"Mourning becomes Electra" von Eugene O'Neill
Regie: Pınar Karabulut
Volksbühne Berlin
Geisterhaus und Empowerment-Bude
07:04 Minuten
Das weibliche Begehren und dessen Befreiung bestimmen die Inszenierung von Eugene O’Neills "Mourning becomes Electra". Insgesamt gelungen, doch der Empowerment-Feminismus wirkt nach über zweieinhalb Stunden Spielzeit doch ein wenig platt.
Pınar Karabulut ist eine Regisseurin der Stunde. Die 33-Jährige aus Mönchengladbach inszeniert auf den großen Bühnen einen herrlich glamourös ausgestatteten, farblich übersteuerten, bösen Feminismus, der vielen Zuschauern Spaß machen und ein paar andere verschrecken soll.
Seit dieser Spielzeit gehört Karabulut zum künstlerischen Leitungsteam der Münchner Kammerspiele, arbeitet zusätzlich etwa in Köln, wiederholt auch in Berlin an der Volksbühne. Dort inszenierte sie nun "Mourning becomes Electra", "Trauer muss Elektra tragen", wie das Stück meistens auf Deutsch heißt.
Eigentlich sind es drei Stücke wie in der Orestie. Und Englisch sieht vielleicht einfach besser aus, wenn die Neonschriften der drei Stücktitel vom Theaterhimmel niederfahren: "Homecoming", "The Hunted", "The Haunted", heißt es da wie im Original von Eugene O’Neill – die Übersetzung von Michael Walter, die Karabulut und Co. dann auf der Bühne benutzen, schreibt "Heimkehr", "Die Gehetzten" und "Die Heimgesuchten". Englisch knallt mehr.
Nah an der Gegenwart, weit weg vom Stück
Karabulut setzt ganz am Schluss, als sich die Inszenierung bereits arg hinzieht, noch eine Neonschrift als Schlusskapitel dazu: "Miracle", ein Wunder geschieht.
Da ist ihre fast dreistündige Regiearbeit, die so toll begann und vielversprechend in die zweite Stunde startete, längst in der Empowermentbude angekommen: "I am a free bitch", verkündet Lavinia, die Elektra aus der Orestie, nachdem der Rest der Familie Mannon endlich tot ist.
Die Lavinia von Schauspielerin Paula Kober zieht sich nicht zurück in die Gruft der Familie, wo das Original endet. Sie nimmt die Rechtsprechung selbst in die Hand, wo die Orestie das immerhin die Demokratie begründende Gericht der Athene walten ließ, und sagt: Ich bin frei und ich bin radikal und ich habe Spaß.
Das ist sehr nah an der Gegenwart und sehr weit weg vom Stück. Das kann eine Aufgabe von Theater sein. Es ist eher nicht seine Aufgabe, das Konzept mindestens eine Stunde lang ins Parkett winken.
Doch es gibt Einwände gegen die eigene Ermüdung: Der Nobelpreisträger Eugen O’Neill wandte die Struktur der Orestie von Aischylos auf eine US-amerikanische Familiengeschichte an, die zum Ende des Bürgerkrieges 1865 spielt. Seine Bearbeitung ist allenfalls historisch interessant, spielbar ist das nicht mehr so richtig.
Karabulut hat keine Angst, sich zu übernehmen. Das ist eine gute Nachricht in einem Theaterbetrieb, der nicht selten auf Nummer sicher geht.
Neue Lesart für O'Neills Adaption
Die zweite gute Nachricht ist, dass man O’Neill nach Karabuluts Regiearbeit verblüffend anders lesen kann, als Dramatiker der kritischen Männlichkeit, wie das heute heißen würde.
Diese zarten, zweifelnden Männer, die bei O’Neill sprechen, und die Karabulut manchmal schön in der Schwebe inszeniert zwischen traumatisierten Männern, die zu viel Gewalt gesehen haben und dem Testosteron nicht mehr trauen, und ihrer Sehnsucht nach Liebe und Zärtlichkeit, für die sich die Frauen aber nicht mehr so richtig zuständig fühlen. Hinreißend, wie das besonders Malick Bauer als Brant/Aigisth macht, aber auch Robert Kuchenbuch als Vater und Feldherr Ezra Mannon/Agamemnon vermag sein Bedürfnis nach Nähe mit der autoritären Persönlichkeit cool in der Luft zu halten.
Der Orin/Orest von Manolo Bertling spielt mit seiner Bühnenschwester Lavina von Paula Kober derweil etwas zwischen "Pulp Fiction" und "Tank Girl", zwischen ironischem B-Movie und Pop-Feminismus der 90er-Jahre also. Das führt seltsamerweise dazu, dass die Geschlechterbilder überraschend stabil sind, da ist wenig im Fluss.
Sind die weichen Männer doch nur Softies, deren Mackeranteile auch schon ein halbes Jahrhundert bekannt sind? Egal, sie sind gut gespielt und betörend inszeniert. Und eine interessante Erotik sieht man in der Tat bei Karabulut, das liegt an diesem verblüffenden Anfang.
Es beginnt mit einem fast einstündigen Film, der vieles auf einmal kann: Den Ton von Telenovelas oder Soap Operas mit einer intimen Mikrofonierung überhöhen, die ersten Akte des ersten Stückes dennoch einigermaßen erzählen, und mit ein paar schönen Fahrten, supernahen Enstellungen. Die morbid-erotische Ausstattung von Michela Flück bereitet die Bühne für einen Blick, der vieles ist, zum Beispiel sexpositiv, aber tatsächlich nicht besonders männlich, wenn wir denn in der Dualität verharren wollen wie diese Inszenierung.
Schon jetzt spielt Sabine Waibel als Christine groß auf, als Mutter, bei den Griechen wäre sie Klytaimnestra. Hier wirkt sie wie eine geisterhafte Rückkehr der Volksbühnen-Diven, aber eine, der man das Ringen um den überzeitlichen Status der Diva, die keinen Schmerz mehr kennt, noch deutlich ansieht. Super.
Ungemütlich, unterhaltend, unkonzentriert
Wenn die Leinwand hochgeht, Sabine Waibels Christine in einem Container sitzt und die Ankunft ihres Sohnes erwartet, flackert die Inszenierung noch buchstäblich. Drei Screens zeigen die Szene als Film, harte Lichtwechsel beleuchten den Container, der Blick blitzt hin und her, während Christine ein langes Messer aus einer der vielen Blumenvasen in der Krypta zieht. Ein perfektes Bild der Ambivalenz, das den Konflikt der Figur zu fassen vermag: Begehrt oder hasst sie ihren Sohn?
Malick Bauer spielt später einen Monolog darüber, wie er als schwarzer Schauspieler alle nerven wird mit einem langen Monolog, aber niemand werde sich trauen etwas zu sagen wegen politischer Korrektheit. Doch sei er ja eh nur da, um unser Gewissen zu beruhigen, dass ein staatlich ausgebildeter Schauspieler mit seiner Hautfarbe das jetzt darf.
Auf der Bühne steht das Haus der Mannons umgekippt, ganz in Blau, Twitter- oder Facebook-Blau und so fühlt es sich auch an: schön ungemütlich, durchaus unterhaltend, aber unkonzentriert. Denn huch, wo ist das Stück hin, was war das Thema nochmal?
Das stille Geisterhaus an diesem Abend ist die Volksbühne selbst, deren Spielweisen unter Castorf, vor allem aber deren im ungünstigen Fall verfranste Dramaturgien, ihr Unwesen treiben. Der Film am Anfang hat die Geister in Schach gehalten, die halbe Stunde danach auch noch. Dann war das Haus stärker, oder das Begehren der Regie, die Botschaft noch den Langsamsten zu erklären.