Lemmys letztes Konzert - ein Trauerspiel
Der kranke Lemmy - ein Schatten seiner selbst: Sein letzter Berlin-Auftritt war traurig genug, meint Langzeit-Fan Ralf Bei der Kellen. Dass mit "Clean Your Clock" postum ein Live-Album von dieser Motörhead-Tour erscheint, nutze nur noch den Erben.
Berlin, Max Schmeling Halle, 11. Dezember 2015. Motörhead geben sich, wie in fast jedem Jahr, die Ehre. Sirene und Motorengeräusch verheißen, dass die Band mit einem alten Hit aufmacht: "Bomber" vom gleichnamigen Album aus dem Jahr 1979.
Über der Band schwebt die Stahlkonstruktion in Form eines Flugzeugs mit der bombastischen Lichtanlage. Die kann allerdings auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es mit Lemmy Kilmister, der Mann, der immer so unzerstörbar wirkte, zu Ende geht. Lemmy, der in den letzten drei Jahrzehnten den Rock'n'Roll verkörperte wie kein zweiter, ist ein Schatten seiner selbst.
Gefühlt jede vierte Textzeile ausgelassen
Gefühlt wird jede vierte Textzeile ausgelassen, die Stimme ist oft kaum mehr als ein extrem verstärktes Murmeln, das Bassspiel wirkt erratisch.
Bassintro zu Overkill
Ich stehe im Publikum, wie schon die letzten knapp 20 Jahre, und sehe, wie aus der einstigen Verkörperung von Rock'n'Roll ein zerbrechlicher, unbeweglicher kleiner Mann geworden ist, der mich jetzt eher an meine Großmutter in ihrem letzten Lebensjahr erinnert.
In Lemmys Autobiografie steht der Satz:
"Wenn Du glaubst, Du bist zu alt für Rock'n'Roll – dann bist Du es auch."
Schon klar, wie sollte Lemmy anders sterben, als bis zum Schluss weiterzumachen?
Wobei die jungen Menschen um mich, den Mittvierziger, enthusiastisch sind wie ich vor 20 Jahren. Sie feiern an diesem Abend eher sich selbst als den Mann, der auf der Bühne steht. Über den großen Hit "Ace Of Spades" steht am nächsten Morgen in der Zeitung:
"Da erheben sich auch endlich Teile der Tribüne, sonst bleiben die schwarzen Massen im Publikum relativ unbeteiligt, schauen teilnahmslos einer in die Jahre gekommen Ikone in die Augen. Ein bisschen mehr Einsatz wäre wünschenswert gewesen."
Nach zwei Dritteln das Konzert verlassen
Vielleicht ging es vielen wie mir – sie wussten nicht genau, ob sie einer Totenmesse oder einem Konzert beiwohnten. Nach zwei Dritteln verlasse ich das Konzert, es ist einfach zu traurig.
Overkill (Ende)
Und nun erscheint dieses Trauerspiel auch noch als Doppel-Live-Album. Gut – dass die Musikindustrie aus jedem Ableben eines Stars auch Kapital generiert, daran haben wir uns gewöhnt. Und der Begriff "Pietät" gehörte noch nie zu Lemmys aktivem Wortschatz.
Lemmy (aus Ace of Spades): "You know I'm born to lose / and gambelin's for fools / But that's the way I like it baby / I don't wanna live forever!"
War schon "Everything Louder Than Everyone Else" von 1999 das definitive Live-Album, hatte Lemmy mit dem letzten Studio-Album "Bad Magic” vom August 2015 eigentlich das Schlusswort gesprochen.
Intro "Victory Or Death"
Geld-Regen für die Hinterbliebenen
Seine Lebensmaxime "Born to lose, live to win” hatte er hier passend umformuliert in "Victory or Death". Der letzte Song auf dem letzten Album war seine Coverversion des Stones-Klassikers "Sympathy for The Devil". Wenn bis dahin noch Fragen offen waren, hatte er sie hier beantwortet.
Musik "Sympathy for The Devil"
Die Nachlassverwertung von Lemmys letzten Live Konzerten darf sich der geneigte Fan als farbiges Vinyl, als Kombination CD/DVD, CD/Blue Ray, oder – für die ganz harten – als LP/CD/DVD-Box mit Motörhead-Medaille zu Gemüte führen. Lemmy selbst hatte mit solch einer Veröffentlichungspolitik kein Problem, wie er in seiner Autobiografie nahelegte:
"Außerdem sind viele unserer Fans hartnäckige Archivare und lieben solche Scheiße."
Seinen Erben und der Band sei der warme Geld-Regen dieser letzten Veröffentlichung gegönnt. Der Fan darf sich aber schon fragen, ob es das noch gebraucht hätte. Ich lehne jedenfalls dankend ab.