche Beatmung dazwischengeschaltet hätte. Deshalb sollte in dieser Szene, die Sie beschreiben, eigentlich nicht der Sohn derjenige sein müssen, der diese Handlung vollbringt, sondern das wäre eigentlich dann Aufgabe des medizinischen Personals, wenn das vom Arzt angeordnet wird, und zudem wenn eine Patientenverfügung vorliegt, ist es ohnehin noch einmal ein zusätzlicher Grund.
Ricke: Einigkeit besteht eigentlich darüber, dass wir mehr humane Sterbebegleitung brauchen, Palliativmedizin. Allerdings wird das immer formuliert, aber doch nicht in dem Maße in die Tat umgesetzt, dass es wirklich in der Breite funktionieren würde. Warum klaffen Ihrer Meinung nach die politischen Wünsche und Vorstellungen und die Realität da so weit auseinander?
Schockenhoff: Also es gibt hier tatsächlich keinen grundsätzlichen Dissens, das ist gemeinsame Überzeugung, dass wir in der Breite eine bessere Ausbildung der Mediziner, der künftigen Ärztinnen und Ärzte in Palliativmedizin brauchen. Das Problem sind begrenzte Ressourcen, und man kann eben die Palliativmedizin nur flächendeckend stärken, wenn man an anderer Stelle spart, und auf solche Ressourcenverteilungskämpfe gehen dann manchmal die Barrieren zurück, auf die der Wunsch noch stößt, die Palliativmedizin auszubauen.
Ricke: Wem müsste man etwas wegnehmen, um es der Palliativmedizin zu geben? Hat darauf die Moraltheologie eine Antwort?
Schockenhoff: Die gibt es nicht unmittelbar, das ist in der Regel sind das im Bereich der Intensivmedizin, die Palliativmedizin gilt als eine Tochter oder Schwester der Intensivmedizin, und deshalb wird eben in der Regel aus dem Bereich der Intensivmedizin etwas herausgeschnitten, um Palliativmedizin einzurichten.
Ricke: Professor Eberhard Schockenhoff, er ist Professor für katholische Moraltheologie an der Uni Freiburg und Mitglied des Ethikrates. Vielen Dank, Herr Schockenhoff!
Schockenhoff: Bitte schön!
Eberhard Schockenhoff: Guten Morgen!
Ricke: Das ist ja schon ein Stück gelebte Ökumene. Wie schwierig war es denn, katholische und evangelische Positionen hier zusammenzubringen?
Schockenhoff: Es gab ja bereits zwei vorangehende Auflagen einer Patientenverfügung, man konnte sich also auf einen gemeinsamen Entwurf, den man schon verabschiedet hatte vor Jahren, stützen. Es ist ein gemeinsames Grundanliegen, die Begleitung Sterbender, das ist eine ganz wichtige Herausforderung der kirchlichen Seelsorge und auch der christlichen Ethik. Insofern war es eigentlich nicht schwierig, sich im Grundanliegen zu einigen. Es gab allerdings einige Punkte, wo es Differenzen gibt, die man aber ausräumen konnte. Diese berührten vor allem die Frage, ob die voraussorgende Willensbestimmung nur gelten solle für die letzte Phase vor dem Sterben, wenn also tatsächlich die eigentliche Sterbephase bereits begonnen hat, ob es also eine sogenannte Reichweitenbegrenzung der Patientenverfügung geben soll, oder ob das auch darüber hinaus gelten solle.
Ricke: Ich habe ja die christliche grundsätzliche Position immer so verstanden: Ja, man hat ein Recht, sterben zu dürfen, nach dem Motto, sein Wille geschehe, man hat aber kein Recht, sich selbst zu töten oder gar um Hilfe bei der Selbsttötung zu bitten, also nicht, mein Wille geschehe. Ist das noch so richtig, so vereinfacht, so verkürzt?
Schockenhoff: Ja, das kann man auf diese Formel bringen. Dahinter steht die Überzeugung, dass der Tod ein Ereignis ist, das man nicht einfach selbst wählt, man hat ja auch nicht sozusagen aus eigener Entscheidung beschlossen, ins Dasein zu treten. Es gibt eine grundlegende Passivität, die am Anfang und am Ende des Lebens in besonderer Deutlichkeit hervortritt. Wenn man das Leben als ein Geschenk betrachtet, das man von Gott als dem Schöpfer empfangen hat, dann kann man es nicht eigenmächtig beenden. Aber das besagt nicht, dass man nun gezwungen wäre, alle denkbaren technischen Möglichkeiten der Lebensverlängerung, über die die moderne Medizin verfügt, auch tatsächlich durchzuführen, sondern dass man im Sterben selbst Unterstützung bekommt durch Palliativmedizin und durch den Verzicht auf sinnlos gewordene, lebensverlängernde Maßnahmen. Das ist eine gemeinsame Grundaussage beider Kirchen.
Ricke: Aber was ist, wenn das Leben kein Geschenk mehr ist, wenn es nur noch Qual ist, wenn es nur noch Pein ist? Kann ich dann als bewusst und eigenverantwortlicher Mensch nicht entscheiden: Nun ist es genug, ich will meinem Schöpfer gegenübertreten?
Schockenhoff: So argumentieren diejenigen, die auch die Zulassung des ärztlich assistierten Suizids oder gar der bewussten Tötung auf Verlangen fordern. Der große Einwand dagegen ist, dass wenn wir eine gesetzliche Regelung hätten, die das vorsieht, also eine reguläre Maßnahme, die es im Verhältnis zwischen Arzt und Patient gibt, dann würde das den Druck auf Patienten, auf Sterbende enorm erhöhen, dass sie eben eine Bitte aussprechen, getötet zu werden. Das wäre dann sozusagen ihre letzte Anstandspflicht – Sie haben das in der Moderation ja gut gesagt –, weil sie dann befürchten müssen, dass sie ihrer Umgebung zur Last fallen. Das würde also die Autonomie und Freiheit der Sterbenden nicht erhöhen, sondern das würde diese neuartigen Zwängen aussetzen.
Ricke: Es gibt eine Situation, die für Angehörige sehr schwierig ist, ich will mal eine beispielhaft beschreiben: Das ist das Bild des Sohns, der unter Tränen das Beatmungsgerät seines Vaters abschaltet, weil er den Willen seines Vaters kennt, weil er vielleicht auch die Patientenverfügung kennt, weil er sagt, das ist jetzt das Ende eines mechanischen Leidensverlängerungsprozesses. Wo stehen die Kirchen hier?
Schockenhoff: Also das Abschalten eines Beatmungsgerätes kann durchaus aus berechtigten Gründen erfolgen. Es gibt ja keine Verpflichtung, das Leben mit künstlichen Mitteln so lange als irgend möglich zu verlängern. Das Abschalten eines Beatmungsgerätes ist dann, wenn der Patient in der letzten Phase einer zum Tode führenden Krankheit ist, ja auch nicht die Tötungsursache, sondern das ist nur eine notwendige Bedingung, aber nicht die hinreichende Bedingung dafür, dass der Tod eintritt. Und wenn der Patient dann stirbt, dann stirbt er eben nicht daran, dass das Beatmungsgerät abgeschaltet wird, sondern er stirbt an seiner Krankheit, deren Verlauf schon zum Tod geführt hätte, wenn man nicht die künstliche Beatmung dazwischengeschaltet hätte. Deshalb sollte in dieser Szene, die Sie beschreiben, eigentlich nicht der Sohn derjenige sein müssen, der diese Handlung vollbringt, sondern das wäre eigentlich dann Aufgabe des medizinischen Personals, wenn das vom Arzt angeordnet wird, und zudem wenn eine Patientenverfügung vorliegt, ist es ohnehin noch einmal ein zusätzlicher Grund.
Ricke: Einigkeit besteht eigentlich darüber, dass wir mehr humane Sterbebegleitung brauchen, Palliativmedizin. Allerdings wird das immer formuliert, aber doch nicht in dem Maße in die Tat umgesetzt, dass es wirklich in der Breite funktionieren würde. Warum klaffen Ihrer Meinung nach die politischen Wünsche und Vorstellungen und die Realität da so weit auseinander?
Schockenhoff: Also es gibt hier tatsächlich keinen grundsätzlichen Dissens, das ist gemeinsame Überzeugung, dass wir in der Breite eine bessere Ausbildung der Mediziner, der künftigen Ärztinnen und Ärzte in Palliativmedizin brauchen. Das Problem sind begrenzte Ressourcen, und man kann eben die Palliativmedizin nur flächendeckend stärken, wenn man an anderer Stelle spart, und auf solche Ressourcenverteilungskämpfe gehen dann manchmal die Barrieren zurück, auf die der Wunsch noch stößt, die Palliativmedizin auszubauen.
Ricke: Wem müsste man etwas wegnehmen, um es der Palliativmedizin zu geben? Hat darauf die Moraltheologie eine Antwort?
Schockenhoff: Die gibt es nicht unmittelbar, das ist in der Regel sind das im Bereich der Intensivmedizin, die Palliativmedizin gilt als eine Tochter oder Schwester der Intensivmedizin, und deshalb wird eben in der Regel aus dem Bereich der Intensivmedizin etwas herausgeschnitten, um Palliativmedizin einzurichten.
Ricke: Professor Eberhard Schockenhoff, er ist Professor für katholische Moraltheologie an der Uni Freiburg und Mitglied des Ethikrates. Vielen Dank, Herr Schockenhoff!
Schockenhoff: Bitte schön!