Wiederaufbau nach den Fluten
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Im Frühjahr haben zwei Zyklone das Küstengebiet Mosambiks verwüstet. Die dramatischen Bilder aus der Hafenstadt Beira waren tagelang in den TV-Nachrichten - und plötzlich waren sie wieder weg. Nachrichten sind kurzlebig, Katastrophen nicht.
Anabella Armando sitzt auf einem Schemel und schält Maniok-Knollen für das Abendessen - in dem Raum, der einmal ihre Küche war. Der Boden ist feucht, in einer Ecke sind die wenigen Haushaltsutensilien der Familie gestapelt, ein Dach gibt es nicht mehr.
"Der Zyklon hat fast alles zerstört. Wir hausen seitdem alle in einem kleinen Raum nebenan – mein Mann und ich, meine vier Kinder, meine Nichte. Wir versuchen, irgendwie zu überleben, so wie alle hier in der Nachbarschaft. Ich hoffe, dass wir den Kindern bald wieder ein besseres und sicheres Zuhause bieten können."
Leben ohne Dach über dem Kopf
Ihre jüngste Tochter hängt buchstäblich an ihrem Rockzipfel. Sie hat gerade laufen gelernt. Doch das ist nicht ganz einfach zwischen herumliegendem Bauschutt, Abfällen und Pfützen in den engen Gassen von Matacuane, einem der dichtbesiedelten, ärmlichen Viertel von Beira. So wie im Rest der Hafenstadt habe kaum eines der kleinen Steinhäuser die Naturkatstrophe unbeschadet überstanden, erzählt Anabellas Mann, Joao da Silva.
"Überall auf der Straße lagen Teile der abgedeckten Dächer. Ich habe ein paar aufgesammelt und für unser Schlafzimmer ein provisorisches Dach gebaut. Aber die Teile sind alt, löchrig und nur mit Steinen beschwert. Wenn demnächst die Regenzeit beginnt, wird es sicher reinregnen. Das bereitet mir Sorgen. Ich bin ein einfacher Fischer und verdiene nicht viel, aber ich tue mein Bestes, um das Haus für meine Familie so schnell wie möglich wieder aufzubauen."
Wie viele Mosambikaner wartet der Familienvater dabei nicht tatenlos auf Unterstützung von der Regierung oder Hilfsorganisationen, sondern packt selbst an.
Die ganze Stadt gleicht einer Baustelle: Die Bewohner reparieren Dächer, die vorher nur notdürftig mit Plastikplanen abgedeckt waren, tauschen zerbrochene Fenster aus oder verschließen sie mit Spanplatten. Am Straßenrand stehen LKW mit Sandlieferungen und stapelweise neue Mauersteine, entweder für den eigenen Gebrauch oder zum Verkauf. Diese Eigeninitiative lässt auch Helfer wie Marc-Antoine Miraglia staunen, der von "Handicap International" nach Beira entsandt worden ist.
"Die Widerstandsfähigkeit der Menschen hier beeindruckt mich seit meiner Ankunft. Unmittelbar nach dem Zyklon haben die Menschen die Ärmel aufgekrempelt und beispielsweise erste Notunterkünfte errichtet. Lokale Unternehmen haben sich an der Räumung der Hauptverkehrswege beteiligt. Alle sind darauf erpicht, schnell wieder in den Alltag zurückzufinden. Wir sind nur da, um sie dabei zu unterstützen."
Unterricht in vier Schichten
Auch der Schulbetrieb ist nach dem Zyklon in Beira zügig wieder aufgenommen worden. Trotz erheblicher Schäden. In der Grundschule des elften November im Stadtteil Manga drängen sich die Schüler in einem der wenigen Klassenräume, die noch ein einigermaßen intaktes Dach haben, andere werden in Zelten unterrichtet, die das Kinderhilfswerk Unicef hier errichtet hat. Für die Kinder sei die schnelle Rückkehr in eine Art Alltag besonders wichtig, betont Daniel Timme von Unicef.
"Es geht nicht nur darum, dass der Unterricht weitergeht, sondern auch, dass die Kinder ein bestimmtes Gefühl der Sicherheit haben, weil sie doch durch diese Katastrophe sehr traumatisiert sind. Und dass wir eine gewisse Kontrolle über die Kinder haben. In so einer Situation ist es oft so, dass die Kinder nicht zur Schule geschickt werden, weil sie arbeiten müssen und im schlimmsten Fall sogar sexuell missbraucht werden. Und die Schule ermöglicht es eben, dass wir als Organisation hier eine gewisse Kontrolle haben, ob Missbrauch stattfindet, aber auch, ob Kinder Ernährungsprobleme haben oder auch Gesundheitsprobleme haben."
In einem winzigen Zimmer, das eher an einen Abstellraum als an das Büro eines Schuldirektors erinnert, sitzt Schuldirektor José Domingos Francisco hinter einem kleinen Pult. Fast alle der 3500 Kinder seien zum Unterricht zurückgekehrt, erzählt der alte Mann. Sie werden in vier Schichten unterrichtet, weil kein Platz für alle ist.
"Wir haben nach dem Zyklon noch mehr Kinder aufgenommen, die aus den Überflutungsgebieten im Umland hierher geflüchtet waren. Glücklicherweise sind Schulbücher, Hefte und andere grundlegende Lernmaterialien gespendet worden. Aber die Not ist weiter groß. Immer wieder erleben wir, dass Kinder im Unterricht einschlafen, weil sie tagelang nichts gegessen haben. Das berührt uns sehr. Wir helfen, wo wir können, aber leider sind die Mittel begrenzt."
"Immer wieder fehlen Kinder in der Schule, weil sie krank sind", erzählt der Rektor. Doch glücklicherweise habe der Ausbruch von Epidemien nach dem Zyklon verhindert werden können, fügt Daniel Timme von Unicef hinzu.
"Cholera war das größte Problem und dank der Wiederherstellung der Wasserversorgung und der großen Impfkampagnen, ist die Cholera im Moment im Griff. Das heißt nicht, dass die Gefahr überwunden ist. Sobald wir da nachlassen, müssen wir damit rechnen, dass das sofort wieder ausbricht. Des Weiteren haben wir hier das Problem, dass die Malaria verstärkt auftritt, weil eben die Moskitos in diesen überschwemmten Gebieten sich enorm ausgebreitet haben."
Es ist eine zusätzliche Belastung für das ohnehin marode Gesundheitssystem. Krankenhäuser und Kliniken sind durch den Zyklon ebenso zerstört oder beschädigt worden, wie viele Schulen. Mehrmals seien Leute gekommen, um Maß für neue Dächer zu nehmen, meint Schuldirektor Francisco. Aber wann sie ersetzt werden, das weiß niemand. Also bleibt ihm nur: hoffen und warten.
Eigeninitiative statt Hoffen auf den Staat
Einfache Bürger wie Familienvater Joao da Silva haben die Hoffnung auf Hilfe dagegen fast schon aufgegeben. In die eigene Regierung hat er kein Vertrauen.
"Eine einzige Notration haben wir zu Beginn vom Staat erhalten: 25 Kilo Reis und ein Liter Öl. Seitdem ist hier im Viertel keine Hilfe mehr eingetroffen. In anderen dagegen schon: Lebensmittel, Trinkwasser und Medikamente. Dort sind die Ortsvorsteher offenbar ehrliche Menschen. In unserem Fall aber vermuten wir, dass Hilfslieferungen unterschlagen wurden. Auch wenn wir dafür keine handfesten Beweise haben."
Diese Vermutung kommt nicht von ungefähr: Mosambik hat ein Korruptionsproblem. Der letzte große Skandal hat dazu geführt, dass etliche internationale Geber ihre Zahlungen an das Land ausgesetzt haben. Die Folge waren eine Wirtschaftskrise und ein massiver Vertrauensverlust. Entsprechend schwierig sei es jetzt, die notwenigen Summen für die Katastrophen- und Wiederaufbauhilfe aufzubringen, sagt Peter Rodrigues vom Welternährungsprogramm:
"Die begrenzten finanziellen Ressourcen sind im Vergleich zu vielen anderen Katastrophenfällen definitiv eine große Herausforderung. Nach der kurzfristigen Hilfe braucht diese Region auch langfristig Unterstützung, um auf kommende Krisen besser vorbereitet zu sein. Ich denke, sowohl die Geber als auch die Regierung müssen sich bewusst sein, dass es hier einen konstanten Bedarf gibt."
Eine Grund dafür ist der Klimawandel: Nach Jahren der Dürre ist Mosambik kurz nacheinander von zwei verheerenden Zyklonen heimgesucht worden. Experten sind sich einig: Die nächste Naturkatastrophe ist nur eine Frage der Zeit. Deshalb geht es in Mosambik nur darum, dass, sondern auch, wie wiederaufgebaut wird, sagt Marc-Antoine Miraglia von "Handicap International".
"Es reicht nicht, die Leute nur darin auszubilden, wie sie widerstandskräftigere Häuser bauen können. Denn vielen fehlt dafür das Geld. Das muss bei den Wiederaufbauprojekten berücksichtigt werden. Es darf nicht nur darum gehen, dass es billig und schnell geht, sondern dass die Gebäude künftig Windstärken von 240 Stundenkilometern standhalten können. Ein weiteres Problem ist die Ansiedlung entlang der Flüsse. Die Leute leben dort, weil der Boden fruchtbar ist. Selbst wenn sie Gefahr laufen, dass eines Tages wieder alles zerstört wird."
Wohnen am Flussufer ist gefährlich
Aus solchen Regionen stammen die Familien, die nun in sogenannten "Resettlement Camps" leben. Mandruzi liegt rund 30 Kilometer außerhalb von Beira. Noch ist es ein Zeltlager mit provisorischen Schulen und Kliniken. Doch auch hier hat der Wiederaufbau begonnen. Eine junge Frau, die sich als Elisa vorstellt, hat vor dem Zelt ihrer zwölfköpfigen Familie bereits ein Gemüsebeet angelegt, daneben trocknen die ersten Mauersteine in der Sonne.
"Wir sind nun schon seit mehreren Monaten hier. Von unserem Haus, unserem ganzen Dorf, unseren Feldern, ist nichts mehr übrig. Aber hier sind wir sicher. Wir wollen bleiben, so wie unsere Nachbarn. Wir haben schon einen Brunnen ausgehoben, Tomaten, Zwiebeln und Spinat gepflanzt und aus den Steinen dort wollen wir ein neues Haus bauen. Wir warten nur noch darauf, dass dieses Stückchen Land offiziell uns zugesprochen wird."
Denn das ist der Plan: Die mosambikanische Regierung möchte die Familien auf diesem ursprünglich brachliegenden Land dauerhaft ansiedeln. In ihrer alten Heimat am Flussufer sind sie einfach nicht mehr sicher.
Nur wenige Kilometer weiter, in Magandafuta, warten die Menschen auf Lebensmittelhilfe. Die Frauen sitzen auf dem Boden, dahinter stehen die Männer. Hagere Gesichter, viele Alte, allesamt Kleinbauern, die nun vollkommen mittellos sind. Der Zyklon hat ihre traditionellen, grasgedeckten Lehmhäuser dem Erdboden gleichgemacht, die Überschwemmungen ihre Reis- und Maniok-Felder zerstört. Der Schrecken steht selbst gestandenen Männern wie Novais Ngano noch immer ins Gesicht geschrieben.
"Alles war voller Wasser. Wir mussten uns auf Bäume retten und dort tagelang ausharren. Als wir wieder heruntergeklettert sind, war alles weg und wir, wie auf einer Insel, vom Wasser eingeschlossen. Es hat Monate gedauert, bis wir Hilfe bekommen haben. Solange waren wir auf uns gestellt, haben uns von Fischen aus dem Fluss ernährt, von Wurzeln, allem Essbaren, das wir finden konnten. Viele leben noch immer unter Plastikplanen, die jemand gespendet hat. Wir müssen von Null beginnen und sind auf Lebensmittelhilfen angewiesen."
Die LKW des Welternährungsprogramms fahren vor, Säcke mit Schälerbsen und Container mit Öl werden abgeladen. Die Ernährungslage ist in Mosambik ohnehin prekär. Über 40 Prozent der Kinder gelten als chronisch mangelernährt. Durch die Naturkatstrophe hat sich die Situation dramatisch zugespitzt, meint Peter Rodrigues.
"Laut einer aktuellen Studie ist die Ernährungssicherheit von zwei Millionen Menschen bis zur nächsten Erntesaison bedroht. Also bis März, April nächsten Jahres. Wir versorgen Menschen mit Nahrung, die es besonders hart getroffen hat. Gleichzeitig helfen wir ihnen, ihre Lebensgrundlage wieder herzustellen, Äcker wieder urbar und Zugangsstraßen passierbar zu machen. Es gibt in diesem riesigen Katastrophengebiet noch immer Gegenden, die nur sehr schwer zu erreichen sind, wo man mit dem LKW nicht durchkommt und die Menschen einen Fluss überqueren müssen, um Essen in Empfang zu nehmen."
Waldrodungen sind Klimakiller
Auf der Rückfahrt nach Beira liegt ein kleines Waldstück am Rand der Straße – das "Mezimbite Forest Center". Der Südafrikaner Allan Schwarz hat es vor 25 Jahren gegründet. Schon damals hat er vor den Folgen der massiven Waldrodungen in Mosambik gewarnt, die dafür mitverantwortlich sind, dass Naturkatastrophen in der Region immer verheerender werden.
"1963, als die letzte umfassende Studie erhoben wurde, waren drei Viertel von Mosambiks Fläche von Wäldern bedeckt. Heute können wir uns glücklich schätzen, wenn es noch zehn Prozent sind. Das ist also ein enormer Verlust."
Die Gründe sind vielfältig: Wälder werden für die Landwirtschaft gerodet, für die Produktion von Holzkohle oder für den illegalen Export von Edelhölzern, vor allem nach China. Schwarz versucht, dieser Entwicklung entgegenzuwirken: Seine Baumschule gehört zu den größten des Landes, er unterrichtet Einheimische darin, wie sie die natürlichen Ressourcen ihrer Wälder nachhaltig nutzen und damit Geld verdienen können, setzt auf ökologische Landwirtschaft. Ein Konzept, dass sich jetzt in der Krise bewährt hat: Auch auf seinem Land hat Zyklon Idai Dächer abgedeckt, Werkstätten zerstört, Bäume entwurzelt – aber nicht alles ist verloren.
In einer provisorischen Küche von Mezimbite bereiten Freiwillige aus der Umgebung Mahlzeiten für rund 3000 Schulkinder vor. Ohne Spendengelder, nur mit dem Gemüse, das Schwarz und sein Team unmittelbar nach dem Sturm angebaut haben.
"Das Interessante daran ist, dass unsere Nachbarn zu uns gekommen sind und gesagt haben: Wow, ihr seid auch hart getroffen worden, aber während wir alles verloren haben, seid ihr schnell wieder auf die Beine gekommen und füttert jetzt sogar unsere Kinder durch. Wir möchten lernen, wie ihr das macht. Wir wollen nicht auf Politiker oder Hilfsorganisationen warten, sondern unser Leben aus eigener Kraft verbessern. Das gibt mir Hoffnung: die einfachen Leute, die ihr Verhältnis zur Umwelt verbessern und dadurch Veränderungen auf den Weg bringen."
Auch das trägt dazu bei, dass Mosambik in Zukunft den unberechenbaren Umweltkatastrophen besser die Stirn bieten kann. Es wird nötig sein. Das Land, so meint Schwarz zum Abschied, darf sich nicht nur als Opfer des Klimawandels begreifen. Wer den eignen Teil der Verantwortung anerkenne, der könne auch Teil der Veränderung sein.