Morbide Faszination der menschlichen Abgründe
Patricia Highsmith wurde oft unter dem Label "Krimiautorin" abgetan. Ihre literarischen Qualitäten wurden dabei oft übersehen. Abhilfe kann dabei die Diogenes Werkausgabe leisten, in deren Rahmen jetzt ihr wichtigstes Buch "Der Geschichtenerzähler" erscheint. Darin denkt sich ein erfolgloser Schriftsteller Mordsituationen aus und probiert sie "trocken" aus, bis es schließlich ernst wird.
Patricia Highsmith ist keine gewöhnliche Krimiautorin. Sie ist eigentlich gar keine Krimiautorin, sondern die Vertreterin eines psychologischen Realismus ganz eigener Prägung. Mit Agatha Christie, Dorothy Sayers oder P.D. James kann man sie nicht vergleichen, denn die Aufklärung eines Verbrechens, die Bestrafung und die Wiederherstellung einer Ordnung - schließlich die vorantreibenden Momente der klassischen Kriminalliteratur - spielen für sie keine Rolle.
Moral und Gerechtigkeit sind obsolete Kategorien, ob der Täter gefasst wird, ist unwichtig. "Leute ohne Moral, wenn sie nicht sture, brutale Charaktere sind, amüsieren mich. Sie haben Phantasie, geistige Beweglichkeit und sind dramatisch nahrhaft", sagte sie einmal, und genau das macht den Sog ihrer Geschichten aus.
Die Vielzahl an Leichen in ihren Romanen hatte dazu geführt, dass man sie unter dem Etikett "Suspense" ablegte und ihre literarischen Qualitäten übersah. Ihre sinnliche Düsternis, ihr unnachahmlich gleichmütiges Amerikanisch, das eigentümliche Wechselspiel zwischen der spröden Faktizität ihrer Sprache und den Abgründen der Seele, die Fähigkeit, psychische Abnormität atmosphärisch festzuhalten und ihr eine morbide Faszination abzugewinnen - all das findet seit dem Beginn der großartigen Werkausgabe im Diogenes Verlag, die jetzt mit Band 28 Der Geschichtenerzähler und Band 29 Leute, die an die Tür klopfen beinahe vollständig ist, endlich die gebührende Beachtung.
Zuvor galt Highsmith als Thrillerautorin und als Lieferantin spannender Kinostoffe. Berühmte Regisseure von Hitchcock, Chabrol und Pollack bis zu Wim Wenders und Anthony Minghella griffen zu ihren Romanen, weil sie phantastisches Filmmaterial boten. Obwohl Kollegen wie Graham Greene und Peter Handke immer wieder auf ihre Bedeutung verwiesen, kamen ihre Romane auch im Diogenes Verlag in der einschlägigen schwarzgelben Reihe heraus und, wie bei ausländischen Krimis des Öfteren der Fall, sogar in gekürzter Form.
Der neu übersetzte Roman Der Geschichtenerzähler ist eines ihrer wichtigsten Bücher. Highsmith war gerade nach England umgezogen, als sie 1964 mit der Arbeit daran begann.
Im Mittelpunkt steht ein junges Ehepaar, das in einem einsamen Haus auf dem Land wohnt: Sidney, ein erfolgloser Schriftsteller und Drehbuchautor, und seine hübsche Frau Alicia, eine Malerin. In Gedanken entwickelt Sidney immer wieder Phantasien, wie er Alicia ermorden könnte - schließlich ist er ein Geschichtenerfinder. Als das Paar sich voneinander entfremdet und Alicia für eine Weile an die See reist, hat Sidney Gelegenheit, seine Ideen weiter auszuspinnen und zum Beispiel auszuprobieren, wie es ist, wenn man mitten in der Nacht einen großen Teppich, in dem eine Leiche Platz hätte, in einem Wald vergräbt.
Währenddessen versteckt sich Alicia vor Sidney. Als er sie wieder findet, verschweigt er es und verhält sich genauso verdächtig, wie sich ein Mörder verhalten würde, denn schließlich absolviert er eine Art Drehbuch-Probe. Und am Ende begeht er die Tat dann doch noch.
Beiläufig und distanziert erzählt Patricia Highsmith von den Abgründen Sidneys und inszeniert ein beängstigendes Spiel zwischen Realität und Fiktion: Verbrecherische und künstlerische Phantasie entzünden sich gegenseitig. Geschult an Henry James und Edgar Allen Poe gelingt es Highsmith, Stimmungen auf knappem Raum zu verdichten, sie kippen zu lassen und bis an die Ränder des Unbewussten vorzudringen.
In Leute, die an die Tür klopfen, 1983 zur Amtszeit von Präsident Reagan geschrieben, geht es um einen Siebzehnjährigen namens Arthur, der gerade zum ersten Mal verliebt ist. Seine Freundin wird ungewollt schwanger, und als die beiden beschließen, eine Abtreibung vornehmen zu lassen, will Arthurs Vater sie davon abhalten.
Der biedere Versicherungsvertreter ist Mitglied einer Sekte und übt auch über seine Glaubensbrüder Druck auf seinen Sohn aus, bis er ihn schließlich aus dem Haus wirft. Doch dann verliebt er sich selbst und durchbricht seine strikten Prinzipien: eine Katastrophe nimmt ihren Lauf.
Wieder liefert Highsmith eine mitreißende Auseinandersetzung mit psychischer und physischer Gewalt und analysiert gleichzeitig den amerikanischen Fundamentalismus der 80er Jahre. Leute, die an die Tür klopfen ist zugleich eine Studie alltäglicher Terrormethoden.
1921 in Forth West/ Texas geboren, hat Highsmith nach ihrem Studium der Zoologie und Literatur ähnlich wie ihr Held Sidney Anfang der vierziger Jahren eine Phase völliger Erfolglosigkeit erlebt. 1942 ergattert sie eine Stelle als Comictexterin und kann sich endlich ein eigenes Appartement leisten.
Privat ist sie mit menschlichen Nöten in allen Varianten vertraut: Ihre Neigung zu Frauen versucht sie, mit einer psychotherapeutischen Behandlung zu neutralisieren. Die Liebesbeziehungen der attraktiven Nachwuchsschriftstellerin sind kompliziert - sie hat eine Schwäche für ältere Frauen mit Alkoholproblemen.
Durch die Vermittlung von Truman Capote erhält sie 1948 ein Stipendium, das sie von ihren Geldsorgen befreit und ihr die Arbeit an einem großen Romanprojekt ermöglichte. Ihr Durchbruch steht kurz bevor. Der Roman Zwei Fremde im Zug, in dem zwei Männer für den jeweils anderen einen Mord begehen, kommt 1950 heraus, und vierzehn Tage nach Erscheinen erwirbt Alfred Hitchcock die Filmrechte. Patricia Highsmith wird auf einen Schlag weltberühmt. 1963 siedelt sie nach Europa über, wo sie bis zu ihrem Tod 1995 in Locarno an verschiedenen Orten lebt.
Patricia Highsmith ähnelt dem Schneckenforscher, von dem sie in einer ihrer Kurzgeschichten erzählt: Sie konzipiert ihre Romane wie einen Versuchsaufbau, protokolliert ungerührt den Werdegang ihrer Helden, die sich in Notlügen verheddern und in Halbwahrheiten verstricken, bis der Leser mit ihnen bangt. Man kann ihren Büchern verfallen, so wie man einer Musik verfällt, man liest weiter und weiter, ohne zu ermüden, süchtig nach der diffusen Beklemmung ihrer Romanwelten. Patricia Highsmith macht aus ihren Lesern Voyeure, die still zugucken und froh sind, wenn sie ungeschoren davon kommen.
Rezensiert von Maike Albath
Patricia Highsmith: Der Geschichtenerzähler
Aus dem Amerikanischen von Matthias Jendis
Mit einem Nachwort von Paul Ingendaay
Diogenes Verlag, 224 Seiten, 18, 90 Euro.
Patricia Highsmith: Leute, die an die Tür klopfen
Aus dem Amerikanischen von Manfred Allié
Mit einem Nachwort von Paul Ingendaay
Diogenes Verlag. 384 Seiten, 21, 90 Euro.
Werkausgabe. Hrsg. v. Paul Ingendaay und Anna von Planta
Moral und Gerechtigkeit sind obsolete Kategorien, ob der Täter gefasst wird, ist unwichtig. "Leute ohne Moral, wenn sie nicht sture, brutale Charaktere sind, amüsieren mich. Sie haben Phantasie, geistige Beweglichkeit und sind dramatisch nahrhaft", sagte sie einmal, und genau das macht den Sog ihrer Geschichten aus.
Die Vielzahl an Leichen in ihren Romanen hatte dazu geführt, dass man sie unter dem Etikett "Suspense" ablegte und ihre literarischen Qualitäten übersah. Ihre sinnliche Düsternis, ihr unnachahmlich gleichmütiges Amerikanisch, das eigentümliche Wechselspiel zwischen der spröden Faktizität ihrer Sprache und den Abgründen der Seele, die Fähigkeit, psychische Abnormität atmosphärisch festzuhalten und ihr eine morbide Faszination abzugewinnen - all das findet seit dem Beginn der großartigen Werkausgabe im Diogenes Verlag, die jetzt mit Band 28 Der Geschichtenerzähler und Band 29 Leute, die an die Tür klopfen beinahe vollständig ist, endlich die gebührende Beachtung.
Zuvor galt Highsmith als Thrillerautorin und als Lieferantin spannender Kinostoffe. Berühmte Regisseure von Hitchcock, Chabrol und Pollack bis zu Wim Wenders und Anthony Minghella griffen zu ihren Romanen, weil sie phantastisches Filmmaterial boten. Obwohl Kollegen wie Graham Greene und Peter Handke immer wieder auf ihre Bedeutung verwiesen, kamen ihre Romane auch im Diogenes Verlag in der einschlägigen schwarzgelben Reihe heraus und, wie bei ausländischen Krimis des Öfteren der Fall, sogar in gekürzter Form.
Der neu übersetzte Roman Der Geschichtenerzähler ist eines ihrer wichtigsten Bücher. Highsmith war gerade nach England umgezogen, als sie 1964 mit der Arbeit daran begann.
Im Mittelpunkt steht ein junges Ehepaar, das in einem einsamen Haus auf dem Land wohnt: Sidney, ein erfolgloser Schriftsteller und Drehbuchautor, und seine hübsche Frau Alicia, eine Malerin. In Gedanken entwickelt Sidney immer wieder Phantasien, wie er Alicia ermorden könnte - schließlich ist er ein Geschichtenerfinder. Als das Paar sich voneinander entfremdet und Alicia für eine Weile an die See reist, hat Sidney Gelegenheit, seine Ideen weiter auszuspinnen und zum Beispiel auszuprobieren, wie es ist, wenn man mitten in der Nacht einen großen Teppich, in dem eine Leiche Platz hätte, in einem Wald vergräbt.
Währenddessen versteckt sich Alicia vor Sidney. Als er sie wieder findet, verschweigt er es und verhält sich genauso verdächtig, wie sich ein Mörder verhalten würde, denn schließlich absolviert er eine Art Drehbuch-Probe. Und am Ende begeht er die Tat dann doch noch.
Beiläufig und distanziert erzählt Patricia Highsmith von den Abgründen Sidneys und inszeniert ein beängstigendes Spiel zwischen Realität und Fiktion: Verbrecherische und künstlerische Phantasie entzünden sich gegenseitig. Geschult an Henry James und Edgar Allen Poe gelingt es Highsmith, Stimmungen auf knappem Raum zu verdichten, sie kippen zu lassen und bis an die Ränder des Unbewussten vorzudringen.
In Leute, die an die Tür klopfen, 1983 zur Amtszeit von Präsident Reagan geschrieben, geht es um einen Siebzehnjährigen namens Arthur, der gerade zum ersten Mal verliebt ist. Seine Freundin wird ungewollt schwanger, und als die beiden beschließen, eine Abtreibung vornehmen zu lassen, will Arthurs Vater sie davon abhalten.
Der biedere Versicherungsvertreter ist Mitglied einer Sekte und übt auch über seine Glaubensbrüder Druck auf seinen Sohn aus, bis er ihn schließlich aus dem Haus wirft. Doch dann verliebt er sich selbst und durchbricht seine strikten Prinzipien: eine Katastrophe nimmt ihren Lauf.
Wieder liefert Highsmith eine mitreißende Auseinandersetzung mit psychischer und physischer Gewalt und analysiert gleichzeitig den amerikanischen Fundamentalismus der 80er Jahre. Leute, die an die Tür klopfen ist zugleich eine Studie alltäglicher Terrormethoden.
1921 in Forth West/ Texas geboren, hat Highsmith nach ihrem Studium der Zoologie und Literatur ähnlich wie ihr Held Sidney Anfang der vierziger Jahren eine Phase völliger Erfolglosigkeit erlebt. 1942 ergattert sie eine Stelle als Comictexterin und kann sich endlich ein eigenes Appartement leisten.
Privat ist sie mit menschlichen Nöten in allen Varianten vertraut: Ihre Neigung zu Frauen versucht sie, mit einer psychotherapeutischen Behandlung zu neutralisieren. Die Liebesbeziehungen der attraktiven Nachwuchsschriftstellerin sind kompliziert - sie hat eine Schwäche für ältere Frauen mit Alkoholproblemen.
Durch die Vermittlung von Truman Capote erhält sie 1948 ein Stipendium, das sie von ihren Geldsorgen befreit und ihr die Arbeit an einem großen Romanprojekt ermöglichte. Ihr Durchbruch steht kurz bevor. Der Roman Zwei Fremde im Zug, in dem zwei Männer für den jeweils anderen einen Mord begehen, kommt 1950 heraus, und vierzehn Tage nach Erscheinen erwirbt Alfred Hitchcock die Filmrechte. Patricia Highsmith wird auf einen Schlag weltberühmt. 1963 siedelt sie nach Europa über, wo sie bis zu ihrem Tod 1995 in Locarno an verschiedenen Orten lebt.
Patricia Highsmith ähnelt dem Schneckenforscher, von dem sie in einer ihrer Kurzgeschichten erzählt: Sie konzipiert ihre Romane wie einen Versuchsaufbau, protokolliert ungerührt den Werdegang ihrer Helden, die sich in Notlügen verheddern und in Halbwahrheiten verstricken, bis der Leser mit ihnen bangt. Man kann ihren Büchern verfallen, so wie man einer Musik verfällt, man liest weiter und weiter, ohne zu ermüden, süchtig nach der diffusen Beklemmung ihrer Romanwelten. Patricia Highsmith macht aus ihren Lesern Voyeure, die still zugucken und froh sind, wenn sie ungeschoren davon kommen.
Rezensiert von Maike Albath
Patricia Highsmith: Der Geschichtenerzähler
Aus dem Amerikanischen von Matthias Jendis
Mit einem Nachwort von Paul Ingendaay
Diogenes Verlag, 224 Seiten, 18, 90 Euro.
Patricia Highsmith: Leute, die an die Tür klopfen
Aus dem Amerikanischen von Manfred Allié
Mit einem Nachwort von Paul Ingendaay
Diogenes Verlag. 384 Seiten, 21, 90 Euro.
Werkausgabe. Hrsg. v. Paul Ingendaay und Anna von Planta