Motorsport

Raserei im Teutoburger Wald

Blick auf die Autorennstrecke Bilster Berg Drive Resort
Autorennstrecker Bilster Berg Drive Resort © dpa picture alliance / Oliver Krato
Von Michael Frantzen |
Überall wo Autos verkehren, sorgen sie für Aufregung bei den Anwohnern: Krach, Gefahren, Abgase. Am Bilster Berg entstand nun eine neue Rennstrecke. Sie soll ganz anders sein: besser.
"So. Meine Herren."
"Guten Tag!"
"Hallo. Grüß Sie!"
"Michael Frantzen. Vom Deutschlandradio."
"Helmut Zöllner. Die Strecke is' natürlich 'was Besonderes. Toll gemacht. Tolle Outline."
Ganz schön viel Lob - für die neue Teststrecke Bilster Berg im Teutoburger Wald. Doch wie Helmut Zöllner geht es vielen Fahrern: Begeisterung allenthalben.
"War sehr beeindruckend. Und is' auch sehr anspruchsvoll zu fahren. Erst mal: Viele uneinsehbare Kurven. Man fährt blind auf 'ne Kurve zu. Wenn du das erste Mal die Strecke fährst, is es sehr, sehr tricky. Und zum zweiten: Man muss schon sehr exakt fahren und sollte es nicht übertreiben nach Möglichkeit."
Das ist durchaus angebracht - bei 44 Kuppen und 20 Kurven. Helmut Zöllner legt an diesem nebelverhangenen Morgen seine Rennhandschuhe zur Seite. Ihm soll es nur recht sein. Schließlich hat der bayrische Geschäftsmann Benzin im Blut. Mit 23 kaufte er sich seinen ersten Sportwagen, wechselte er im Laufe der Zeit von einem Porsche auf einen McLaren.
"Jetzt geht's gleich wieder los."
Zufriedene Kunden, die wie kleine Jungs um die Wette strahlen: Das ist ganz nach dem Geschmack von Marcus Graf von Oeynhausen-Sierstorpff, dem Besitzer und Betreiber des "Bilster Berg Drive Resort". Auf Anglizismen trifft man hier häufiger: Das hypermoderne Restaurant an der Ostschleife mit seinem 360 Grad Blick etwa heißt "Turn One". Der Graf lächelt und hebt die Hände. So ist das nun mal im Motorsport-Jetset. Der Mann mit dem klangvollen Namen ist in der Gegend rund um den Teutoburger Wald eine Hausnummer: 81 Millionen Euro erwirtschafteten letztes Jahr seine fünf Kurkliniken, die Mineralwasserquelle und das Vier-Sterne-Hotel im nahegelegenen Bad Driburg.
Sieben Jahre für eine völlig neue Strecke
Jetzt also noch der Bilster Berg - der erste neue Rundkurs in Westdeutschland seit den Dreißiger Jahren. Von Oeynhausen blickt aus dem Fenster des Restaurants: Dichter Nebel wabert über dem Berg. Schade eigentlich. Meint er. Die Rennstrecke ist nämlich sehenswert.
"Man sieht, wie das ganze regelrecht in der Natur sich einbettet und einfügt. Und wir haben hier ganz konsequent versucht, nicht den Berg umzubauen zur Strecke sondern uns mit der Strecke an den Berg anzupassen. Um wirklich eine echte Naturstrecke zu bekommen."
Sieben Jahre: So lange dauerte es, bis die Strecke im Juni letztes Jahr offiziell eingeweiht werden konnte. Kostenpunkt: 34 Millionen Euro. Öffentliche Fördergelder flossen keine. Von Oeynhausen wollte das so. Um unabhängig zu bleiben. Lieber überzeugte er gut 170 Privatanleger sich mit jeweils mindestens 100.000 Euro am Bilster Berg zu beteiligen. Dementsprechend liest sich die Namensliste wie das Who-is-Who des deutschen Adels und der Hochfinanz.
Die zurückliegende Finanzkrise, meint der Graf an diesem trüben Morgen, sei ihm sogar zugute gekommen. Ein Projekt aus Stein und Erde - etwas zum Anfassen - das hätte viele Interessenten überzeugt. Genau wie die Tatsache, dass er sich mit Hermann Tilke einen der weltweit bekanntesten Rennstrecken-Planer mit ins Boot holte - und mit Walter Röhrl einen Ex-Rallye-Weltmeister als Berater.
"Ich kenn den Walter Röhrl schon aus zahlreichen historischen Rennveranstaltungen, wo wir leider immer nur gegeneinander gefahren sind. Ich hab immer versucht, mit ihm zu fahren. Aber wir hatten nicht immer die deckungsgleiche Marke. Wir schätzen uns unglaublich. Er hat mich immer unterstützt in dem Projekt oder hat mir immer viele gute Ratschläge gegeben. Das ist wichtig: Dass man professionelles Knowhow mit rein bringt. Er hat sofort gesagt: 'Markus, das braucht Deutschland. Das ist genau das, was in Deutschland fehlt. Mach es! Bleib dran! Gib nicht auf!'"
Aufmunternde Worte: In der Anfangszeit hatte von Oeynhausen das nötig. Viele hielten die Idee von der Rennstrecke vor allem für eines: Ziemlichen Irrsinn. Bis Mitte der 90er hatte auf dem versteckt gelegenen Terrain die Britische Rheinarmee das Sagen, die es als Munitionsdepot nutzte. Der Bilster Berg - für Deutsche war das "out of bounds" - nicht zugänglich.
"Er ist ja permanent bewacht worden von circa 220 Soldaten, war ein Hochsicherheitstrakt. Als die Engländer dann 1994 das Gelände verlassen haben, war ich selbst natürlich ziemlich neugierig auf dieses Gelände. Und habe mich durch ein kleines Schlupfloch im Zaun gemogelt um zu gucken ob die Behauptungen stimmten, die rumschwirrten wie: Es gibt hier kilometerlang unterirdische Gänge und unterschiedliche Sachen. - Die gab es nicht. Aber das Gelände als solches und der Berg waren durch die Kalter-Krieg-Vergangenheit einfach so mystisch. Und spannend. So dass ich mich schon sehr früh begeistert habe."
Der Graf schließt für ein paar Sekunden die Augen. Er kann sich noch genau erinnern; wie er nach dem Abzug der Briten mit dem damaligen Besitzer des Geländes, einem Bekannten, eine Radtour auf dem Bilster Berg machte. Eine Teststrecke für Motorsport-Begeisterte hatte niemand auf dem Schirm, im Gegenteil: Sein Bekannter wollte eine ökologische Ferienanlage bauen. Das Problem war nur: Er kam nicht richtig voran. Ob ihm nicht eine Alternative einfalle, wollte er vom Grafen wissen. Etwas mit Wiedererkennungswert; einem Alleinstellungsmerkmal.
Hauptkunden kommen aus der Automobilindustrie
"Ich suche immer nach den Dingen, die es so, in der Form, noch nicht gibt; die andere so noch nicht gemacht haben. Und die etwas Innovatives haben, was als Unternehmer immer wichtig ist. Deshalb hab ich das hier als absolut ideal für den Berg gesehen. Weil: Die meisten Rennstrecken, Teststrecken befinden sich in der Regel in ebenen Flächen. Mit Ausnahme sicherlich des Nürburgrings. Hier ist das eben anders. Und wir haben hier eine so schöne Landschaft drum herum, dass ich die Chance gesehen habe, in einer in sich geschlossenen Atmosphäre auf dem Berg etwas zu machen, was viele Alleinstellungsmerkmale hat."
"Der Hauptunterschied ist, dass wir in dem Sinn keine Rennstrecke sind."
Ergänzt Matthias Staiger, Pressesprecher des "Bilster Berg Drive Resort".
"Sie werden hier keine einzige Tribüne auf der Anlage finden. Wir haben keine großen Parkplätze. Wir haben keine Infrastruktur, die geeignet wäre eine Großveranstaltung wie 'ne Formel Eins etc. pp abzuhalten. Der Hauptgrund für uns war, dass wir der Ansicht waren, dass man mit solchen Großveranstaltungen nicht wirklich mehr Geld verdient. Ein Tribünenplatz, ein Parkplatz, auch 'ne Toilette kostet immer Geld, auch wenn keiner drauf sitzt."
Nische statt großer Formel-Eins-Zirkus: Die Macher des Bilster Berges setzen auf die Automobilindustrie als Hauptkunden. Ingenieure können auf der Teststrecke Fahrwerke unter Extrem-Bedingungen testen, Reifenhersteller das Bremsverhalten. Hinzu kommen Zusatzangebote: Anbieter spezieller Fahrtrainings für den Personenschutz haben das Areal schon genutzt genau wie Verkehrsopfer, die nach traumatischen Unfällen wieder lernen sich an den Straßenverkehr zu gewöhnen. Das Gros der Kunden aber, meint Staiger - ein Typ mit Dreitagebart und kräftigem Händedruck - kommt aus der Auto-Branche. So ziemlich alle deutschen Hersteller haben auf dem Berg schon ihre Runde gezogen - hauptsächlich zu Test- und Präsentationszwecken.
"So. Das Auto ist also getestet, das Auto ist in den Markt eingeführt, dann haben Sie darüber gelesen, finden's ganz toll und haben sich den neuen Porsche Turbo gekauft."
Darunter geht's nicht.
"Dann können Sie in einem dritten Schritt zum Berg kommen und im Rahmen eines sogenannten Kunden-Fahrprogramms auch noch lernen, wie man mit einem potenten Fahrzeug umgeht."
Staiger selbst hat das nicht nötig: Er fährt einen Mittelklassewagen tschechischer Produktion. Bescheidenerweise.
"Wir können mal 'nen Blick in unsere Streckenleitzentrale werfen… "
"…You are on air!"
"Guten Tag!"
"Ich habe heute den Hut auf. Ich bin heute der Leiter Streckensicherung."
Frank Weidner ist seit zwei Jahren dabei. Von der Leitzentrale aus koordiniert er sein Team, darunter acht Sportwarte entlang der Strecke. Der Mann mit den Lachfalten schaut auf einen der vier Groß-Bildschirme, auf dem in kleinen Kästchen unterschiedliche Abschnitte der Strecke zu sehen sind.
"Das sind die 26 Kameras an der Strecke. Die kann ich dann dementsprechend noch mal separat ansteuern. Jede einzelne Kamera 360 Grad schwenken, 36fach zoomen. Ich kann auch gucken, ob wir irgendwelche Streckenschäden haben. Oder auch Ölverlust. Kann ich durch das Ran-zoomen lokalisieren."
"Ja, bitte!"
"Also, die Jungs würden gerne anfangen. Wir machen jetzt Passagierfahrten mit deren Gästen. Könnt ihr die Strecke wieder aufmachen?"
Weidner verzieht das Gesicht. Er blickt nach draußen: Schwierige Entscheidung. Schließlich ist das Wetter nicht das Beste.
Zum Nebel ist jetzt auch noch Regen gekommen. Nicht ganz untypisch für den Teutoburger Wald wie Matthias Staiger schon häufiger feststellen musste.
"Ich sehe gerade, dass die Strecke rot gemacht wurde. Sie sehen da hinten das Blinklicht. Wir haben im Moment nen sehr starken Niederschlag. Egal, auf welcher Strecke auf der Welt ich fahre: Wenn ich eine rote Flagge oder ein rotes Licht sehe, dann weiß ich: Sofort Gas wegnehmen; behutsames Tempo; zurück in die Boxengasse."
Sicher ist sicher. Auf dem Bilster Berg.
"Grundsätzlich ist Sicherheit nen ganz großes Thema hier. Wenn se da raus schauen, sehen Sie die Fangzäune, die Leitplanken, die Kies-Bette, die Reifenstapel. Wenn mal nen Teilnehmer oder Gast sein Fahrzeug verloren hat: Entweder sind die Auslaufzonen so groß, dass es ausreicht. Oder wenn dann doch mal jemand einschlägt, sind die Schäden bislang nur an der Leitplanke beziehungsweise am Fahrzeug gewesen."
Ein richtig schwerer Unfall ist bislang nicht passiert - trotz Spitzengeschwindigkeiten von 250 Stundenkilometern. Gott sei Dank, meint Matthias Staiger, der die 4,2 Kilometer lange Strecke schon gut zweihundert Mal gefahren ist. Heute aber heißt es erst einmal: Warten. Ehe sich der Regen um die Mittagszeit verzieht.
"Ihr könnt jetzt gleich doch drauf, näh?!"
"Wir fahren jetzt mal über die obere Boxengasse raus auf die Strecke."
Matthias Staiger strahlt. Na also: Geht doch! Sicherheitshalber mit Warnblinker.
"Ganz grob: Wenn se hier ne... ne 1.45 fahren, dann sind se schon ganz flott unterwegs. 1.45 Minuten auf 4,2 Kilometer."
"Hier beginnt dann auch die Westschleife. Der topografisch anspruchsvollere Teil. Heute besonders anspruchsvoll wegen Nebel. Das eben war schon die erste blinde Ecke. Wo man nicht wirklich sehen konnte, wo danach die Strecke weiter geht."
"Grundsätzlich sollte man sich schon die Frage stellen, ob solche anachronistischen Sachen wie Verbrennungsmotoren hochpeppen...ob das notwendig is. Oder Sinn der Sache."
Tönt es ein paar Kilometer entfernt aus dem Kurort Nieheim. Uwe Rottermund engagiert sich in der Region für den BUND - und hat zusammen mit Anwohnern und der Bürgerinitiative "Ruhe am Bilster Berg" gegen das "Monster-Projekt" wie er es nennt, geklagt. Letzten Endes ohne Erfolg: Anfang 2013 wies das zuständige Gericht im ostwestfälischen Minden die Klage zurück. So ganz kann es der Umweltschützer immer noch nicht fassen. Schließlich ist der Bilster Berg in seinen Augen kein x-beliebiger Wald, sondern ein Kleinod, in dem schon zu Militärzeiten seltene Tiere Unterschlupf fanden.
"Das Gebiet hat eine besondere Bedeutung. Weil es eben ein Lebensraum is, den wir sonst in der Landschaft nicht so ausgeprägt vorfinden. Beispielsweise ist es Bestandteil in einem Korridor, wo die Wildkatze lang zieht. Wir haben hier eine exponierte Lage, wo wir beispielsweise den Rot-Milan finden. Das ist eben in der Kombination eine Besonderheit."
Autofreundlicher Kurs der Lokalpolitik
Rottermund und seine Mitstreiter konnten den Bau der Teststrecke zwar nicht stoppen: Doch zumindest musste der Graf beim Lärmschutz nachbessern. Und zwar um einiges, betont Ulrich Kros, Sprecher der "Interessengemeinschaft Ruhe am Bilster Berg". Die Anlage unterliegt jetzt einem sogenannten Schall-Monitoring, sprich: Es wird permanent gemessen, ob die gesetzlichen Grenzwerte eingehalten werden. Doch für den Tierarzt ist das nur ein schwacher Trost. Er geht im geräumigen Wohnzimmer seines Hauses am Rande Nieheims zum Fenster: Da drüben, meint er und zeigt nach rechts, hinter dem Berg, Luftlinie keine zwei Kilometer entfernt, liegt der Ort, der ihm manchmal den letzten Nerv tötet.
"Wir hören das in Abhängigkeit davon, was da oben los ist. Das kriegt man ganz deutlich mit; wie die Strecke besetzt is. Wenn sie beispielsweise mit Fahrzeugen besetzt is, die eben nicht den Zulassungsbedingungen von Straßenverkehrsfahrzeugen entsprechen - dann kriegt man das deutlich mit. Das sind Oldtimer. Das is aber zum Teil auch so, dass sich da oben Ferraris und solche Sportwagen treffen, die wohlmöglich auch ne Straßenzulassung haben, aber die in ihrer Massiertheit da oben natürlich auch schon für Lärm sorgen."
In Nieheim hat sich Kros, der für die SPD im Stadtrat sitzt, mit seiner Kritik nicht gerade beliebt gemacht. Der Bürgermeister, ein CDU-Mann; die Ratsmehrheit; die Wirtschaftsverbände: Alle sind für das gräfliche Projekt. Nicht zu vergessen der mittlerweile verstorbene CDU-Landrat Hubertus Backhaus, der von Gesetzeswegen eigentlich verpflichtet war, den Bau der Strecke neutral zu prüfen, es sich aber nicht nehmen ließ, in einem gräflichen Werbefilm aufzutreten. Sein Nachfolger Friedhelm Spieker fährt einen ähnlich Autofreundlichen Kurs. Kros Blick schweift über die kahlen Berggipfel und Hänge am Horizont. Der Frühling kommt spät im Teutoburger Wald. Viel Wald gibt es hier, Städtchen wie Nieheim mit Fachwerkhäusern und stillen Gassen. Doch mit der Ruhe ist es jetzt vorbei. Kros schüttelt den Kopf. Das soll ihm einer mal erklären: Wie kreischende Motoren mit dem Konzept des sanften Tourismus zusammen passen, dem sich seine Heimatstadt verschrieben hat.
"Is es nicht so, dass wir unter Umständen die Touristen, die jetzt noch aus Holland hierherkommen und gerne hier Urlaub machen - das die wohlmöglich zukünftig ausbleiben? Is es nicht so, dass der Rad-Tourismus, der hier langsam aufblüht unter anderem, darunter leidet, dass auch Autosportler hier hinkommen und nen paar Tage hier verbringen wollen? Ist es tatsächlich so, dass in Summe hier nen Benefit für alle realisiert wird? Oder is es nicht im Gegenteil so, dass nachher weniger dabei raus kommt als man ursprünglich gehabt hat?"
Offene Kritik am Bilster Berg: In Nieheim ist sie die Ausnahme - ganz zu schweigen von Bad Driburg, dem Wohnort des Grafen. Sein Firmenimperium bietet etwas, was es in der strukturschwachen Gegend zwischen Teutoburger Wald und Weser nicht gerade im Überfluss gibt: Arbeitsplätze. Insgesamt 1300. Mit "dem" wolle man es sich lieber nicht verscherzen, heißt es von Leuten, die anonym bleiben wollen. Den Grafen selbst kümmert das nicht. Er hebt in seinem Restaurant an der Ostschleife die Hände und tut das, was er gemeinhin gerne tut: Er lächelt. Ist ja auch nicht so, als ob er nicht schon einiges für seine Heimat geleistet hätte. Allein Entwicklung und Bau der Strecke spülten fünfzehn Millionen Euro in die Kassen der einheimischen Wirtschaft.
Das Einerseits und das Andererseits
"Wir gehören zwar zu Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten Bundesland in Deutschland, aber der östliche Raum Westfalens hat nicht viel Industrie. Und ist sehr land- und forstwirtschaftlich geprägt. Und somit müssen wir immer sehen, dass wir neue Attraktionen zu uns in die Region holen. Oder entsprechend hier vor Ort aufbauen."
Meint der Unternehmer - nur um hinzuzufügen, für seinen Geschmack mahle die Bürokratie in deutschen Landen immer noch zu langsam. Die Sache mit dem Ausbau der A 33 und der B64 etwa: Dass beide Verkehrsprojekte nach fünf Jahrzehnten Planungszeit immer noch nicht fertig sind: Dafür hat er wenig Verständnis. Beim Grafen muss es schnell gehen. 2012 dürfte dementsprechend sein Annus horribilis gewesen sein. Für einen kurzen Augenblick verzieht der sonst so kontrolliert-wirkende Mann das Gesicht, ehe er sich wieder fängt - und seinen Rücken strafft. Eigentlich sollte die Teststrecke schon vor zwei Jahren öffnen. Die Einladungen waren verschickt, der Bilster Berg bis Ende 2012 ausgebucht. Doch dann machten ihm Kros und Co einen Strich durch die Rechnung - mit ihrer Klage. Bis ein Urteil gefällt war, sollte es 2013 werden. Ohne Urteil aber keine Betriebsgenehmigung: Der Mann, der so gerne auf der Überholspur unterwegs ist, musste zwangsweise eine Ehrenrunde drehen - und alle Buchungen stornieren. Doch das ist jetzt abgehakt.
"Wir haben uns alle Vorwürfe genau angehört. Hundert Prozent Zustimmung kriegt man nie. Sonst wären wir in der KP. Sind wir nicht. Und insofern hat's dem Projekt auch gut getan ein bisschen Gegenwind zu haben. Weil: Das lässt so ein Projekt dann auch reifen."
Einerseits. Andererseits.
"In der Summe hat's uns sicherlich Zeit gekostet. Mehr als ein Jahr. Was so ein Projekt natürlich auch teuer macht."
Nicht gerade billig waren auch die Umweltauflagen. Für jeden gerodeten Hektar Wald mussten Ausgleichsflächen geschaffen werden. Das sei aber von Anfang an klar gewesen, erklärt Pressesprecher Matthias Staiger, ehe er anfängt, eine lange Liste ökologischer Ausgleichsmaßnahmen aufzuzählen: Magerrasen gesät: Klick; Totholzhaufen angelegt: Klick; Schwalbenturm gebaut: Klick.
"Die Gesamtanlage ist 84 Hektar groß. Der ökologische Ausgleich beläuft sich aber insgesamt auf mehr als hundert Hektar. Dass wir im direkten Anschluss an das Gelände - liegt jetzt im Prinzip direkt vor uns - ne Fläche von 46 Hektar haben, auf der wir als eine der ersten Maßnahmen eine neue Bodenbeschaffenheit hergestellt haben um dort die notwendigen Ersatz-Habitate zu schaffen. Und das müssen Sie sich so vorstellen: Wenn man Sie aus der 3-Zimmer-Wohnung rausschmeißt, dann ziehen Sie auch erst aus, wenn die nächste 3-Zimmer-Wohnung bezugsfertig ist. So musste dieser ökologische Ausgleich auch fertig gestellt und funktionsfähig sein, bevor wir angefangen haben zu bauen."
Ökologische Fragen: Im Alltag am Bilster Berg stehen sie eher im Hintergrund. Erst recht in den Boxenhallen, in denen früher die Munition lagerte. Heute geben Mechaniker hier den PS-Geschossen den letzten Schliff.
"Sehen wa hier: Ich weiß nicht, wo der gerade seine Hand drin stecken hat. Aber er weiß wahrscheinlich, was er tut."
Er - das ist ein Mechaniker vom McLaren-Team, das die Teststrecke bis 17 Uhr gebucht hat. Hochkonzentriert macht sich der Brite am Motor zu schaffen. Irgendetwas stimmt da noch nicht hundertprozentig. Da können die Nerven schon 'mal blank liegen.
"Today is not a good day. This is not the right place to be. Take him off, now."
Nicht gerade die feine englische Art - der Umgangston. Solch ein Fauxpas würde jemanden wie dem Grafen kaum unterlaufen - auch wenn er mit den Gepflogenheiten im Rennsport gut vertraut ist.
"Ich komme eigentlich eher so nen bisschen aus dem historischen Motorsport. Und hab nen alten Jaguar E-Type. Und den alten Porsche von meinem Großvater: Einen alten 911-S von 1969. Mit dem mein Großvater 100.000 Kilometer gefahren ist. Und mit dem ich 100.000 Kilometer gefahren bin. Und zwischendurch mein Vater noch mal 100.000 Kilometer gefahren ist. Hat also schon viel Familientradition."
So wie der gräfliche Park, der schon seit Jahrhunderten in Familien-Besitz ist. Nun also auch noch die Renn- und Teststrecke. Elitär, aber nicht abgehoben soll sie sein; eine "limited Edition", wie der Graf gerne betont. Mögen Normalsterbliche auch den Kopf schütteln angesichts Spritfressender 12-Zylinder-Motoren - und eines Hubschrauberlandeplatzes, falls dem erlauchten Klientel danach sein sollte, auf dem Bilster Berg einzuschweben: Für Rennsport-Begeisterte mit dem nötigen Kleingeld scheint es genau das Richtige zu sein. Nervenkitzel inklusive.
"Adrenalin kommt natürlich immer besonders auf, wenn man um das letzte Hundertstel kämpft. Und das noch im Zweikampf mit mehreren Autos parallel auf der Strecke. Das haben wir hier nicht. Aber: Adrenalin ist schon, wenn man über die Kuppe schaut und unten aus dem Tal, der Mausefalle, herauskommt und schaut einfach in den Himmel hinein und weiß: Da, an der Stelle muss ich einlenken. Und man fährt so ein bisschen ins Nichts."
Auch er hat ganz schön viel Adrenalin getankt: Helmut Zöllner. Der Bayer mit der teuren Armbahnuhr steigt nach einer neuerlichen Runde auf dem Parcours aus seinem Rennschlitten. Er strahlt. Eine Mordsgaudi. Mit 250 Sachen unterwegs zu sein. Wobei:
"Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich schau nie auf der Rennstrecke auf mein Tacho, das interessiert mich eher nur zweitrangig. Mich interessiert immer mehr: Wie es in der Competition? Wie bin ich gegenüber den anderen Fahrern unterwegs? Und da is die Geschwindigkeit eher nur sekundär."
Auf dem Bilster Berg. Zu Hause, daheim in München, ist das manchmal anders. Weil: Bayern - das ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
"Ich bin das Auto schon bis 340 Kahemha gefahren. Was so beeindruckend is, is die Beschleunigung. Wenn man fast nur drei Sekunden von Null auf hundert und ein bisschen was von acht Sekunden auf 200 braucht. Und dess natürlich mit Köpfchen machen und net einfach reinsetzen und Gas geben, sondern: In dem Geschwindigkeitsbereich müssen Sie mindestens zwei, drei Kilometer vorausschauend fahren. Und da brauchen Sie entsprechende Autobahnen. Die gibt's Gott sei Dank noch. Aber auch nicht zu jeder Tageszeit. So Richtung Deggendorf geht das noch ganz gut. Da kann man schon mal so richtig Gas geben. Das ist für den normalen Automobilisten fast schon nicht nachvollziehbar."
Erst recht nicht, wenn derjenige Ulrich Kros heißt. Wo jemand wie Zöllner den ultimativen Kick sieht, sieht der Nieheimer Umweltaktivist nur rot. Für ihn ist der Bilster Berg nicht viel mehr als eine "überdimensionierte Carrera-Bahn für große Jungs mit dickem Portemonnaie und schlechten Manieren."
"Erst mal durch ihr Fahrverhalten. Und dann aber auch durch ihr Verhalten, dass so 'n Stück weit nach Gutsherrenart abgelaufen is. Es ist vorrangig 'n elitäres Klientel. Ein Klientel, dass sich zwischen Bad Driburg und Bilster Berg im Porsche und Ferrari bewegt. Ein Klientel, dass Spaß daran hat, kurzfristig 'mal das vor sich fahrende Auto zu überholen. Und auch mal durch geschlossene Ortschaft schneller zu fahren."
Träume von Expansionsgelegenheiten
Auf dem Bilster Berg war Kros noch nie. Der Umweltschützer schaut etwas entgeistert. Was soll er da oben? Die Möchte-Gern-Sebastian Vettels bestaunen?! Mit Plakaten demonstrieren? Bringt doch alles nichts. Genau wie Gespräche mit dem Grafen.
"Wann war das Gespräch in Höxter, wo er auf uns zugekommen is? Wir haben schon einige Male persönlich miteinander sprechen können. Aber natürlich auch so, dass ich ihn nicht davon überzeugen werde, dass das Projekt unterm Strich ein schlechtes für die Region ist. Und er wird mich nicht davon überzeugen, dass das Projekt sehr gut ist für Nieheim."
"Es gibt kein Kriegsbeil, sondern letztendlich versuchen wir gemeinsam die Region nach vorne zu bewegen. Das ist das Wichtige."
Es ist später Nachmittag geworden. Die letzten Sportwagen steuern den Ausgang der Teststrecke an. Eine halbe Stunde noch - dann wird wieder Ruhe einkehren auf dem Bilster Berg; wird der Graf zurückkehren auf sein Anwesen. Er lächelt ein letztes Mal sein Gewinnerlächeln - auch wenn er vor kurzem einen empfindlichen Dämpfer hinnehmen musste: Zusammen mit zwei internationalen Partnern hatte von Oeynhausen für den insolventen Nürburgring geboten. Den Zuschlag aber erhielt im März der Düsseldorfer Autozulieferer Capricorn. "Es war einen Versuch Wert", meint der Unternehmer achselzuckend. Vielleicht ergibt sich ja bald eine neue Expansions-Gelegenheit - auf dass das Adrenalin weiter fließt - im gräflichen Renn-Kosmos.
Mehr zum Thema