Motivation von Attentätern und Amokläufern

Wir leben Aggressivität vor

Der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Josef Ackermann, macht vor Beginn des Mannesmann-Prozesses im Landgericht in Düsseldorf das Victory-Zeichen.
Topmanager machen laut Harald Welzer vor, dass man in unserer Gesellschaft geradezu über Leichen gehen darf. © dpa/ picture-alliance/ Oliver Berg
Von Harald Welzer |
Auch in modernen Gesellschaften sei Gewalt allgegenwärtig, meint der Soziologe Harald Welzer. Der "kampfbereite und siegerprobte Einzelkämpfer" werde in der Wirtschaft gefeiert und der "Ego-Shooter" zum Idealtypus erhoben. Bei der Suche nach den Ursachen von Terror und Amok werde das gern übersehen.
Wenn Terror und Amokläufe Angst und Schrecken verbreiten, erfolgt umstandslos die Suche nach Ursachen und Motiven. Aber man sucht sie in den Personen der Täter, nicht in der Welt, in der sie leben und die sie so ungeheuer destruktiv und mörderisch ablehnen.
Menschen in modernen Gesellschaften fürchten nichts mehr als diese unberechenbare, ungebundene, erklärungslose Form von Gewalt. Schließlich ist ihr legitimatorisches Fundament Erwartungssicherheit: Die Menschen der Moderne rechnen damit, dass Risiken kalkulierbar sind und ihre Erwartungen an Sicherheit, Wohlstand, Gesundheit, Teilhabe eingelöst werden. Amok und Terror bilden die Antithese zur Erwartungssicherheit - und deshalb wirken sie gerade in modernen Gesellschaften so sehr schnell zersetzend, weit über das Maß ihrer faktischen Bedrohlichkeit hinaus.

Gewalt in vielfältigen Gestalten

Vielleicht muss man aber nur woanders hinschauen als auf die einzelne Person, die zum Mörder wird. Denn Gewalt ist ja auch in modernen Gesellschaften nicht abgeschafft, sondern findet in vielfältigen Gestalten alltäglich statt, und wie mir scheint, heute intensiver als noch vor wenigen Jahren.
Eine kleine Phänomenologie der Gegenwart findet jedenfalls ein außerordentliches Maß an Aggression und Gewaltrhetorik in der Normalgesellschaft, zum Beispiel in der Wirtschaft. Wird da nicht ohne Unterlass jemand "angegriffen", ein Unternehmen "attackiert", ein anderes "feindlich übernommen", ein Sektor "zerstört".
Da packt der EZB-Chef "die dicke Bertha" aus, im Aufsichtsrat von Volkswagen herrscht "Krieg", inzwischen gibt es folgerichtig auch "Wutaktionäre" und für die Kerlchen aus der Internetwirtschaft ist "Erfolg wichtiger als das Leben", und überhaupt "Disruption" ein Ziel an sich. Mit anderen Worten: Destruktivität ist das Signum der ökonomischen Rhetorik, und die Rambos der Szene überbieten sich gern darin, wer als größtes Arschloch dasteht. Das, liebe Hörerin und lieber Hörer, gilt heute als sozial erwünscht.

Die Gesellschaft hat den Ego-Shooter zum Ideal erhoben

Wie es übrigens auch als sozial erwünscht gelten kann, mit riesigen Geländewagen durch deutsche Innenstädte zu pflügen, als sei überall Bagdad oder Kabul, wozu übrigens neuerdings noch das furchterregende und augenverletzende Lichtdesign hinzukommt. Man mag am liebsten gar nicht hinsehen, es macht ja auch Angst und soll es. Die Insassen sitzen übrigens nahezu unsichtbar hinter immer kleiner werdenden Scheiben, am besten noch abgedunkelt. Man zeigt nicht mehr, wer man ist, sondern was man anrichten könnte.
Die Gegenwartsgesellschaft hat überdies den Ego-Shooter in Beruf und Freizeit zum Idealtypus erhoben, der pausenlos seine Leistungsfähigkeit und seine competition überwacht, und der von sich ganz zutreffend annimmt, nur als Einzelkämpfer vorn sein zu können. "Unterm Strich zähl ich", lautete ja schon der infame Slogan der Postbank, und das sogenannte Topmanagement, von Deutscher Bank bis Volkswagen, macht auch denen am unteren Ende der Gesellschaft vor, was das heißt und über welche Leichen man zu gehen bereit ist und sein soll.

Wenn nichts mehr geht, bleibt die Rolle des ultimativen Vollstreckers

Und jetzt versetze man sich mal in die Weltsicht eines sich abgehängt fühlenden männlichen Randbewohners einer solchen Gesellschaft, dem all diese kompetitiven Normen und destruktiven Werte vorgelebt werden, der selbst aber gar keine Chance sieht, in diesem Kampfgetümmel irgendwie auch zu den Siegern zu gehören. Dem fehlt dann nur noch ein höherer Sinn, der seinerseits die normative Antwort bereithält, dass einem, wenn nichts geht, immer noch die Rolle des ultimativen Vollstreckers oder des Märtyrers oder beides bleibt. Dank der sozialen Medien mit weltweiter Sichtbarkeit.
Ein Stigma wird nur als solches empfunden, weil der Betroffene weiß, was sein Fehler ist - weil er also weiß, was von ihm erwartet wird. Und das weiß er, weil er die Werte der Gesellschaft teilt, denen zu genügen er aber keine Chance sieht. Wenn das kulturelle Modell, das gelebt wird, mehr und mehr der kampfbereite und siegerprobte Einzelkämpfer ist, wieso erscheint es dann als unlösbares Rätsel, dass gerade junge Männer sich genau dieses Modell zu eigen machen und in tödliche Bereitschaft übersetzen?
Mehr zum Thema