Mozart bei Tempo 250
Der Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil hegt eine große Leidenschaft für die Musik Mozarts. Er hörte ein Jahr lang zu jeder Gelegenheit über einen MP3-Player Mozart, auch im ICE. Aus seinen Hörerlebnissen hat er ein Buch gemacht. Es sei wunderbar, die Musik zu hören, die genau zu einem Ort oder einem Tempo passe, sagte Ortheil im Deutschlandradio Kultur.
König: "Die Momente mit Mozarts Musik haben mir eine zweite Welt aufgetan, in der ich von Tag zu Tag etwas mehr und immer selbstverständlicher lebe. Inzwischen folge ich den Winken und Spuren dieser Welt ganz instinktiv", schreibt Hanns-Josef Ortheil. Ein Jahr lang war er mit Mozart unterwegs, folgte damit einem Satz des italienischen Komponisten Gioacchino Rossini. Der hatte einmal empfohlen, jeden Tag ein oder zwei Kompositionen Mozarts zu hören. Der Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil also ist dieser Empfehlung gefolgt, sein Mozart-Hör-Tagebuch ist jetzt erschienen. Es heißt "Das Glück der Musik. Vom Vergnügen, Mozart zu hören". Hanns-Josef Ortheil, guten Morgen.
Ortheil: Guten Morgen.
König: Erzählen Sie doch noch einmal wie das war mit Rossini und seiner Empfehlung, jeden Tag zwei Mozartstücke zu hören. Warum sind Sie ihr gefolgt?
Ortheil: Also zunächst einmal, weil ich schon von Kindesbeinen an die Vorstellung hatte, dass ich Mozart überall hören sollte. Also nicht nur in einem engen Zimmer oder in einem Konzertsaal, sondern einfach auch draußen. Das ist ja jetzt möglich durch die ganzen technischen Geräte. Ich habe also Mozart mir überspielen lassen auf einen MP3-Player und hatte immer die Möglichkeit auszuwählen.
König: Den ganzen Mozart?
Ortheil: Ja, den ganzen Mozart. Ich hatte dadurch die Möglichkeit, an den verschiedensten Orten, wo ich war, immer wieder die Stücke abzurufen, von denen ich dachte, dass sie auf den Ort zugeschnitten seien. Und das war eigentlich der Hauptantrieb, sozusagen Mozart zu entführen, aus dem Konzertsaal und den gängigen Praktiken des Hörens, hinaus in die Freiheit.
König: Und Sie haben Mozart dann gehört, wenn ich es richtig erinnere, am Rheinufer, in der Wuppertaler Schwebebahn, in einer Gondel Venedigs, an der Adria, "Cosi fan tutte" im Frühstücksraum eines Hotels, im Abteil eines ICE. Ich stelle mir das ziemlich komisch vor: Hanns-Josef Ortheil geht morgens in Stuttgart in einen noch leeren ICE, stöpselt da seinen Lautsprecher an, den MP3-Player. Was haben die Mitreisenden gesagt?
Ortheil: Also die ICE-Strukturen sind ja so, dass man also manchmal noch Abteile hat, die leer sind, und das sind eigentlich die alten Kutschenabteile. Man hat da so sechs Plätze, in denen man sich - wenn man Glück hat ist niemand sonst da - in denen man sich aufbauen kann. Ich hatte zwei Lautsprecher dabei und konnte das dann hören. Und das ist eine wundervolle Sache.
König: Ist das eine gute Akustik in einem ICE-Abteil?
Ortheil: Ja, wunderbar. Das ist also ganz fantastisch. Man sitzt ja etwas erhöht und man rast durch die Landschaft und hört plötzlich Musik, die genau auf dieses Tempo hin zugeschnitten ist.
König: Welcher Mozart passt in einen ICE?
Ortheil: Die frühen Symphonien, also die ab Köchelverzeichnis 16.
König: Warum gerade die?
Ortheil: Weil, die haben dieses Reise-Drive. Also die haben die Hörner oben, die haben dieses Schmettern des Abschieds und des Losbrechens, das sind Stücke für die Reise.
König: Vielleicht auch die jugendliche Aufbruchsstimmung, die ja auch der Beginn der Lebensreise sozusagen ist.
Ortheil: Ja, genau. Sie sind unheimlich euphorisch, sie haben diese ganze Sympathie des Reisens und sie sind einfach große Musik. Zum ersten Mal hat Mozart für Orchester komponiert, und man hört das dann wie so eine Probe auch für alle Instrumente, die er noch gar nicht so kannte, das ist ja ein euphorischer Beginn.
König: Wenn jetzt Mitreisende hinzukommen, wie Sie gerade Ihre zwei Boxen schön genießen, die frühen Symphonien von Mozart, was passierte dann?
Ortheil: Man muss dann sich verständigen, man muss fragen, geht das so weiter, können wir das hören. In vielen Fällen habe ich das erklärt, warum ich das mache und wie das dann passt und dann haben wir es zusammen gehört.
König: Was sagen dann die Menschen?
Ortheil: Die sind natürlich nicht vorbereitet, die halten das für irgendeinen Schnickschnack, den da irgendjemand treibt. Aber meistens sind das natürlich Leute, die Mozart kennen, Mozartsche Musik kennen, aber nicht das. Und dann, wenn man es ihnen erklärt und sagt, also hier, schaut einmal, hört einmal und seht einmal beides zusammen, das Bild draußen und den Höreindruck drinnen, dann sind die erst einmal begeistert, oder dann haben die eine Aufgabe, die haben eine Aufgabe des Hörens.
König: Und dann haben Sie gemeinsam den jungen Mozart gehört bei 250?
Ortheil: Ja, genau.
König: Sie haben dann diese Höreindrücke in der Tagebuchform dieses Buches "Das Glück der Musik" aufgeschrieben. Kommen wir noch einmal auf dieses Zitat von vorhin: "Die Momente mit Mozarts Musik haben mir eine zweite Welt aufgetan, in der ich von Tag zu Tag etwas mehr und immer selbstverständlicher lebe. Inzwischen folge ich den Winken und Spuren dieser Welt ganz instinktiv." Was war das, was ist das für eine zweite Welt?
Ortheil: Ja, die zweite Welt ist natürlich erst einmal die, dass man sich, gegenüber dem, was man sonst erlebt, noch einmal in einem ganz eigenen Kosmos aufhält. Das heißt, man beginnt morgens mit der Fragestellung, also was höre ich heute. Das zieht sich das ganze Jahr durch. Man lebt quasi in zwei Welten, der Welt des normalen Alltags und der Welt der Mozartschen Komposition. Und mein Ehrgeiz war es natürlich erstens, alles zu hören, und zweitens, jetzt in den verschiedenen Genres immer das zu hören, was auf den Augenblick passt. Das geht ja gar nicht sonst so gut. Man fährt irgendwohin und ist plötzlich in Essen oder in Wuppertal, wie Sie gesagt haben. Was höre ich denn da? Also wie passt denn das, was ich da gespeichert habe auf die Situation? Das ist quasi ein Leben in einer Sekundärwelt, die unheimlich starke Macht dann entfaltet, weil sie quasi das ganze andere Leben aufsaugt, ja, weil sie die mächtigere Komponente des Daseins eigentlich ist.
König: Dieses Zitat beziehen Sie konkret auf den langsamen Satz des B-Dur Klavierkonzerts, Köchelverzeichnis 450, für Sie der schönste aller langsamen Sätze aus Mozarts Klavierkonzerten, wie Sie schreiben. Wir hören dieses Adagio auch gleich. Inwiefern bezieht sich diese zweite Welt gerade darauf, für Sie?
Ortheil: Ich habe von der Ausbildung her sehr viele der Mozartschen Stücke selbst gespielt. Ich war Konzertpianist früher und ich habe dann immer überlegt, wo passt das eigentlich hin. Es gibt ja - wenn man für die Mozartschen Klavierkonzerte einen Ort braucht, weiß man eigentlich gar nicht, wohin damit. Vor allem für die langsamen Sätze weiß man das nicht, weil sie unglaublich eigenartig sind. Sie sind ganz ruhige Sätze, fast meditative Sätze, die sich ganz in einen Ort verschreiben, also die ganz ausgesponnen sind. Und ich habe mir immer überlegt, wo kann man das eigentlich hören, wo soll ich das hören. Und ich war dann in Innsbruck längere Zeit und das war also gar nicht weit von Italien entfernt und plötzlich hatte ich die Idee, fahr mal nach Venedig und gehe mal mit diesen Konzerten als Höreindruck, also mit Kopfhörern, in die Gondeln Venedigs und höre es da. Und da klappte es plötzlich.
König: Und das ist der Ort für diese Musik?
Ortheil: Das ist der Ort für diese Musik.
Musikeinlage: Adagio aus dem Klavierkonzert B-Dur, KV 450
König: Herr Ortheil, wir haben jetzt den langsamen Satz aus dem B-Dur Klavierkonzert Mozarts gehört. Ich will noch ein Zitat aus Ihrem Buch anführen: "Was ich in Mozarts Musik wie in keiner anderen finde, ist schlicht gesagt das Glück der Musik. Mozarts Musik macht auf befreiende Weise glücklich, mit keiner anderen ist so sehr eine Vorstellung von allen nur denkbaren Facetten von Glück und innerer Freiheit verbunden". Ein sehr schöner Satz, wie ich fand. Variieren Sie doch diesen Satz für uns ein bisschen, um es musikalisch zu formulieren. Was macht diese Einzigartigkeit der Mozartschen Musik aus?
Ortheil: Also bis zu Mozarts Zeiten war die Musik ja streng gebunden an bestimmte Anlässe und an bestimmte Möglichkeiten, überhaupt aufgeführt zu werden. Und Mozart hat darunter ja auch nicht gelitten, aber er hat sie sehr gut genutzt, diese Chancen, Musik aufzuführen. Was Mozart gemacht hat, er hat die Musik für die Orte, an denen sie aufgeführt wurde, verwandelt. Ja, also er hat das subjektive Moment der Euphorie, also der Verwandlung, immer auf jeden Ort bezogen, an dem sie aufgeführt werden musste. Er hat sozusagen vernachlässigt den Entstehungsprozess, oder die Entstehungsmöglichkeit von Musik, und hat daraus etwas ganz kühnes Eigenständiges gemacht.
Also mit Mozart wird die Musik sozusagen subjektiv, sie wird eigenständig. Sie speist sich stärker aus den subjektiven Quellen der eigenen Geschichte, als aus denen der Anlässe, so dass man also, wenn man ein Stück komponiert für den Fürsten von xy, an dem und dem Ort, Mozart diese Pflicht sehr gern erfüllt hat, - er war also ein sehr genauer Arbeiter - aber andererseits immer geschaut hat, wie wird diese Pflicht meinen eigenen Arbeiten und meiner eigenen Entwicklung gerecht.
Dadurch ist die Entwicklungsgeschichte von Mozarts Musik stärker als die der Erfüllungsgeschichte von Pflichten. Und Mozart ist dadurch einer der ersten großen, oder der erste große autarke Komponist geworden. Und das ist Glück, ja, diese Befreiung von der Pflicht und die Hinwendung zur Kür. Das ist Glück und das spürt man an diesen Kompositionen, dass sie quasi triumphieren über den Anlass, und den Anlass hinwenden zu einer befreiten Komposition. Und das ist das Schöne an Mozart.
Es gibt noch einmal einen zweiten Sprung, wenn ich das sagen darf, in der Entwicklung der Musik und das ist Schumann. Schumann hat sozusagen den zweiten Dreh vollzogen. Das ist noch einmal subjektiver, das ist die absolute Subjektivität. Also weg von den Formen und hin zum freien Ausdruck des Subjekts. Das ist in der Romantik Schumann und etwas Größeres ist eigentlich später nicht mehr geschrieben worden.
König: Kommen wir zurück zu Mozart. Das Leben Mozarts durchzieht ja dieses Buch immer wieder. Sie schreiten sozusagen die Lebensstationen nach. Salzburg, Mannheim, Italien, Paris, Wien, die ganzen Reisen, die es da gab. Aber auch Sie selbst, Ihr eigenes Leben ist ja präsent, weil Sie nun sozusagen ein Jahr lang mit Mozart Ihr Leben leben. Das fand ich ausgesprochen amüsant. Also zum Beispiel, Sie sitzen, eine längere Radtour unternehmend, am Rhein, hören dort das Klaviertrio G-Dur Köchelverzeichnis 496, der dritte Satz. Im Hintergrund, ich hab mir das so vorgestellt, wie die Kinder ihre Fahrradtaschen packen. Dann liest man also, der dritte Satz, Klavier, Violine, Cello, plötzlich ein schattiges, dunkles Moll wie das Heraufziehen eines Gewitters. Wie haben Sie das erlebt, dieses Private mit dem Mozart zu verbinden?
Ortheil: Ja, ich habe natürlich zum großen Teil in bestimmten Genres gehört. Das heißt, ich habe dann nicht so sehr chronologisch das Mozartsche Werk verfolgt, sondern ich habe mir dann bestimmte Genres vorgenommen, wie die Klaviertrios oder die Klavierquartette. Man sagte, so jetzt bin ich unterwegs und jetzt höre ich einmal nur die Klaviertrios an.
Bei der Gelegenheit war es so, da war ich eben am Rhein mit den Kindern und ich hörte dann dauernd die Klaviertrios und sagte: Was ist da? Da gibt es eine ganz furchtbare Stelle in diesem Köchelverzeichnis 496, eine ganz düstere, furchtbare Stelle. Und meine Kinder, die hatten immer so die Befürchtung, mir ginge es nicht gut. Also ich hörte das und dann hatte ich das dauernd auf dem Kopfhörer, und dann fragte meine Tochter immer: Ist dir nicht wohl oder was ist da los, was hörst du denn da? Und da habe ich das also auch ihnen gegeben, die hörten das dann auch und sagten, das ist ja wirklich furchtbar. Also die vollzogen das mit. Beide können auch ganz gut Musik…
König: Also Sie mussten sie nicht zu Mozart erst noch bringen?
Ortheil: Nein, nein, nein, nein. Die hörten das dann plötzlich auch und dann saßen wir da und fragten uns, was ist denn das eigentlich. Und so ist das dann eigentlich entstanden. Das heißt, das Werk hat dann immer so bestimmte Augenblicke der Lebensprozesse erhellt und wirkte dann auch wieder zurück. Und ich fand das dann sehr schön. Ich habe immer nachgeschaut, wo sind diese Werke entstanden, also in Koblenz zum Beispiel dieses Trio, und was ist da vorher gewesen. Und dann haben wir uns auch ein bisschen über die Werkentstehungsprozesse unterhalten und wir sind dadurch in so eine …
König: Auf dem Rad fahrend, das stelle ich mir auch sehr komisch vor.
Ortheil: … Ja, wir sind dadurch in so eine Mozartgeschichte geraten.
König: Herr Ortheil erzählt über seine Vorliebe für Roséwein, die er mit Mozarts Vater Leopold teilt, wie ich auf diese Weise erfahren habe.
Ortheil: Das war ein Zufall. Wir sind nach Koblenz gekommen, da gab es von der Ahr sehr gute Rosés. Ich trinke sehr gerne Rosés. Und da war das plötzlich so, plötzlich passte alles, ja. Da wird man ja verrückt. Also alles passte, der Wein passte, der Ort passte. Und dann haben wir uns versucht, das zu erläutern, woran das liegt.
König: Wir wollen aus diesem Klaviertrio G-Dur den dritten Satz hören, wenn Sie einverstanden sind.
Ortheil: Ja.
König: Sagen Sie noch ein Wort zur Verständnishilfe für all diejenigen, die nun nicht so in dem Mozart drin sind.
Ortheil: Ja, die Kammermusik ist etwas, was Mozart sozusagen für sich geschrieben hat. Also die großen Kompositionen für Orchester und andere Dinge sind natürlich für öffentliche Anlässe geschrieben worden, bei der Kammermusik hatte er immer die Vorstellung von bestimmten Freunden, die das aufführen, und für einen bestimmten Ort. Und dadurch ist es das Intimste, was er überhaupt geschrieben hat, das kammermusikalische Werk, und da noch einmal zurück die Klaviersonaten, sind das Intimste, was er geschrieben hat. Und damit ist man ihm eigentlich am nächsten.
Ortheil: Guten Morgen.
König: Erzählen Sie doch noch einmal wie das war mit Rossini und seiner Empfehlung, jeden Tag zwei Mozartstücke zu hören. Warum sind Sie ihr gefolgt?
Ortheil: Also zunächst einmal, weil ich schon von Kindesbeinen an die Vorstellung hatte, dass ich Mozart überall hören sollte. Also nicht nur in einem engen Zimmer oder in einem Konzertsaal, sondern einfach auch draußen. Das ist ja jetzt möglich durch die ganzen technischen Geräte. Ich habe also Mozart mir überspielen lassen auf einen MP3-Player und hatte immer die Möglichkeit auszuwählen.
König: Den ganzen Mozart?
Ortheil: Ja, den ganzen Mozart. Ich hatte dadurch die Möglichkeit, an den verschiedensten Orten, wo ich war, immer wieder die Stücke abzurufen, von denen ich dachte, dass sie auf den Ort zugeschnitten seien. Und das war eigentlich der Hauptantrieb, sozusagen Mozart zu entführen, aus dem Konzertsaal und den gängigen Praktiken des Hörens, hinaus in die Freiheit.
König: Und Sie haben Mozart dann gehört, wenn ich es richtig erinnere, am Rheinufer, in der Wuppertaler Schwebebahn, in einer Gondel Venedigs, an der Adria, "Cosi fan tutte" im Frühstücksraum eines Hotels, im Abteil eines ICE. Ich stelle mir das ziemlich komisch vor: Hanns-Josef Ortheil geht morgens in Stuttgart in einen noch leeren ICE, stöpselt da seinen Lautsprecher an, den MP3-Player. Was haben die Mitreisenden gesagt?
Ortheil: Also die ICE-Strukturen sind ja so, dass man also manchmal noch Abteile hat, die leer sind, und das sind eigentlich die alten Kutschenabteile. Man hat da so sechs Plätze, in denen man sich - wenn man Glück hat ist niemand sonst da - in denen man sich aufbauen kann. Ich hatte zwei Lautsprecher dabei und konnte das dann hören. Und das ist eine wundervolle Sache.
König: Ist das eine gute Akustik in einem ICE-Abteil?
Ortheil: Ja, wunderbar. Das ist also ganz fantastisch. Man sitzt ja etwas erhöht und man rast durch die Landschaft und hört plötzlich Musik, die genau auf dieses Tempo hin zugeschnitten ist.
König: Welcher Mozart passt in einen ICE?
Ortheil: Die frühen Symphonien, also die ab Köchelverzeichnis 16.
König: Warum gerade die?
Ortheil: Weil, die haben dieses Reise-Drive. Also die haben die Hörner oben, die haben dieses Schmettern des Abschieds und des Losbrechens, das sind Stücke für die Reise.
König: Vielleicht auch die jugendliche Aufbruchsstimmung, die ja auch der Beginn der Lebensreise sozusagen ist.
Ortheil: Ja, genau. Sie sind unheimlich euphorisch, sie haben diese ganze Sympathie des Reisens und sie sind einfach große Musik. Zum ersten Mal hat Mozart für Orchester komponiert, und man hört das dann wie so eine Probe auch für alle Instrumente, die er noch gar nicht so kannte, das ist ja ein euphorischer Beginn.
König: Wenn jetzt Mitreisende hinzukommen, wie Sie gerade Ihre zwei Boxen schön genießen, die frühen Symphonien von Mozart, was passierte dann?
Ortheil: Man muss dann sich verständigen, man muss fragen, geht das so weiter, können wir das hören. In vielen Fällen habe ich das erklärt, warum ich das mache und wie das dann passt und dann haben wir es zusammen gehört.
König: Was sagen dann die Menschen?
Ortheil: Die sind natürlich nicht vorbereitet, die halten das für irgendeinen Schnickschnack, den da irgendjemand treibt. Aber meistens sind das natürlich Leute, die Mozart kennen, Mozartsche Musik kennen, aber nicht das. Und dann, wenn man es ihnen erklärt und sagt, also hier, schaut einmal, hört einmal und seht einmal beides zusammen, das Bild draußen und den Höreindruck drinnen, dann sind die erst einmal begeistert, oder dann haben die eine Aufgabe, die haben eine Aufgabe des Hörens.
König: Und dann haben Sie gemeinsam den jungen Mozart gehört bei 250?
Ortheil: Ja, genau.
König: Sie haben dann diese Höreindrücke in der Tagebuchform dieses Buches "Das Glück der Musik" aufgeschrieben. Kommen wir noch einmal auf dieses Zitat von vorhin: "Die Momente mit Mozarts Musik haben mir eine zweite Welt aufgetan, in der ich von Tag zu Tag etwas mehr und immer selbstverständlicher lebe. Inzwischen folge ich den Winken und Spuren dieser Welt ganz instinktiv." Was war das, was ist das für eine zweite Welt?
Ortheil: Ja, die zweite Welt ist natürlich erst einmal die, dass man sich, gegenüber dem, was man sonst erlebt, noch einmal in einem ganz eigenen Kosmos aufhält. Das heißt, man beginnt morgens mit der Fragestellung, also was höre ich heute. Das zieht sich das ganze Jahr durch. Man lebt quasi in zwei Welten, der Welt des normalen Alltags und der Welt der Mozartschen Komposition. Und mein Ehrgeiz war es natürlich erstens, alles zu hören, und zweitens, jetzt in den verschiedenen Genres immer das zu hören, was auf den Augenblick passt. Das geht ja gar nicht sonst so gut. Man fährt irgendwohin und ist plötzlich in Essen oder in Wuppertal, wie Sie gesagt haben. Was höre ich denn da? Also wie passt denn das, was ich da gespeichert habe auf die Situation? Das ist quasi ein Leben in einer Sekundärwelt, die unheimlich starke Macht dann entfaltet, weil sie quasi das ganze andere Leben aufsaugt, ja, weil sie die mächtigere Komponente des Daseins eigentlich ist.
König: Dieses Zitat beziehen Sie konkret auf den langsamen Satz des B-Dur Klavierkonzerts, Köchelverzeichnis 450, für Sie der schönste aller langsamen Sätze aus Mozarts Klavierkonzerten, wie Sie schreiben. Wir hören dieses Adagio auch gleich. Inwiefern bezieht sich diese zweite Welt gerade darauf, für Sie?
Ortheil: Ich habe von der Ausbildung her sehr viele der Mozartschen Stücke selbst gespielt. Ich war Konzertpianist früher und ich habe dann immer überlegt, wo passt das eigentlich hin. Es gibt ja - wenn man für die Mozartschen Klavierkonzerte einen Ort braucht, weiß man eigentlich gar nicht, wohin damit. Vor allem für die langsamen Sätze weiß man das nicht, weil sie unglaublich eigenartig sind. Sie sind ganz ruhige Sätze, fast meditative Sätze, die sich ganz in einen Ort verschreiben, also die ganz ausgesponnen sind. Und ich habe mir immer überlegt, wo kann man das eigentlich hören, wo soll ich das hören. Und ich war dann in Innsbruck längere Zeit und das war also gar nicht weit von Italien entfernt und plötzlich hatte ich die Idee, fahr mal nach Venedig und gehe mal mit diesen Konzerten als Höreindruck, also mit Kopfhörern, in die Gondeln Venedigs und höre es da. Und da klappte es plötzlich.
König: Und das ist der Ort für diese Musik?
Ortheil: Das ist der Ort für diese Musik.
Musikeinlage: Adagio aus dem Klavierkonzert B-Dur, KV 450
König: Herr Ortheil, wir haben jetzt den langsamen Satz aus dem B-Dur Klavierkonzert Mozarts gehört. Ich will noch ein Zitat aus Ihrem Buch anführen: "Was ich in Mozarts Musik wie in keiner anderen finde, ist schlicht gesagt das Glück der Musik. Mozarts Musik macht auf befreiende Weise glücklich, mit keiner anderen ist so sehr eine Vorstellung von allen nur denkbaren Facetten von Glück und innerer Freiheit verbunden". Ein sehr schöner Satz, wie ich fand. Variieren Sie doch diesen Satz für uns ein bisschen, um es musikalisch zu formulieren. Was macht diese Einzigartigkeit der Mozartschen Musik aus?
Ortheil: Also bis zu Mozarts Zeiten war die Musik ja streng gebunden an bestimmte Anlässe und an bestimmte Möglichkeiten, überhaupt aufgeführt zu werden. Und Mozart hat darunter ja auch nicht gelitten, aber er hat sie sehr gut genutzt, diese Chancen, Musik aufzuführen. Was Mozart gemacht hat, er hat die Musik für die Orte, an denen sie aufgeführt wurde, verwandelt. Ja, also er hat das subjektive Moment der Euphorie, also der Verwandlung, immer auf jeden Ort bezogen, an dem sie aufgeführt werden musste. Er hat sozusagen vernachlässigt den Entstehungsprozess, oder die Entstehungsmöglichkeit von Musik, und hat daraus etwas ganz kühnes Eigenständiges gemacht.
Also mit Mozart wird die Musik sozusagen subjektiv, sie wird eigenständig. Sie speist sich stärker aus den subjektiven Quellen der eigenen Geschichte, als aus denen der Anlässe, so dass man also, wenn man ein Stück komponiert für den Fürsten von xy, an dem und dem Ort, Mozart diese Pflicht sehr gern erfüllt hat, - er war also ein sehr genauer Arbeiter - aber andererseits immer geschaut hat, wie wird diese Pflicht meinen eigenen Arbeiten und meiner eigenen Entwicklung gerecht.
Dadurch ist die Entwicklungsgeschichte von Mozarts Musik stärker als die der Erfüllungsgeschichte von Pflichten. Und Mozart ist dadurch einer der ersten großen, oder der erste große autarke Komponist geworden. Und das ist Glück, ja, diese Befreiung von der Pflicht und die Hinwendung zur Kür. Das ist Glück und das spürt man an diesen Kompositionen, dass sie quasi triumphieren über den Anlass, und den Anlass hinwenden zu einer befreiten Komposition. Und das ist das Schöne an Mozart.
Es gibt noch einmal einen zweiten Sprung, wenn ich das sagen darf, in der Entwicklung der Musik und das ist Schumann. Schumann hat sozusagen den zweiten Dreh vollzogen. Das ist noch einmal subjektiver, das ist die absolute Subjektivität. Also weg von den Formen und hin zum freien Ausdruck des Subjekts. Das ist in der Romantik Schumann und etwas Größeres ist eigentlich später nicht mehr geschrieben worden.
König: Kommen wir zurück zu Mozart. Das Leben Mozarts durchzieht ja dieses Buch immer wieder. Sie schreiten sozusagen die Lebensstationen nach. Salzburg, Mannheim, Italien, Paris, Wien, die ganzen Reisen, die es da gab. Aber auch Sie selbst, Ihr eigenes Leben ist ja präsent, weil Sie nun sozusagen ein Jahr lang mit Mozart Ihr Leben leben. Das fand ich ausgesprochen amüsant. Also zum Beispiel, Sie sitzen, eine längere Radtour unternehmend, am Rhein, hören dort das Klaviertrio G-Dur Köchelverzeichnis 496, der dritte Satz. Im Hintergrund, ich hab mir das so vorgestellt, wie die Kinder ihre Fahrradtaschen packen. Dann liest man also, der dritte Satz, Klavier, Violine, Cello, plötzlich ein schattiges, dunkles Moll wie das Heraufziehen eines Gewitters. Wie haben Sie das erlebt, dieses Private mit dem Mozart zu verbinden?
Ortheil: Ja, ich habe natürlich zum großen Teil in bestimmten Genres gehört. Das heißt, ich habe dann nicht so sehr chronologisch das Mozartsche Werk verfolgt, sondern ich habe mir dann bestimmte Genres vorgenommen, wie die Klaviertrios oder die Klavierquartette. Man sagte, so jetzt bin ich unterwegs und jetzt höre ich einmal nur die Klaviertrios an.
Bei der Gelegenheit war es so, da war ich eben am Rhein mit den Kindern und ich hörte dann dauernd die Klaviertrios und sagte: Was ist da? Da gibt es eine ganz furchtbare Stelle in diesem Köchelverzeichnis 496, eine ganz düstere, furchtbare Stelle. Und meine Kinder, die hatten immer so die Befürchtung, mir ginge es nicht gut. Also ich hörte das und dann hatte ich das dauernd auf dem Kopfhörer, und dann fragte meine Tochter immer: Ist dir nicht wohl oder was ist da los, was hörst du denn da? Und da habe ich das also auch ihnen gegeben, die hörten das dann auch und sagten, das ist ja wirklich furchtbar. Also die vollzogen das mit. Beide können auch ganz gut Musik…
König: Also Sie mussten sie nicht zu Mozart erst noch bringen?
Ortheil: Nein, nein, nein, nein. Die hörten das dann plötzlich auch und dann saßen wir da und fragten uns, was ist denn das eigentlich. Und so ist das dann eigentlich entstanden. Das heißt, das Werk hat dann immer so bestimmte Augenblicke der Lebensprozesse erhellt und wirkte dann auch wieder zurück. Und ich fand das dann sehr schön. Ich habe immer nachgeschaut, wo sind diese Werke entstanden, also in Koblenz zum Beispiel dieses Trio, und was ist da vorher gewesen. Und dann haben wir uns auch ein bisschen über die Werkentstehungsprozesse unterhalten und wir sind dadurch in so eine …
König: Auf dem Rad fahrend, das stelle ich mir auch sehr komisch vor.
Ortheil: … Ja, wir sind dadurch in so eine Mozartgeschichte geraten.
König: Herr Ortheil erzählt über seine Vorliebe für Roséwein, die er mit Mozarts Vater Leopold teilt, wie ich auf diese Weise erfahren habe.
Ortheil: Das war ein Zufall. Wir sind nach Koblenz gekommen, da gab es von der Ahr sehr gute Rosés. Ich trinke sehr gerne Rosés. Und da war das plötzlich so, plötzlich passte alles, ja. Da wird man ja verrückt. Also alles passte, der Wein passte, der Ort passte. Und dann haben wir uns versucht, das zu erläutern, woran das liegt.
König: Wir wollen aus diesem Klaviertrio G-Dur den dritten Satz hören, wenn Sie einverstanden sind.
Ortheil: Ja.
König: Sagen Sie noch ein Wort zur Verständnishilfe für all diejenigen, die nun nicht so in dem Mozart drin sind.
Ortheil: Ja, die Kammermusik ist etwas, was Mozart sozusagen für sich geschrieben hat. Also die großen Kompositionen für Orchester und andere Dinge sind natürlich für öffentliche Anlässe geschrieben worden, bei der Kammermusik hatte er immer die Vorstellung von bestimmten Freunden, die das aufführen, und für einen bestimmten Ort. Und dadurch ist es das Intimste, was er überhaupt geschrieben hat, das kammermusikalische Werk, und da noch einmal zurück die Klaviersonaten, sind das Intimste, was er geschrieben hat. Und damit ist man ihm eigentlich am nächsten.