Anti-Terror-Kampf in Mosambik

Militärisch ist der Frieden nicht zu erringen

25:19 Minuten
Mosambikanische Soldaten sind zu einer Formation aufgestellt und präsentieren Fahnen, darunter auch die der EU.
Kann Mosambik mithilfe internationaler Truppen den islamistischen Terror im Norden des Landes besiegen? © Deutschlandradio / Stefan Ehlert
Von Stefan Ehlert · 02.02.2022
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Vor einem Jahr bekam die mosambikanische Regierung Militärhilfe aus dem Ausland, weil sie die Islamisten im Norden des Landes allein nicht unter Kontrolle bekam. Nach anfänglichen großen Erfolgen stagniert jedoch der Kampf gegen die Terroristen.
Die Rekruten robben unter tief gespanntem Draht voran. Über dem Draht herrscht Sperrfeuer. Ob es scharfe Schüsse sind, ist dem Twittervideo nicht zu entnehmen. Ein gewisser Tio Ernesto lobt in diesem Tweet den Trainingseifer der jungen Mosambikaner. Auch das Staatsfernsehen sendet in jüngster Zeit vermehrt aufmunterndes Lob für Militärs, zuletzt vergangene Woche anlässlich eines Besuchs von Präsident Filipe Nyusi bei Reservisten in Palma in der Provinz Cabo Delgado.
Die Stadt Palma sei jetzt sicherer als zuvor, sagte Nyusi, und die Militärs sollten dafür sorgen, dass das so bleibe und niemanden hereinlassen. Mit „Niemand“ meint er Aufständische der Gruppe Ahlu Sunna wa Jama’a, die als Verbündete der Terrororganisation Islamischer Staat gilt. Die Bevölkerung nennt sie auch Al-Shabaab oder Machababos. Seit mehr als vier Jahren überziehen sie die Provinz Cabo Delgado im Norden Mosambiks mit Gewalt. Es gab rund 3700 Tote und zeitweilig mehr als 800.000 Flüchtlinge. Noch immer sind es mehr als 700.000.

Terroranschlag auf Hafenstadt Palma vertrieb Investoren

Palma ist eine strategisch wichtige Hafenstadt, rund 2500 Kilometer nördlich der mosambikanischen Hauptstadt Maputo. Hier im Norden sollen riesige Erdgasvorräte erschlossen werden, unter Leitung des französischen Total-Konzerns. Investitionen von mehr als 20 Milliarden Euro waren geplant. Doch im März 2021 stürmten islamistische Kämpfer die Stadt. Es gab viele Tote, darunter auch Ausländer. Seitdem liegen die Arbeiten auf Eis.
Nach dem Fall von Palma galt vielen auch die Provinzhauptstadt Pemba nicht mehr als sicher, berichtet Manuel Nota, Chef der Caritas in Pemba:
„Es herrschte ein Klima der totalen Angst, denn sie hätten ja auch Pemba angreifen können. Und in einem bestimmten Moment habe ich meine Kinder von hier weggebracht, in eine andere Provinz. Nachdem sich die Lage normalisiert hatte, habe ich sie zurückgeholt, aber es gibt weiterhin die Angriffsdrohungen gegen Pemba.“
Doch was bedeutet schon das Wort „normalisiert“ in Cabo Delgado? Wie schon vor einem Jahr kümmert sich Manuel Nota mit Kolleginnen und Kollegen um Zehntausende Geflüchtete. Auch wenn sich die Sicherheitslage an vielen Orten verbessert habe, sagt er, sei ihre Not nach wie vor sehr groß:
„Die Bedürfnisse sind enorm. Am meisten fehlen Lebensmittel. Dann stellt sich die Frage des Kochgeschirrs. Das, was vor einem Jahr ausgegeben wurde, ist oft schon kaputt. Die Menschen bitten um Ersatz für die Töpfe. Und in einigen Flüchtlingszentren fehlt es an Saatgut und Werkzeug, dort wo die Menschen ein Stück Land erhalten haben, um etwas anzupflanzen."

Zeichen für beginnende wirtschaftliche Aktivität

Doch das Land reicht nicht für alle. Im Flüchtlingscamp Nangua, 40 Kilometer von Pemba entfernt, haben junge Männer auf einer staubigen Freifläche einen Barbershop eröffnet, wo sie anderen Männern die Köpfe rasieren, wenn es Strom gibt – ein Zeichen für beginnende wirtschaftliche Aktivität.
Junge Männer in einem provisorischen Friseursalon in einem Flüchtlingscamp in Mosambik.
Kino und Friseursalon zugleich - wenn es im Flüchtlingscamp Strom gibt.© Deutschlandradio / Stefan Ehlert
Der Verschlag dient auch als Kino. Auf der Frisierkommode unterhalb des Spiegels steht ein winziger Laptop. Auf ihm spulen die Jungunternehmer vor drei bis vier Zuschauern alte Filme ab.
Hier in der Nähe wohnt auch der 57-jährige Geraldo António in einer Grashütte, die keinen Schutz vor dem Regenwasser bietet, weder von oben noch von unten. Es fehlten Plastikplanen, klagt António, außerdem mangele es an Feuerholz und Lebensmitteln, von Töpfen ganz zu schweigen. Er würde lieber heute als morgen in sein Heimatdorf in Quissanga zurückkehren, es ist keine 200 Kilometer entfernt. Dort hat er mit seiner Frau fünf Kinder großgezogen und war nie auf Hilfe angewiesen. Doch das Risiko ist ihm zu groß, noch sei es nicht sicher daheim:
„Natürlich habe ich Angst", sagt er. "Aber außer Angst habe ich auch Respekt vor den Autoritäten. Ich muss machen, was die Regierung sagt. Ich kann nicht einfach machen, was mir gerade in den Kopf kommt.“
Eine generelle Entwarnung für Cabo Delgado gibt es nicht. Valige Tauabo, der gewählte Gouverneur der Provinz, bittet die Bevölkerung um Geduld:
Die Arbeit, die unsere Sicherheitskräfte und ihre Partner geleistet haben, erlaubt es uns festzustellen, dass es eine gewisse Sicherheit gibt und eine Erleichterung des Leids in den Dörfern, weil unsere Truppen da sind. Aber das heißt nicht, dass die terroristischen Angriffe aufhören.“

Seit November wieder mehr Angriffe durch Islamisten

Im Gegenteil. Das Informationsnetzwerk „Cabo Ligado“ meldet seit November wieder vermehrt tödliche Angriffe der Islamisten, die sich inzwischen bis in die Nachbarprovinz Niassa ausgeweitet haben. Und trotz eines multinationalen Verbandes von Spezialkräften in Cabo Delgado reißen auch dort die Attacken nicht ab, meldete im Januar das unabhängige Podcastradio „Die Stimme Cabo Delgados“:
Fünf Tote habe es bei Nangade gegeben, sagt der Nachrichtensprecher. Dabei sah es lange so aus, als habe der Kurswechsel der Regierung in der Sicherheitspolitik die bewaffneten Aufständischen zum Rückzug gezwungen. Nach dem Debakel in Palma ließ sich Präsident Nyusi vergangenes Jahr endlich auf Hilfe aus dem Ausland ein.
Wir haben unsere ruandischen Freunde um Unterstützung gebeten, und sie sind schon da, verkündete Nyusi Anfang Juli 2021. Ruanda schickte zunächst 1000, dann 2000 Soldaten. Kurz darauf entsandte auch die südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft SADC eine Militärmission, die SAMIM. Sie soll verhindern, dass sich der Terror zu einer regionalen Bedrohung auswächst. Binnen vier Wochen drehte sich das Bild. Kurz nach ihrer Ankunft befreiten ruandische Einheiten – offiziell zusammen mit mosambikanischen – die Stadt Mocímboa da Praia, im August 2021. Ein wichtiger Sieg, wie ein ruandischer Armeesprecher dem Fernsehsender France 24 sagte:
Sie hielten diese Stadt für strategische Zwecke, für die Kommunikation. Von hier aus planten sie ihre Operationen auch im Hinterland. Den Ort einzunehmen, war sehr wichtig für uns.“  

Ruandas Militär hat einen sehr guten Ruf

Warum Ruanda sich im fernen Mosambik engagiert, darüber wird spekuliert: Geht es um mehr Einfluss in Afrika, um wirtschaftliche Interessen, ist es im Auftrag der Franzosen? Fest steht: Die ruandischen Truppen genießen einen Ruf wie Donnerhall. Sie agieren diszipliniert, sie haben einen guten Draht zur Bevölkerung. Sie gelten als bestens ausgebildet und betreiben Aufklärung mit modernen Drohnen. Der Erfolg schien ihnen lange gewiss.

Eine allein militärische Lösung des Konflikts wird es dem Mosambik-Experten Michael Hagedorn zufolge nicht geben. „Man muss den Aufständischen, vor allem denen, die sich aus Verzweiflung angeschlossen haben, glaubwürdige Bedingungen anbieten: zum Beispiel Amnestie oder Geld gegen das Abgeben von Waffen“, sagt Hagedorn, der seit den 1970er-Jahren in der Entwicklungsarbeit tätig ist. Auch die EUTM-Mission in Mosambik findet er "sehr, sehr problematisch. Das ist eine Verschwendung von Geldern der europäischen Steuerzahler.“ Das ganze Interview mit Hagedorn können Sie in dieser Weltzeit nachhören.

„Willkommen in Mbau. Dieser Ort war eine Hochburg der terroristischen Gruppe hier. Der Kommandeur des militärischen Flügels, Bin Omar, lebte hier. Es war früh am Morgen um 5.30 Uhr, als unsere Soldaten auf dem Weg hierher angegriffen wurden. Die Angreifer wurden zurückgeschlagen und zwölf von ihnen starben im Kampf.“
Ein ruandischer Militärsprecher erklärt dem Reporter von TV-Mosambik, was sich in Mbau zugetragen hat. Dort befand sich eine der Kommandobasen der Islamisten. Die Ruander zeichnen sich im Gegensatz zu Mosambiks Streitkräften durch eine professionelle Public-Relation-Arbeit aus, vor allem, solange Erfolge zu melden sind. Reporter dürfen sogar die Waffen abfilmen, die Ruander und Mosambikaner bei ihren Razzien der feindlichen Basen beschlagnahmen:
Die Truppen haben diese Maschinengewehre gesichert, die die Angreifer wahrscheinlich erbeutet hatten. Außerdem wurden diese Granatwerfer gefunden, die berühmten Bazookas, dazu jede Menge weiteres Material.“

Den Islamisten fehlen Nahrung und Munition

Was Propaganda ist und was die Wahrheit, lässt sich in Cabo Delgado schwer einschätzen. Doch immer wieder bestätigen gefangene Islamisten, dass es ihnen an Nahrung fehle und an Munition. Glaubwürdig wirken zudem Meldungen, wonach es Hunderte Tote in den Reihen der Islamisten gab. Hunderte Verdächtige stehen inzwischen vor mosambikanischen Gerichten. Doch zuletzt gab es auch wieder Verluste in den Reihen der Interventionstruppen.
Corinna Jentzsch ist Assistenzprofessorin für Internationale Beziehungen an der Universität Leiden. Sie forscht seit zwölf Jahren zum Thema Politik und Sicherheit in Mosambik. Sie ist der Meinung, dass der Einsatz aus dem Ausland noch etwas halbherzig gefahren wird:
„Wenn man fordert, dass der Erfolg, den die ruandischen Truppen im letzten Sommer erreicht haben, auch nachhaltig gesichert werden muss, dann muss man sich auch eingestehen, dass man wahrscheinlich auch mehr Truppen braucht, mehr Ressourcen, auch andere Waffen, mehr Helikopter. Und es ist nicht deutlich, dass Ruanda dazu bereit ist oder die Ressourcen dazu hat - und auch nicht, dass die SADC die Mittel dazu zur Verfügung hat.“
Es fehle an Luftunterstützung und Bodentruppen - das ist auch aus südafrikanischen Sicherheitskreisen zu erfahren. Immerhin wurden die Einsätze der SAMIM und Ruandas jetzt im Januar noch einmal verlängert, obwohl unklar ist, aus welchen Töpfen die kostspieligen Missionen bezahlt werden. Aber was geschieht, wenn die Helfer aus dem Ausland abziehen und Mosambiks Streitkräfte wieder auf sich gestellt sein werden?

EU hilft mit zweijähriger Trainingsmission

Hier kommt Europa ins Spiel. Im November hat die EU auf Betreiben Portugals mit großem Brimborium eine zweijährige Trainingsmission für Mosambik aufgelegt. Ihr Ziel ist die schnelle Bildung einer effizienten Eingreiftruppe.
Schon bald sollten die ersten Absolventen einsatzbereit sein, sagte der Kommandeur der EU-Mission, der Brigadegeneral und Militärhistoriker Nuno Lemos Pires bei der feierlichen Eröffnung der EUTM. Sein Anspruch ist kein geringerer als ein komplett neues Mindset in den Köpfen des militärischen Personals zu schaffen: Bislang war Mosambiks Militär eher berüchtigt für Menschenrechtsverletzungen und Übergriffe auf die eigene Bevölkerung. So aber, sagt Lemos Pires, sei ein Anti-Terrorkrieg nicht zu gewinnen:
Wir wollen, dass diese Truppen eins sind mit der Bevölkerung, dass sie ihr zuhören, sie beschützen und ihr dienen. Das Beste, was einer solchen Einheit begegnen kann, ist Einklang mit den Städten und Dörfern, sodass es heißt: Da kommen unsere Soldaten, da kommen unsere Beschützer. Deshalb bilden wir sie nicht nur zum Kämpfen aus, sondern auch darin, die Menschenrechte zu schützen, den Frauen sichere Räume zu schaffen und – ganz besonders wichtig! – die Kinder zu schützen. Sie sind die Zukunft Mosambiks.“
Das klingt stellenweise nach Entwicklungshilfe in Uniform. Gut so, sagt der Journalist Borges Nhamirre in Maputo. Er gehört zu den bestinformierten Analysten der Lage und verfügt über gute Kontakte. Aus seiner Sicht ist die Arbeit der EU-Militärausbilder extrem wertvoll, weil sie gut disziplinierte Einheiten hervorbringen könnten:
„Weil Mosambik so arm ist, hat es seine Soldaten immer in verschiedenen Ländern ausbilden lassen, einige in China, einige in den USA, andere in der Sowjetunion, in Südafrika und sonstwo, etwa in Portugal. Wie sollen diese Leute zusammenarbeiten? Durch das Training der EUTM, die 2000 Soldaten ausbildet und auch die Trainer trainiert, die das Wissen weitergeben – können wir gut ausgebildete Einheiten der Kriegsmarine haben und Spezialkommandos.“

Mosambik zählt zu korruptesten Ländern weltweit

Künftig will auch Ruanda helfen, auszubilden und so Missstände in den forças armadas abzustellen. Doch werden die künftigen Elitekämpfer dann auch bezahlt, ernährt, ausgerüstet und gut geführt? Eine Garantie dafür gibt es nicht, zumal Mosambik nicht nur zu den ärmsten, sondern auch zu den korruptesten Ländern der Welt zählt.
Eine junge Frau mit einem Kleinkind im Tragetuch bekommt von einem Mann einen blauen Plastiksack gereicht.
Die Flüchtlinge wollen in ihre Heimatorte zurück - aber erst, wenn wieder Frieden herrscht.© Deutschlandradio / Stefan Ehlert
Das Argument, dass sich vergleichbare Interventionen der Europäer in Mali oder Afghanistan nicht bewährt hätten, lässt Analyst Nhamirre aber nicht gelten. Irgendwo müsse man ja anfangen und könne nicht die Hände in den Schoß legen:
„Wir haben hier einen Haufen Probleme. Es ist, als würden wir sagen: Es fehlt an Essen und keiner kann kochen. Deshalb bereiten wir jetzt immerhin Köche auf ihre Aufgabe vor und dann sehen wir, ob wir etwas zu essen bekommen. Ohne Köche gibt es keine nahrhaften Gerichte. So sehe ich das Training. Es ist unverzichtbar und sehr wichtig.“

Armut und Arbeitslosigkeit als Konfliktursache

Die meisten Beobachter und sogar Militärs stimmen aber darin überein, dass der Norden Mosambiks nur befriedet werden könne, wenn die Machthaber in Maputo auch die Ursachen der Krise beseitigten: Armut, Arbeitslosigkeit, mangelnde Teilhabe. Die Mosambikexpertin Corinna Jentzsch von der Universität Leiden wirft der Regierung in Maputo Ignoranz gegenüber berechtigten Interessen der Bevölkerung vor. Diese müsse beim geplanten Wiederaufbau viel stärker beteiligt werden. Darüber hinaus hält Jentzsch jetzt den Zeitpunkt für gekommen, mit den Aufständischen zu verhandeln:
„Man weiß mittlerweile, wer die Anführer der Rebellen sind, wer die lokalen Kommandeure sind. Die Regierung hat das lange Zeit ignoriert, dass man das weiß. Aber man kann mit denen in Kontakt treten, es gab ja auch schon Kontakte. Ich glaube, jetzt wäre eine Situation, wo man das auch schon einleiten könnte. Verhandlungen sind auf jeden Fall wichtig.“
Die Zeit drängt. Hunderttausende in Cabo Delgado warten darauf, in ihre Heimat zurückkehren zu können. Sie wollen nicht noch ein drittes oder viertes Jahr im Flüchtlingscamp verbringen, wie diese junge Mutter von vier Kindern – ihren Namen möchte sie nicht sagen:
Ich weiß noch nicht, ob der Krieg jetzt vorbei ist. Ich hoffe auf die Nachricht, die mir sagt: Die Kämpfe sind vorbei, ich kann nach Hause! Aber solange diese Information nicht kommt, gehe ich auf keinen Fall zurück.“
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