Morton Feldmans letztes Werk

Gelände ohne Ende

Ein Muster aus sich überlappenden Kreisen. Unten fast weiß, nach oben hin immer dunkler ins blau hinein.
Morton Feldmans Musik ist gleichmäßig und doch schillernd wie Gewebe oder dieses Muster. © unsplash / Jason Leung
Moderation: Olaf Wilhelmer  · 25.04.2023
Morton Feldman war ein Meister feiner Klanggespinste, in „Piano Violin Viola Cello“ zog der amerikanische Komponist die Summe seines Schaffens. Das Ensemble Avantgarde hat das selten gespielte Werk in Leipzig zum Leben erweckt.
Hier ist der Weg das Ziel, denn etwas anderes als einen endlosen Weg gibt es nicht. Und auch wenn es immer geradeaus zu gehen scheint, will jeder Schritt gut überlegt sein: Das Gelände ist ein weites Feld – und unwegsamer, als es auf den ersten Blick aussieht.

Feld als Symbol

Die Musik von Morton Feldman (1926-1987) ist schwer zu greifen; das Feld als Symbol war dem amerikanischen Komponisten durch den Namen seiner ostjüdischen Vorfahren in die Wiege gelegt und wurde von ihm selbst gelegentlich verwendet. Noch näher liegen textile Metaphern: Musik als Gewebe. Feldmans Familie betrieb eine Schneiderei, er selbst war von den Strukturen von Stoffen und Teppichen fasziniert.

Texturstudie von 75 Minuten

Dicht verwoben sind denn auch die wenigen Elemente seiner Musik, doch die Verknüpfung ist jedes Mal ein wenig anders. Wie sich ein Stoff zwischen zwei Fingern prüfen lässt, so kann auch das Gehör in Feldmans gleichförmig anmutender und doch so schillernder Musik zur Gewebeprobe ansetzen – mal wird es ihr näherkommen, mal wird die Musik am Gehör zart vorbeigleiten. Ohne jede Änderung des Duktus, ohne jede Unterbrechung gehört „Piano Violin Viola Cello“ mit rund 75 Minuten Dauer zu den kürzeren Spätwerken Feldmans.

Amerikanischer Klassiker des 20. Jahrhunderts

Dieses Klavierquartett ist die letzte Komposition, die Feldman vor seinem Tod 1987 vollendet hat: klangliche Totalabsage an den Weltlauf, Radikalität der Ruhe. Der Pianist und Komponist Steffen Schleiermacher und die Solisten des Ensemble Avantgarde, allesamt Stimmführer im Gewandhausorchester, haben sich mit „Piano Violin Viola Cello“ wieder auf den Weg in Feldmans Kosmos begeben und in ihren seit vielen Jahren hochgelobten Interpretationen amerikanischer Klassiker des 20. Jahrhunderts einen neuen Meilenstein erreicht.

Morton Feldman
„Piano Violin Viola Cello“

Ensemble Avantgarde:
Andreas Seidel, Violine
Dorothea Hemken, Viola
Christian Giger, Violoncello
Steffen Schleiermacher, Klavier

Aufzeichnung vom 19.04.2023, aus dem Gewandhaus Leipzig, Mendelssohn-Saal
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