Mozart alt interpretiert

Von Bernhard Doppler |
Alessandro de Marchi rekonstruiert in der Oper "La Clemenza di Tito" die historische Musizierpraxis Mozarts - in ihrer Anwendung, nicht ihren Ursprüngen. Das gelingt ihm leider nicht so gut. Kein großer Festspielabend, aber eine methodische interessante musikhistorische Neuerkundung bleibt die Eröffnung der Festwochen dennoch zweifellos.
Die traditionsreichen, nun unter der Leitung von Alessandro de Marchi stehenden und der Barockmusik gewidmeten "Festwochen der Alten Musik" in Innsbruck, die dieses Jahr unter dem Motto "Aufbrüche" stehen, sind einen überraschenden Weg gegangen. Man hat nämlich gerade nicht Mozarts Oper als Barockoper rekonstruiert - wie man es bei einem Festival, das auf historischen Instrumenten die historische Spielweise untersucht, erwartet -, sondern gezeigt wie später, in den ersten beiden Jahrzehnten nach Mozarts Tod, "La clemenza di Tito" musiziert wurde.

"Titus" war 1800 bis 1820 Mozarts meist gespielte Oper, allerdings wurde sie mit mehreren Zusätzen und Veränderungen der Komponisten Joseph Weigl und Simon Mayr musikalisch neu bearbeitet und verändert. Vor allem der Titelrolle wurden drei Arien und ein Duett hinzugefügt, die nun alle in Innsbruck gespielt werden. Außerdem lässt Alessandro de Marchi die Rezitative nicht mit Hammerklavier, wie zu Mozarts Zeiten, sondern mit Violoncello und Kontrabass begleiten, wie es offensichtlich bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts durchaus üblich war. Die historische Musizierpraxis, auf die in Innsbruck so viel Wert gelegt wird, rekonstruiert also nicht die Ursprünge, sondern untersucht die weitere Rezeption des Werkes.

Deutlich wird dadurch vor allem, dass Mozarts höfische Oper seinen anderen Opern gleichzustellen ist, also durchaus durch "moderne" Züge bestimmt ist. Und auch die Inszenierung von Christoph von Bernuth rückt die Figuren in ihren existenziellen und sexuellen Krisen und Verwirrungen in die Nähe der da Ponte-Opern. Sesto, der das Attentat an Tito plant, ist in dieser Inszenierung in seinen geschlechtlichen Vorlieben verunsichert, sowohl dem Kaiser, als auch seiner Geliebten Vitellia hörig.

Dennoch! Musikalisch ist nicht viel gewonnen. Die von Weigl und Mayr zugefügten Nummern reichen an die "echten" Mozart-Stücke nicht heran. Mögen Weigl und Mayr auch hin und wieder Rossinis Musik vorwegnehmen, die raffinierte Schlichtheit, die manche Duette Mozarts in dieser Oper kennzeichnet, scheint beinahe "revolutionärer" und lässt bereits an Schubert denken. Und dass gerade der Herrscher in den Zusätzen von Weigl und Mayr durch vier Zusatznummern - meist mit Chorbegleitung - aufgewertet wird (eine seiner schönsten Arie im Original ist allerdings gestrichen: "Se al´impero"), hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck.

Zwar ist der Kaiser durch die Zusätze seinen Gegenspielern auf diese Weise dramaturgisch gleichgestellt, aber faszinierte nicht an Mozarts ursprünglich "weicher" Herrscherfigur gerade sein irritierendes musikalisches Abseitsstehen? Carlo Allemano spielt und singt dagegen einen durchaus grimmig, expressiven Tyrannen.

Von den Sängern gefallen Kate Aldrich (Sesto) und Nina Bernsteiner (Vitellia) durchaus, aber an das hohe Niveau, das in Innsbruck über Jahrzehnte Rene Jacobs mit dem Freiburger Barockorchester oder Akademie für Alte Musik Berlin in Innsbruck erreichte und das das Orchester zum Hauptakteur des Opernabends machte, kann de Marchi - und das wird gerade bei Mozart deutlich - und das Orchester der Accaemia Montis Regalis nicht anschließen. Auch erscheint das kluge dramaturgische Konzept insbesondere in den Chor- und Herrscherszenen eher plump gelöst. Ein über fünf Meter hoher Holzstuhl (Ausstattung Oliver Helf), der nach dem Brand von Rom völlig verkohlt ist, bestimmt die Bühne.

Kein großer Festspielabend, aber eine methodische interessante musikhistorische Neuerkundung bleibt die Eröffnung der Festwochen dennoch zweifellos.
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