"Mord in Frankfurt"

Was ein Fernsehfilm von 1968 über 1968 erzählt – und was nicht

Szenenfoto aus dem WDR-Film "Mord in Frankfurt" von 1968
Szenenfoto aus "Mord in Frankfurt": "Spannungen, die letztlich an den Zuschauer weitergegeben werden." © WDR
Janosch Steuwer im Gespräch mit Stephan Karkowsky |
Fünfzig Jahre nach 1968 werfen wir einen Blick auf Werke aus dem ikonischen Jahr, ob sie vielleicht schon andeuteten, was 1968 im Rückblick sein würde: Der Historiker Janosch Steuwer hat für uns den Fernsehfilm "Mord in Frankfurt" angeschaut.
Der Film "Mord in Frankfurt" von Rolf Hädrich ist kein Krimi, sondern kreist um ein Motiv, das Motiv des Mordes. Der Film hat drei Erzählstränge: Ein Auschwitzüberlebender kommt in die Stadt, um im dritten Auschwitzprozess auszusagen. Mit ihm kommt eine Stewardess an, die zwei freie Tage in der Stadt verbringt und deren Freund am Schauspielhaus Frankfurt gerade "Die Ermittlung" aufführt, das Stück des Dramatikers Peter Weiss über den ersten Auschwitzprozess. Gleichzeitig wird ein Taxifahrer ermordet, was sich einfügt in eine ganze Serie von Morden an Taxi-Fahrern. Es geht also um Mord – sowohl um Völkermord als auch um den Mord an einzelnen Personen.
Janosch Steuwer ist Oberassistent an der Uni in Zürich und forscht zum Umgang mit der NS-Zeit. Er sagt über den Film:

Zuschauer in der Pflicht

"Der Film ist viel weniger moralisch, als man es bei diesem Thema eigentlich erwarten könnte. Dieser Blick auf die Taxifahrer-Morde, und auf dieses junge Pärchen, das auch in seinem Privatleben gezeigt wird, der dient nicht dazu, einfach nur Kontrast zu schaffen, zu verurteilen, sondern der Film nimmt diese Erzählstränge genauso ernst wie den des Auschwitzüberlebenden – und daraus entstehen eben Paradoxien oder Spannungen, die letztlich an den Zuschauer weitergegeben werden."
Der Film habe natürlich einen Standpunkt: er sei dafür, dass man sich dem Thema Vergangenheitsbewältigung nähert, sich damit auseinandersetzt und beschäftigt. Ihm sei aber auch bewusst, dass das ein schwieriger Prozess sei in einer Zeit, die eben so anders geworden sei:
"Worüber der Film immer wieder verhandelt, ist, wie in der veränderten Lage der 1960er-Jahre, in denen es neue, andere Probleme gibt, welchen Platz dort die NS-Vergangenheit und die Überlebenden der NS-Verbrechen eigentlich noch haben können."

Personelle NS-Vergangenheiten

Dass man in dem Film kein einziges Mal Studentenproteste sehe, mag erstmal irritieren, sei aber historisch nicht so falsch, sagt Steuwer:
"Natürlich spielt die NS-Vergangenheit für die Studenten schon eine ziemlich zentrale Rolle, in diesem Generationenkonflikt, der '68 ja ganz stark zugrunde liegt. Aber ihnen geht es in erster Linie um personelle NS-Vergangenheiten, also um die Frage: Was haben Funktionsträger, Professoren, hohe Beamte, Politiker im Nationalsozialismus gemacht, inwiefern sind sie schuldig geworden? '68 führt nicht zu einer intensiven Beschäftigung mit der Geschichte des Nationalsozialismus."
Geschichte, so Steuwer, sei ja auch keines der führenden Fächer gewesen, kein Fach, das unter den politisch aktiven Studenten besonders beliebt gewesen wäre. Das seien eben Soziologie und andere Sozialwissenschaften gewesen.
Die Entzweiung mit den Eltern, den Hass auf die Eltern, den es sicher in der Zeit gegeben habe, den verhandele der Film nicht. Das heiße aber nicht unbedingt, dass er ungenau sei.
"Er rückt eben einen Teil der NS-Vergangenheit in den Mittelpunkt, der damals eher außerhalb des Blickfeldes steht: Was für '68 wichtig ist, ist eben die Frage, was Funktionsträger im Nationalsozialismus getan haben, aber nicht eine genaue Beschäftigung damit, was eigentlich passiert ist im Nationalsozialismus oder auch nur eine empathische Hinwendung zu den Opfern."
Das finde in der Bundesrepublik erst sehr viel später statt, in den 1980er-Jahren, sagt Steuwer. Dafür ist dann "Holocaust", eine Fernsehserie, die 1979 ausgestrahlt wird, eine Initialzündung.
(mf)

"Mord in Frankfurt" von Rolf Hädrich (Buch und Regie) mit u.a. Václav Voska, Monika Lundi, Karl-Heinz von Hassel, Dirk Dautzenburg. Fernsehfilm 1968, als DVD bei Pidaxfilm, Film- und Hörspielverlag.

Hören und lesen Sie zum Thema 1968 auch den Beitrag "Swing-In: Was eine Jazztalkshow von 68 über 68 erzählt - und was nicht".
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