Morddrohungen gegen Mila

Der Koran verbietet Selbstjustiz

04:31 Minuten
Screenshot eines Videos, dass die Französin Mila in sozialen Netzwerken gepostet hat.
In einem Video empört sich die französische Schülerin Mila über den Islam. © Screenshot / Le Monde De david / YouTube
Ein Kommentar von Khola Maryam Hübsch |
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Eine französische Schülerin steht unter Polizeischutz: Nachdem sie in sozialen Medien den Islam beschimpft hat, bekommt sie Morddrohungen. Fünf Jahre nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo" fragen viele Franzosen erneut: Wie viel Islam-Kritik darf sein?
"Ich hasse Religion, der Koran ist voller Hass", sagt die 16-jährige Französin Mila. Ich liebe meine Religion, den Islam. Ich bin also alles andere als begeistert, wenn ich solche Beschimpfungen eines pubertierenden Teenagers höre. Doch viel mehr bestürzt mich die Reaktion einiger meiner muslimischen Glaubensbrüder. "Wer Wind sät, muss mit dem Sturm rechnen", kommentiert etwa der Generaldelegierte des französischen Islamrates, Abdallah Zekri, den Fall. Wer die Religion beleidige, müsse die Folgen seiner Worte tragen, meint er. Könnte man nicht genau das dem muslimischen Mann vorwerfen, der Mila aufgrund ihrer Homosexualität aufs Übelste beschimpft hatte? Schließlich war Milas Hasstirade auf den Islam eine Reaktion auf den Hass, der ihr zuerst entgegenschlug.

Hass generiert Gegenhass

Gerade zu doppelmoralisch ist es für mich als Muslimin, wenn selbst ernannte Verteidiger der Religion sich nicht einmal an die Grundlagen ihres Glaubens halten.
Dass der Koran Verunglimpfungen verbietet, ist unbestritten. Auch Andersgläubige und sogar Polytheisten dürfen nicht beleidigt werden – obwohl der Islam als streng monotheistische Religion die Vielgötterei als größte Sünde begreift –, denn, so der Koran, die Schmähung anderer Götter würde die Schmähung Allahs provozieren. Hass generiert Gegenhass, wer den Kreislauf durchbrechen will, muss bei sich anfangen.

Der Koran fordert Gelassenheit bei Gotteslästerung

Doch Mila wird nicht nur beschimpft, sie wird massiv bedroht. Extremisten rechtfertigen ihre Todesdrohungen damit, die Ehre des Islams wiederherstellen zu wollen. Dabei verhöhnt keine Beleidigung den Islam so sehr wie das Verhalten religiöser Fanatiker, die ihr heiliges Buch nicht zu kennen scheinen.
An fünf Stellen thematisiert der Koran Blasphemie also die Gotteslästerung. Kein einziges Mal wird eine weltliche Bestrafung gefordert. Vielmehr werden die Muslime aufgefordert, gelassen zu bleiben und sich lediglich abzuwenden, wenn ihre Religion beleidigt wird. An keiner dieser Stellen wird zur Gewalt oder gar zur Selbstjustiz aufgerufen, im Gegenteil, es heißt in aller Deutlichkeit: "Und ertrage in Geduld alles, was sie reden; und scheide dich von ihnen in geziemender Art."

Muslimische Hardliner ignorieren Aufforderung zur Toleranz

Trotz dieser Eindeutigkeit werden die Aussagen des Koran zur Gotteslästerung von Hardlinern auch anders interpretiert: ein Grund, warum Blasphemie in etwa der Hälfte der sogenannten islamischen Ländern bestraft wird, teilweise sogar mit dem Tod. Umso wichtiger erscheint es, dass Muslime sich gegen eine Auslegung positionieren, die nicht nur die Meinungsfreiheit einschränkt, sondern auch Andersdenkende bedroht. An theologischen Argumenten für einen toleranteren Umgang mit Kritik mangelt es jedenfalls nicht, wie auch Überlieferungen aus dem Leben des Propheten zeigen.
In einer berühmten Tradierung wird ein Gefährte des Propheten, Abu Bakr, der später der erste Kalif des Islams werden sollte, von einem Islamkritiker grob beschimpft. Abu Bakr hört diesem zunächst gelassen zu. Doch als er dem Spötter antwortet, verlässt der Prophet die Zusammenkunft. Abu Bakr ist irritiert, der Prophet erklärt: "Als du schwiegst, antwortete ein Engel für dich. Doch als du dich wehrtest, nahm Satan seinen Platz ein, also ging ich fort."

Dem Hass sollte mit Aufklärung begegnet werden

Obwohl der Prophet Hass ablehnt, wird er von religiösen Fanatikern geschürt. Aber Morddrohungen und Hassmails erhalten auch Menschen in Deutschland, die sich für Migranten und Geflüchtete einsetzen, die Feministinnen, Politiker oder People of Colour sind.
Selbst ernannte Religionseiferer und Rechtsradikale müssen eins verstehen: Mit ihren vulgären Ausbrüchen und Drohungen machen sie sich in höchstem Maße unglaubwürdig. Wer an einer inhaltlichen Auseinandersetzung interessiert ist, kommt ohne Beleidigungen und Drohgebärden aus.
Alle anderen machen sich verdächtig, nicht über stichhaltige Argumente zu verfügen. Hass ist immer auch ein Ausdruck von Ignoranz. Wollen wir ihm sinnvoll begegnen, ist Aufklärung ein erstes Mittel.

Khola Maryam Hübsch wurde 1980 in Frankfurt am Main geboren. Sie ist Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher. Zuletzt erschienen: "Rebellion der Sehnsucht – Warum ich mir den Glauben nicht nehmen lasse" (Herder, 2018). Sie ist Mitglied der Deutschen Islamkonferenz.

© Lea Weber
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