Moshe Zuckermann: Der allgegenwärtige Antisemit oder die Angst der Deutschen vor der Vergangenheit
Westend Verlag, Frankfurt am Main 2018
256 Seiten, 20 Euro
Polemische Kritik am deutsch-israelischen Verhältnis
Israel und Deutschland verbindet eine "pathologische Beziehung": Das schreibt Moshe Zuckermann in "Der allgegenwärtige Antisemit". Trotz aller Einseitigkeit legt der israelische Soziologe mit seinem Buch den Finger auch in einige offenen Wunden.
Halten Sie Antisemitismus für eine eminente Gefahr? Dann werden Sie sich über das Buch "Der allgegenwärtige Antisemit" furchtbar ärgern. Der Titel ist nämlich sarkastisch gemeint. Moshe Zuckermann interessiert sich in diesem Werk gar nicht für Antisemitismus. Umso mehr aber für die Instrumentalisierung des Antisemitismus-Vorwurfs durch deutsche "Anti-Antisemiten", durch Juden in Deutschland und durch den Staat Israel.
Zuckermanns Frage im Hinblick auf die "orchestrierte Panik" in der hiesigen Öffentlichkeit lautet: "Ist es wirklich ein Weltuntergang, wenn man im heutigen Deutschland antisemitischen Vorfällen ausgesetzt ist?" Wohlgemerkt, es ist ein Jude und Sohn polnisch-jüdischer Holocaust-Überlebender, der so fragt. Ist er also ein "jüdischer Antisemit"? Zuckermann hält den Vorwurf für absurd.
Anklagen eines marxistisch geprägten Soziologen aus Israel
Für den marxistisch geprägten Soziologen ist Israel ein Land, das im "Gegensatz zu jedweder humanen, aufgeklärten und friedlich ausgerichteten Gesellschaft steht." An den Palästinensern übe es "die Barbarei eines illegalen Okkupationsregimes" aus. Gegenüber nicht-jüdischen Minderheiten herrsche Apartheid: Israel kultiviere Bedrohungsängste, obwohl es die mächtigste Regionalmacht sei, und könne gar nicht als echte Demokratie gelten – bekannte Anklagen, die Zuckermann mit Zorn vorträgt.
Seine Begründung für die israelische Malaise reicht bis zum ersten zionistischen Kongress 1897 zurück. Israel sei der einzige Staat, der ideell entworfen wurde, bevor es ein Territorium für seine Verwirklichung gab. Zudem ein Staat, der den Holocaust hemmungslos zur Selbst-Legitimation ausgebeutet habe ("Zionisierung der Shoa") und nun in einem Dilemma feststecke: "Was ..., wenn der Antisemitismus von Israel als Grundbestand der zionistischen Selbstsetzung gewollt, ja ideologisch herbeigesehnt wird?"
Deutsche Überkompensation der Holocaust-Schuld
Auf ihrer ständigen, immer noch vergeblichen Suche nach Normalität sieht Zuckermann Israel und Deutschland in eine "pathologische Beziehung" verstrickt. Das "Anti-Antisemitismus-Geschrei" vieler Deutscher sowie der Umstand, dass die Sicherheit Israels zur "deutschen Staatsräson" erklärt wurde – beides ist laut Zuckermann als Überkompensation der Holocaust-Schuld und als "letzte Konsequenz aus der verbrecherischen Geschichte" zu verstehen. Eben das mache die Deutschen blind gegenüber der Tatsache, dass die einstigen Opfer mittlerweile Täter sind (weil das, so zitiert Zuckermann Henryk M. Broder, "mehr Spaß macht", als Opfer zu sein).
Micha Brumlik und der Zentralrat der Juden, Heiko Maas und die "Bild", Jutta Ditfurth und Volker Beck, allen wirft Zuckermann Anbiederung an den "faschisierten" Staat Israel und ideologisierten Gebrauch der Antisemitismus-Keule vor. Sein Buch ist einseitig, polemisch, mäßig strukturiert, teils psychologisch spekulativ. Palästinenser kommen nur als Opfer vor, Israels Politiker fast nur als Kriminelle, die Deutschen sind vergangenheitskrank und gegenwartsblind.
Trotzdem: Zuckermann legt den Finger in einige offene Wunden. Er macht sichtbar, wo in Deutschland und in Israel der Anti-Antisemitismus-Diskurs ins Heuchlerische umschlägt. Er sät munter Sturm und wird gewiss Gegenwind ernten.