Das Wiedererstarken des IS im Irak – Erst vor ein paar Tagen starben bei einem Attentat auf einen Markt in einem schiitischen Viertel Bagdads Dutzende Menschen. Die Terrormiliz Islamischer Staat reklamierte im Anschluss das Attentat für sich. Und das ist nicht das erste Attentat, das die Terrororganisation zu verantworten hat.
Meldungen über Attentate der Terrormiliz häufen sich wieder überall im Irak. Westliche Geheimdienste beobachten mit Sorge, dass sich die Gruppe im Untergrund neu zu formieren scheint.
Die IS-Terroristen versteckten sich vor allem in Gegenden, die schwer zu kontrollieren sind, erklärt Björn Blaschke, ARD Korrespondent des Hörfunkstudios Kairo. "Also in den Wüsten und Gebirgszügen im Irak und auch in Syrien - eben im Grenzgebiet zwischen diesen beiden Ländern, zwischen denen sie dann auch immer hin und her pendeln, zum Beispiel, um Drogen zu schmuggeln, womit sie dann wiederum Geld verdienen. Da gibt es relativ viele Höhlen und kleine Hügel, hinter denen sie sich schlicht und ergreifend verstecken können."
Die Terroristen formierten sich vor allem im Untergrund. Wobei Björn Blaschke davon ausgeht, dass sich die Situation aus dem Jahr 2014 nicht wiederholen wird. "Die Terroristen werden wohl kein staatsartiges Gebilde, wie den Islamischen Staat gründen. Ich glaube, dass sie sich im Irak und in Syrien in Zellen organisieren, um Attentate zu verüben."
Aktuelle Zahlen über die IS-Anhänger sind kaum zu bekommen. Das Zentralkommando der US-Streitkräfte ging vor zwei Jahren von 14.000-18.000 Mitgliedern in Irak und Syrien aus, dazu kommen noch gut 30.000 Mitglieder aus dem Ausland. Die Zahlen seien in jedem Fall hoch, meint Björn Blaschke und sie dürften in den zurückliegenden zwei Jahren auch noch einmal gestiegen sein.
Gebetsruf in Trümmern
25:21 Minuten
Als im Frühsommer 2014 islamistische Terroristen die nord-irakische Stadt Mossul besetzten, hielt ihr Anführer eine Freitagspredigt in der Nouri-Moschee. Im Jahr 2017 sprengte der IS dieses Wahrzeichen der Stadt. Nun soll es wieder aufgebaut werden.
Der Gebetsruf des Muezzins hallt über die Trümmer. Auch vier Jahre nachdem die irakische Regierung erklärte, Mossul sei vom IS befreit, liegt die Altstadt der Millionenmetropole in großen Teilen zerstört danieder. Aus dem Meer aus Ruinen und Betonbrocken, geborstenem Holz und verbogenen Metallstelen ragen – von einem Bauzaun umgeben – die Reste der Nouri-Moschee hervor.
Die grüne Kuppel und ein Teil des Eingangsportals sind noch erhalten, Stützen sollen ihren Einsturz verhindern. Vom Minarett, das wegen seiner Form al-Hadba genannt wurde – das "Schiefe" –, ist lediglich das Fundament übrig. Deshalb hängen die Lautsprecher, aus denen der Gebetsruf des Muezzins über die Trümmer halt, an der Kuppel. Improvisation.
"Ich rufe jeden Tag in der Moschee zum Gebet, obwohl dort ja kein Gebet stattfindet, da die Moschee und das Minarett erst wiederaufgebaut werden müssen", erzählt Emad Zaki Mohamed.
Er ist der Muezzin der Nouri-Moschee. Vom schiefen Minarett hatte der 52-Jährige bereits zum Gebet gerufen, bevor Abu Bakr al-Baghdadi und seine Leute vor sieben Jahren in Mossul einfielen. Emad sagt, dass die Terroristen ihm damals die Schlüssel zum Gebetshaus wegnahmen, ihn rausschmissen.
Umso mehr freut er sich, dass die Nouri-Moschee nun hoffentlich bald wieder aufgebaut wird. Diese Freude teilt er mit Paolo Fontani, dem Bagdader Leiter der UNESCO, der Kulturorganisation der Vereinten Nationen:
Wiederbelebung eines Wahrzeichens
"Es geht darum, einige der wichtigsten Monumente der Stadt wieder zum Leben zu erwecken", erklärt Paolo Fontani. "Das Hadba-Minarett, also das Symbol Mossuls, die Nouri-Moschee und zwei Kirchen. Die Idee ist auch, dass wir der Stadt – durch den Wiederaufbau dieser Monumente – die multikulturelle Identität wiedergeben, die sie lange Zeit hatte."
Bereits Ende 2018 legten die irakische Regierung und die UNESCO den Grundstein zum Wiederaufbau von Nouri-Moschee und Hadba. Finanziert wird das Projekt mit einer Spende der Vereinigten Arabischen Emirate in Höhe von 45 Millionen Euro. Im Jahr danach wurde der Zustand des Moschee-Geländes dokumentiert, Trümmer geräumt – und ein internationaler Architektur-Wettbewerb ausgeschrieben für den Wiederaufbau der Nouri-Moschee und ihres Minaretts.
Von 123 Teilnehmenden gewann im vergangenen April eine Gruppe Architekten aus Alexandria, Ägypten. Gegen deren Pläne formiert sich nun in Mossul Widerstand. Zum Beispiel beim Verband junger irakischer Architekten, dem auch Mustafa Aziz angehört.
"Der Hauptpunkt ist, dass die architektonische Sprache neu und modern ist, was der Natur der Stadt Mossul und ihrer Architektur nicht entspricht", kritisiert er. "Sie ist sehr weit entfernt vom Geist und der Kultur Mossuls."
Aly al-Baroodi, ein Blogger, der die Veränderungen seiner Stadt Mossul seit Jahren dokumentiert, sagt Ähnliches: "Das Design und die Struktur des ägyptischen Projektes entsprechen nicht besonders der Architektur von Mossul. Es sieht nach einem guten Design aus, aber die Bögen und die Plätze passen nicht zu denen von Mossul."
Welches Design passt zu Mossul?
Gut 2200 Kilometer entfernt vom irakischen Mossul, in der ägyptischen Stadt Alexandria: Sherif Farrag ist einer der Architekten, die die Pläne zum Wiederaufbau der Nouri-Moschee und ihres Minaretts entworfen haben. Entspricht das Design des Projektes der einheimischen Architektur von Mossul?
"Das Projekt befindet sich noch in der Entwicklungsphase", sagt er. "Das bedeutet, dass wir Dinge ändern können, ohne die Grundidee und die Philosophie des Projektes zu entstellen. Denn wenn wir den Leuten diese Philosophie erklären, werden sie sie verstehen und sicherlich schätzen."
Im kommenden Herbst wollen Farrag und seine Kollegen erstmals nach Mossul reisen. Dann werden sie für ihre Pläne werben können. Neben dem Wiederaufbau der Nouri-Moschee und ihres Minaretts wollen die ägyptischen Architekten im Umfeld der beiden Monumente öffentliche Räume schaffen, in denen die Bevölkerungsgruppen, die in Mossul wohnen, zusammenkommen können: Schiiten und Sunniten, Assyrer und Chaldäer – sowie Angehörige der vielen anderen für Mossul typischen religiösen und ethnischen Minderheiten.
Ein gutes Konzept, wie unter anderen die UNESCO und die irakische Regierung finden. Möglicherweise mischt sich also schlicht eine Portion Eifersucht in die irakische Kritik an den ägyptischen Plänen: Eifersucht darauf, dass keine irakischen Architektinnen oder Architekten die Ausschreibung gewonnen haben.
Die meisten Anwohner rings um die Nouri-Moschee sehen es gelassen. Zeid Zoher zum Beispiel, ein 41-jähriger Tagelöhner: "Wir danken Gott, dass die UNESCO die Moschee wiederaufbauen wird. Seit drei Monaten sehen wir dort Arbeiten. Sie wollen die Moschee wiederaufbauen und mit Gottes Hilfe wird sie noch besser, als sie es vorher war."
"Es gibt genügend andere Moscheen"
Der 49-jährige Sabhan Abu Ahmed Al Sabbagh, Gerber von Beruf, wohnt direkt neben den Trümmern der Nouri-Moschee.
Er übt Fundamentalkritik: "Meiner Ansicht nach muss die Moschee nicht wieder errichtet werden. Die Häuser der Menschen hier müssen wiederaufgebaut werden, damit sie in die Stadt zurückkehren können. Wir haben hier sehr viele zerstörte Häuser. Es gibt genügend andere Moscheen, in denen wir beten können."
Paolo Fontani, der Chef der UNESCO in Bagdad, sieht das Problem. "Ich denke, wenn es um den Wiederaufbau von Mossul geht, muss man sehen, dass 12.000 Häuser zerstört wurden. Der Grad der Zerstörung ist wirklich massiv! Die UNESCO kann beim Wiederaufbau nur einen kleinen Teil leisten. Wir konzentrieren uns auf die Rekonstruktion der Monumente – sowie auf 150 bis 200 historische Häuser", sagt er.
"Wir versuchen, einen Pfad zu schaffen, der die Nouri-Moschee mit der Tahera-Kirche aus dem 18. Jahrhundert verbindet, dabei die Altstadt durchquert – und so das muslimische mit dem christlichen Erbe zusammenbringt. Als Symbol dafür, dass Mossul eine Stadt für jede und jeden ist. Aber das wird viele, viele Jahre dauern."
Die Unzufriedenheit der Menschen ist eine Gefahr
Was verständlich, aber gefährlich ist: Letztlich hatte die Unzufriedenheit mit der Politik, die von der Zentralregierung in Bagdad gemacht wurde, viele Menschen in Mossul 2014 in die Arme des IS getrieben; sie zumindest anfänglich zu Sympathisanten gemacht, weil sie im IS eine Alternative zur Zentralregierung sahen.
Jede Verzögerung beim Wiederaufbau zerstörter Häuser schürt erneut Unzufriedenheit und lässt die Gefahr wachsen, dass Menschen aus Mossul, die überwiegend sunnitische Muslime sind, bei sunnitischen Extremisten vom Schlage des IS ihr Heil suchen.
Der Regierungspräsident von Mossul, Zuheir Mohssen, nennt einen Grund dafür, dass sich der Wiederaufbau hinzieht. "Der Grund der Verzögerung ist, dass nur sehr wenig Geld für den Wiederaufbau bereitgestellt wird. Das Budget, das uns gegeben wurde, reichte bisher nicht", sagt er.
"Wir wussten nicht, sollen wir das Geld für Flüchtlingslager ausgeben oder für den Straßenbau oder für die Infrastruktur: Trinkwasser, Strom oder Beseitigung der Trümmer. Inzwischen funktionieren 80 Prozent der zerstörten Infrastruktur wieder. Es bleibt noch die Frage der zerstörten Wohnhäuser der Stadt."
Streit zwischen Sunniten und Schiiten
Für die Verzögerungen beim Wiederaufbau gibt es aber noch einen Grund. Nur möchte niemand am Mikrofon darüber sprechen: Seitdem der IS in Mossul als besiegt gilt, herrschen schiitische, zum Teil vom Iran unterstützte Milizen über die Region. Sie kamen, um Mossul und andere Städte vom IS zu befreien. Sie kamen, blieben und tyrannisieren die Menschen heute – mit Gewalt und Korruption.
Das – so ein Großteil der Einwohnerschaft von Mossul hinter vorgehaltener Hand – verhindere den Wiederaufbau der Altstadt von Mossul und schüre den Hass auf die schiitischen Milizionäre. Und könnte sunnitischen Extremisten auch noch einmal Zulauf verschaffen.
Das sieht Zuheir Mohssen nicht: "Ich glaube, dass die Sprache des Extremismus und die Diskriminierung wegen religiöser Zugehörigkeit der Vergangenheit angehören. Nachdem der IS so viel Böses in der Stadt angerichtet hat, gibt es das nicht mehr. In Mossul leben Sunniten, Schiiten, Araber und Turkmenen zusammen, und sie haben sich drauf geeinigt, diese Zuweisungen abzulehnen. Sie alle sind heute Iraker, die durch die Liebe zum Vaterland Irak und zur Stadt Mossul und den Geist der Bürgerschaft verbunden sind."
Emad Zaki Mohamed, der Muezzin der Nouri-Moschee, sagt, dass er beim Kampf um Mossul einen seiner Söhne verlor, er selbst habe fliehen können. Deshalb sei er in Sicherheit gewesen, auch als die Nouri-Moschee zerstört wurde. Erst nach dem Krieg um Mossul, vor vier Jahren, kehrte er zu seiner, der Nouri-Moschee zurück.
Der Wiederaufbau als Zeichen gegen den IS
"Jetzt gibt es in Mossul keinen IS mehr, Gott sei gepriesen", sagt der Muezzin. "Und solange die Sicherheitsapparate mit den Bürgern und diese Bürger mit den Sicherheitsapparaten gegen den IS zusammenarbeiten, wird er keinen Platz mehr bei uns haben. Allerdings gibt es in den Ortschaften außerhalb und in den Bergen Schläfer-Zellen."
Schläfer-Zellen, die immer wieder in der Provinz Mossul aktiv werden und wohl nur darauf warten, dass sie auch in der Stadt wieder Unheil anrichten können. Wenn sich beispielsweise der Wiederaufbau von Mossul weiter verzögert.
Muezzin Emad Zaki Mohamed sieht jedoch in der Rekonstruktion der Nouri-Moschee einen guten Anfang: "Dank dem Volk und der Regierung in den Vereinigten Arabischen Emiraten dafür, dass sie unter der Schirmherrschaft des Kulturministeriums einen Betrag für den Wiederaufbau bereitgestellt haben und das Geld der UNESCO übergaben. Der Wiederaufbau hat schon begonnen – Gott sei Dank – und nach fünf Jahren soll das Projekt fertig sein."