Die hessische Naziszene rückt ins Visier
14:34 Minuten
War Stephan E. tatsächlich ein Einzeltäter? Nach dem Urteilsspruch am 26. Januar zum Mord am hessischen CDU-Politiker Walter Lübcke geht die Aufarbeitung weiter. Ein Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag will offene Fragen klären.
Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier sticht mit einem Spaten in die Erde und fordert einige Umstehende auf, es ihm nachzutun. Es ist Ende September 2020. Der Wind pfeift kalt über das Schulgelände der kooperativen Gesamtschule im nordhessischen Wolfhagen, die nun Walter-Lübcke-Schule heißt.
Volker Bouffier pflanzt gemeinsam mit der Witwe Irmgard Braun-Lübcke auf einer kleinen Grünfläche am Schulhof eine junge Eiche ein - gleich neben einem Gedenkstein, der an den ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten erinnert. Irmgard Braun-Lübcke, eine schmale Frau mit mittellangen, braunen Haaren, greift zum Mikrofon. Es ist einer der wenigen Momente seit der Ermordung ihres Mannes, mehr als ein Jahr zuvor, in dem sie öffentlich spricht.
Volker Bouffier pflanzt gemeinsam mit der Witwe Irmgard Braun-Lübcke auf einer kleinen Grünfläche am Schulhof eine junge Eiche ein - gleich neben einem Gedenkstein, der an den ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten erinnert. Irmgard Braun-Lübcke, eine schmale Frau mit mittellangen, braunen Haaren, greift zum Mikrofon. Es ist einer der wenigen Momente seit der Ermordung ihres Mannes, mehr als ein Jahr zuvor, in dem sie öffentlich spricht.
Die Lübcke-Witwe appelliert an die rund 200 Schülerinnen und Schüler, die unter Corona-Bedingungen zum Festakt im Freien zugelassen sind, "dass besonders in der heutigen Zeit ein Zeichen gegen Hass und rechte Gewalt gesetzt werden muss. Auch die Worte meines Mannes, welche als Aufschrift auf dem Gedenkstein stehen, ich möchte sie noch einmal nennen - ‚Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten‘ - sollen zum Eintreten und Streiten für die Demokratie auffordern. Ebenso wie die gepflanzte Eiche als ein Symbol für Standfestigkeit. Sie steht des Weiteren für Kraft und Beständigkeit."
"Beziehen Sie klar Position gegen Hass!"
Kraft und Beständigkeit – die brauchen Irmgard Braun-Lübcke und ihre Söhne auch selbst. Vor allem während des Prozesses, der seit dem Sommer 2020 vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main geführt wurde und nun in wenigen Tagen zu Ende gehen soll. Angeklagt wegen des Verdachtes auf Mord an Walter Lübcke war der Rechtsextremist Stephan E. und wegen des Verdachts auf Beihilfe zum Mord sein Gesinnungsgenosse Markus H.
Irmgard Braun-Lübcke und ihre beiden Söhne nahmen fast an jedem der inzwischen 40 Prozesstage teil. Das, was sie im September 2020 den Schülerinnen und Schülern der nun nach ihrem Mann benannten Schule in Nordhessen sagte, will Irmgard Braun-Lübcke mit ihrer Anwesenheit im Prozess auch persönlich untermauern:
"Schauen Sie hin, mischen Sie sich ein und suchen Sie das Gespräch. Vor allem aber sagen Sie Ihre Meinung und beziehen Sie klar Position gegen Hass, Hetze und Ausgrenzung, egal ob im beruflichen oder im privaten Bereich, aber insbesondere auch in der digitalen Welt."
"Schauen Sie hin, mischen Sie sich ein und suchen Sie das Gespräch. Vor allem aber sagen Sie Ihre Meinung und beziehen Sie klar Position gegen Hass, Hetze und Ausgrenzung, egal ob im beruflichen oder im privaten Bereich, aber insbesondere auch in der digitalen Welt."
Staatsanwalt sieht besondere Schwere der Schuld
Die Urteile im Verfahren gegen den mutmaßlichen Mörder ihres Mannes und seinen wohl wichtigsten Unterstützer sollen nun am 26. Januar gesprochen werden. In einem rund fünfstündigen Plädoyer kurz vor Weihnachten 2020 forderte die Bundesanwaltschaft für den Hauptverdächtigen Stephan E. die Höchststrafe – den lebenslangen Freiheitsentzug. Für die Seite der Ankläger spricht Oberstaatsanwalt Dieter Killmer. Er sieht im Falle des mutmaßlichen Lübcke-Mörders eine besondere Schwere der Schuld:
"Die besondere Schwere der Schuld zielt darauf ab, dass nach unserer Rechtsordnung jeder – auch derjenige, der zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist – nach 15 Jahren die Perspektive haben muss, in Freiheit zu gelangen. Außer – und das ist der Punkt – es liegen Umstände vor, die die besondere Schwere der Schuld begründen. Und diese sind aufgrund einer Gesamtwürdigung festzustellen und bei der Vielzahl der Straftaten, über die wir hier beim Angeklagten Ernst reden, und der konkreten Tatbegehung und dieser Gewaltspirale, die sich da seit seinem Jugendalter bei ihm durchgezogen hat, nehmen wir eben solche besonderen Umstände an."
"Die besondere Schwere der Schuld zielt darauf ab, dass nach unserer Rechtsordnung jeder – auch derjenige, der zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist – nach 15 Jahren die Perspektive haben muss, in Freiheit zu gelangen. Außer – und das ist der Punkt – es liegen Umstände vor, die die besondere Schwere der Schuld begründen. Und diese sind aufgrund einer Gesamtwürdigung festzustellen und bei der Vielzahl der Straftaten, über die wir hier beim Angeklagten Ernst reden, und der konkreten Tatbegehung und dieser Gewaltspirale, die sich da seit seinem Jugendalter bei ihm durchgezogen hat, nehmen wir eben solche besonderen Umstände an."
Rechtsradikaler Mord an einem Politiker
Der Mord am Kasseler CDU-Regierungspräsidenten Walter Lübcke habe eine "historische Dimension", unterstreicht Oberstaatsanwalt Killmer von der Bundesanwaltschaft in seinem Plädoyer. Es handele sich um den ersten rechtsradikal motivierten Mord an einem Politiker in einem demokratisch verfassten Deutschland seit der Ermordung Walter Rathenaus in Berlin 1922.
Die Tat stehe in der Tradition des von Rechtsextremisten propagierten "führerlosen Widerstands". Der Rechtsstaat müsse eine eindeutige Reaktion zeigen, fordert Killmer nach seinem Plädoyer auch im Hessischen Rundfunk:
"Aus unserer Sicht ist es schon so, dass man, sobald ein Politiker in diesem Fall betroffen ist, tatsächlich wehrhaft sein muss. Einfach auch um zu verhindern, dass andere Menschen das Gewaltmonopol des Staates brechen und für sich selbst in Anspruch zu nehmen, deutsche Volksvertreter zu töten."
Mustafa Kaplan, der Kölner Verteidiger des Hauptangeklagten Stephan E., wirft hingegen der Bundesanwaltschaft vor, in ihrem Schlussplädoyer im Oberlandesgericht Frankfurt am Main den Prozessverlauf nicht ausreichend berücksichtigt zu haben. Die Bundesanwälte "haben einfach stur an ihrer Anklageschrift festgehalten und wollen um jeden Preis da auch nicht ansatzweise irgendwelche Zweifel aufkommen lassen. Ich bin der festen Überzeugung, dass das vom Senat anders gesehen wird."
Aus nächster Nähe erschossen
Unabhängig davon, wie das Urteil ausfallen wird: Das wichtigste Ergebnis des Prozessverlaufs ist, dass der Hauptangeklagte Stephan E. nach zunächst widersprüchlichen Aussagen zum Tatgeschehen schließlich ein Geständnis ablegte, bei dem er auch bis heute blieb. Der 47 Jahre alte Rechtsextremist hat den CDU-Politiker Lübcke im Juni 2019 aus nächster Nähe mit einer Pistole erschossen.
Der Prozess bestätigte auch das Tatmotiv, das die Bundesanwaltschaft in der Anklageschrift zugrunde legte. Oberstaatsanwalt Dieter Killmer:
"Ausschlaggebend für diese Tat war ein von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit getragenes Tatmotiv. Der Angeklagte zielte darauf ab, die aus seiner Sicht missliebige Flüchtlingspolitik, die Haltung, die Herr Doktor Lübcke in diesem Zusammenhang vertrat, abzustrafen."
Stephan E. bestritt dieses Tatmotiv im Laufe des Prozesses nicht mehr. Er wandte sich im Gerichtssaal mehrfach an die Witwe und die Söhne Walter Lübckes und bezeichnete den Mord als "unentschuldbar und falsch". Auch diese Worte werden das Gericht wohl nicht davon abhalten, Stephan E. lebenslang ins Gefängnis zu schicken.
Dem mitangeklagten Rechtsextremisten Markus H. konnte hingegen nicht nachgewiesen werden, dass er bei der Tat dabei war. Dennoch fordert die Bundesanwaltschaft für Markus H. eine Haftstrafe von neun Jahren und acht Monaten. Denn er habe seinen Gesinnungsgenossen Stephan E. in seinem mörderischen Vorhaben bestärkt und ihm das Schießen beigebracht.
"Ausschlaggebend für diese Tat war ein von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit getragenes Tatmotiv. Der Angeklagte zielte darauf ab, die aus seiner Sicht missliebige Flüchtlingspolitik, die Haltung, die Herr Doktor Lübcke in diesem Zusammenhang vertrat, abzustrafen."
Stephan E. bestritt dieses Tatmotiv im Laufe des Prozesses nicht mehr. Er wandte sich im Gerichtssaal mehrfach an die Witwe und die Söhne Walter Lübckes und bezeichnete den Mord als "unentschuldbar und falsch". Auch diese Worte werden das Gericht wohl nicht davon abhalten, Stephan E. lebenslang ins Gefängnis zu schicken.
Dem mitangeklagten Rechtsextremisten Markus H. konnte hingegen nicht nachgewiesen werden, dass er bei der Tat dabei war. Dennoch fordert die Bundesanwaltschaft für Markus H. eine Haftstrafe von neun Jahren und acht Monaten. Denn er habe seinen Gesinnungsgenossen Stephan E. in seinem mörderischen Vorhaben bestärkt und ihm das Schießen beigebracht.
Aus Mangel an Beweisen entlassen
Während die Bundesanwaltschaft jedoch nicht davon ausgeht, dass Markus H. direkt an der Mordtat auf der Terrasse des Lübcke-Wohnhauses beteiligt war, sehen das die Lübcke-Hinterbliebenen anders.
Dirk Metz, der Sprecher der Familie: "Die Familie ist nach wie vor davon überzeugt, dass die beiden Angeklagten die Tat gemeinschaftlich geplant und auch ausgeführt haben."
Doch wegen Mangels an Beweisen wurde Markus H. am 21. Verhandlungstag im Herbst 2020 aus der bis dahin 15 Monate andauernden Untersuchungshaft entlassen. Für die Familie Lübcke war das ein besonders bitterer Moment, erklärte ihr Anwalt am Tag, an dem Markus H. nicht mehr aus dem Gerichtssaal ins Gefängnis zurück musste:
"Eine kaum erträgliche Entscheidung, die hier heute getroffen worden ist."
Doch wegen Mangels an Beweisen wurde Markus H. am 21. Verhandlungstag im Herbst 2020 aus der bis dahin 15 Monate andauernden Untersuchungshaft entlassen. Für die Familie Lübcke war das ein besonders bitterer Moment, erklärte ihr Anwalt am Tag, an dem Markus H. nicht mehr aus dem Gerichtssaal ins Gefängnis zurück musste:
"Eine kaum erträgliche Entscheidung, die hier heute getroffen worden ist."
Zusätzliche Arbeit für den Untersuchungsausschuss
Doch auch der Bundesgerichtshof lehnte im November 2020 eine Beschwerde der Bundesanwaltschaft gegen die vorläufige Freilassung von Markus H. ab. Ebenfalls schwer zu belegen war der Vorwurf gegen den Hauptangeklagten Stephan E., er habe am 6. Januar 2016 in Lohfelden bei Kassel den Flüchtling Ahmed I. mit einem Messerstich in den Rücken töten wollen.
"Wir hatten natürlich gehofft, dass im Prozess auch über die Mittäter vielleicht noch ein bisschen mehr herauskommt. Das scheint zum jetzigen Stand nicht so zu sein", sagt Nancy Faeser, die Landesvorsitzende der hessischen SPD und Vorsitzende ihrer Fraktion im Wiesbadener Landtag.
"Wir hatten natürlich gehofft, dass im Prozess auch über die Mittäter vielleicht noch ein bisschen mehr herauskommt. Das scheint zum jetzigen Stand nicht so zu sein", sagt Nancy Faeser, die Landesvorsitzende der hessischen SPD und Vorsitzende ihrer Fraktion im Wiesbadener Landtag.
Sie hofft dennoch, dass der mutmaßliche Mordunterstützer Markus H. nicht ungeschoren davonkommt: "Ich würde mir wünschen, dass in diese Richtung vielleicht auch ein klares Urteil gefällt würde, weil bei einem solch furchtbaren Verbrechen Unterstützungsleistungen ja auch ganz wesentlich sind."
Die gelernte Juristin Nancy Faeser sieht jedoch nach dem Verlauf des Mordprozesses in Frankfurt am Main zusätzliche Arbeit auf den Untersuchungsausschuss des Wiesbadener Landtages zukommen. Der hat seine Arbeit inzwischen aufgenommen und nun auch die Akten des Frankfurter Gerichts bekommen.
Die gelernte Juristin Nancy Faeser sieht jedoch nach dem Verlauf des Mordprozesses in Frankfurt am Main zusätzliche Arbeit auf den Untersuchungsausschuss des Wiesbadener Landtages zukommen. Der hat seine Arbeit inzwischen aufgenommen und nun auch die Akten des Frankfurter Gerichts bekommen.
Faeser fürchtet, "dass da noch ganz viel Arbeit für den Untersuchungsausschuss des hessischen Landtages übrig geblieben ist."
Die Frage nach den Unterstützern
Das sieht auch Holger Bellino so. Er ist parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion im hessischen Landtag. Die CDU stellt in Hessen in einer Koalition mit den Grünen die Regierung. Als größte Landtagsfraktion hat sie überdies den Vorsitz im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu den Hintergründen des Mordes an Walter Lübcke, der ja auch CDU-Politiker war.
Die Arbeit des Ausschusses im Wiesbadener Landtag müsse nun genau da ansetzen, wo der Mord-Prozess in Frankfurt am Main nicht weiterkam, fordert Lübckes Parteifreund Holger Bellino:
"Da ging es ja auch vor Gericht darum: War Stephan E. ein Einzeltäter? Hatte er Leute, die ihn unterstützt haben? Zunächst hat man sogar recherchiert, ob er begleitet wurde. Das hat man mittlerweile wohl verworfen. Aber dass beispielsweise der zunächst Mitangeklagte H. ihn ganz klar zumindest aufgehetzt hat, ist nach meinen Kenntnissen erwiesen. Und das wird man in dem Untersuchungsausschuss auch noch einmal herausarbeiten müssen! Inwiefern hat er Unterstützer gehabt? Inwiefern hat er sich von wem auch immer in diese extremistische Welt reinbringen lassen? Hat er vielleicht selbst noch versucht, andere zu 'missionieren'?"
Hermann Schaus ist Landtagsabgeordneter der Linken und stellvertretender Vorsitzender des Lübcke-Untersuchungsausschusses. Die CDU hat ihn mit in dieses Amt gewählt, obwohl sie im hessischen Landtag normalerweise keine gemeinsamen inhaltlichen Anträge mit den Linken und der AfD formuliert. Doch Hermann Schaus hat sich längst auch über die Grenzen der eigenen Partei den Ruf als engagierter Aufklärer in Sachen Rechtsextremismus in Hessen erarbeitet. Schaus will im Untersuchungsausschuss vor allem mögliche Versäumnisse des hessischen Verfassungsschutzes bei der Beobachtung des Mordverdächtigen Stephan E. und seines möglichen Beihelfers Markus H. thematisieren:
"Auf der anderen Seite geht es uns natürlich darum, jetzt die Kontakte zu durchleuchten. Das Landesamt für Verfassungsschutz sieht mittlerweile insgesamt 65 Personen aus der nordhessischen Neonazi-Szene, die mit E. oder H. in Kontakt standen. Da wollen wir genau rein. Was sind das für Leute? Zum großen Teil kennen wir auch deren Biografien oder wir hatten im NSU-Untersuchungsausschuss schon aktenmäßig mit ihnen zu tun. Aber das weitet sich. Ich finde, das ist eine erstaunlich große Zahl, die ist ja jetzt offiziell. Die hat mich selbst erschreckt, als ich sie gehört habe."
"Da ging es ja auch vor Gericht darum: War Stephan E. ein Einzeltäter? Hatte er Leute, die ihn unterstützt haben? Zunächst hat man sogar recherchiert, ob er begleitet wurde. Das hat man mittlerweile wohl verworfen. Aber dass beispielsweise der zunächst Mitangeklagte H. ihn ganz klar zumindest aufgehetzt hat, ist nach meinen Kenntnissen erwiesen. Und das wird man in dem Untersuchungsausschuss auch noch einmal herausarbeiten müssen! Inwiefern hat er Unterstützer gehabt? Inwiefern hat er sich von wem auch immer in diese extremistische Welt reinbringen lassen? Hat er vielleicht selbst noch versucht, andere zu 'missionieren'?"
Hermann Schaus ist Landtagsabgeordneter der Linken und stellvertretender Vorsitzender des Lübcke-Untersuchungsausschusses. Die CDU hat ihn mit in dieses Amt gewählt, obwohl sie im hessischen Landtag normalerweise keine gemeinsamen inhaltlichen Anträge mit den Linken und der AfD formuliert. Doch Hermann Schaus hat sich längst auch über die Grenzen der eigenen Partei den Ruf als engagierter Aufklärer in Sachen Rechtsextremismus in Hessen erarbeitet. Schaus will im Untersuchungsausschuss vor allem mögliche Versäumnisse des hessischen Verfassungsschutzes bei der Beobachtung des Mordverdächtigen Stephan E. und seines möglichen Beihelfers Markus H. thematisieren:
"Auf der anderen Seite geht es uns natürlich darum, jetzt die Kontakte zu durchleuchten. Das Landesamt für Verfassungsschutz sieht mittlerweile insgesamt 65 Personen aus der nordhessischen Neonazi-Szene, die mit E. oder H. in Kontakt standen. Da wollen wir genau rein. Was sind das für Leute? Zum großen Teil kennen wir auch deren Biografien oder wir hatten im NSU-Untersuchungsausschuss schon aktenmäßig mit ihnen zu tun. Aber das weitet sich. Ich finde, das ist eine erstaunlich große Zahl, die ist ja jetzt offiziell. Die hat mich selbst erschreckt, als ich sie gehört habe."
Die Akten aus dem NSU-Untersuchungsausschuss
Dass die rechtsextreme Szene in Nordhessen möglicherweise erheblich größer ist als bisher bekannt – diesen Hinweisen wollen auch die Regierungsparteien im hessischen Lübcke-Untersuchungsausschuss nachgehen.
Eva Goldbach ist stellvertretende Vorsitzende und innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Wiesbadener Landtag.
"Hatte Stephan E. Verbindungen in die bekannte Neonazi-Szene in Nordhessen und in Kassel? Wenn ja, welche waren das? Welche uns schon bekannten Personen sind das? In diesem Zusammenhang haben wir auch die ganzen Akten aus dem NSU-Untersuchungsausschuss der letzten Legislatur angefordert, damit wir uns eben diese Erkenntnisse auch noch einmal anschauen können und dann vielleicht Anknüpfungspunkte finden, um Zeugen zu laden, zu befragen und weitere Fragen zu klären."
Agitation im Betrieb?
Etwa die Frage, auf welchen Wegen Rechtsextremisten in Nordhessen versuchen, Unterstützerstrukturen zu erweitern. So fanden der Hauptangeklagte Stephan E. sowie der Mitangeklagte Markus H. politische Sympathisanten auch in dem Industriebetrieb, in dem sie beide arbeiteten. Kann man womöglich von einer rechtextremistischen Betriebszelle sprechen?
Für die hessische SPD-Landesvorsitzende Nancy Faeser ist das eine offene Frage:
"Das war auch einer der Punkte, die mich sehr erschrocken haben: Wenn man mitbekommt, wie sehr diese – ich finde: menschenverachtenden – Thesen bei den Kolleginnen und Kollegen Widerhall gefunden haben und es daher offensichtlich auch gemeinsame Aktivitäten gab: gemeinsame Demobesuche und ähnliches. Das finde ich schon erschreckend. Und das ist natürlich umso erschreckender, als die Behörden genau das nicht auf dem Schirm hatten."
"Das war auch einer der Punkte, die mich sehr erschrocken haben: Wenn man mitbekommt, wie sehr diese – ich finde: menschenverachtenden – Thesen bei den Kolleginnen und Kollegen Widerhall gefunden haben und es daher offensichtlich auch gemeinsame Aktivitäten gab: gemeinsame Demobesuche und ähnliches. Das finde ich schon erschreckend. Und das ist natürlich umso erschreckender, als die Behörden genau das nicht auf dem Schirm hatten."
Wo lagen die Fehler?
Stefan Müller ist der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion im hessischen Landtag. Er vertritt die Liberalen im Lübcke-Untersuchungsausschuss. Stefan Müller hebt hervor: Anders als beim Lübcke-Mordprozess in Frankfurt am Main gehe es im parlamentarischen Untersuchungsausschuss vor allem um mögliche Fehler staatlicher Behörden im Vorfeld des Mordes an Walter Lübcke:
"Denn wir haben ja eigentlich die Arbeit der Exekutive aufzudecken, also Fehlverhalten oder Fehler zu entdecken. Ich will das gar nicht mit großem Vorwurf formulieren. Aber man muss sehen, wo es Fehler in den Abläufen und Strukturen gegeben hat, damit wir besser werden und das Leben und die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in Hessen besser schützen können."
"Denn wir haben ja eigentlich die Arbeit der Exekutive aufzudecken, also Fehlverhalten oder Fehler zu entdecken. Ich will das gar nicht mit großem Vorwurf formulieren. Aber man muss sehen, wo es Fehler in den Abläufen und Strukturen gegeben hat, damit wir besser werden und das Leben und die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in Hessen besser schützen können."
Ein Appell an die ganze Gesellschaft
"Jeder von uns ist aufgefordert, demokratische Werte zu leben und zu verteidigen. Bitte seien sie ein Teil davon", appelliert Irmgard Braun-Lübcke nicht nur an die Schülerinnen und Schüler der Walter-Lübcke-Schule im hessischen Wolfhagen. Dieser Appell der Lübcke-Witwe geht an die ganze Gesellschaft.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass ihre Söhne und sie in den kommenden Monaten auch als Zeugen vor dem Lübcke-Untersuchungsausschuss des Landtages gehört werden. Die Aufarbeitung des Mordes an ihrem Ehemann ist in Hessen noch längst nicht zu Ende - auch wenn in wenigen Tagen der Strafprozess in Frankfurt am Main abgeschlossen sein wird.