"Ein Glücksfall, diese Aufführung"
Selten kommt Mozarts "Mitridate, Re di Ponto" auf die Bühne. Nun wurde die Opera Seria beim Schwetzinger Mozartsommer aufgeführt - mit überzeugenden Sängern in wunderbaren, asiatisch angehauchten Barock-Kostümen.
Herr Scholz, der Schwetzinger Mozartsommer widmet sich in diesem Jahr auch einer Oper, die sonst selten auf die Bühne kommt, Mozarts „Mitridate, Re di Ponto". Weshalb spielt man diese Oper eigentlich so selten? Weil sie das Werk eines 14-Jährigen ist?
Dieter David Scholz: "Nein, das war zwar schon zu Mozarts Zeiten das Vorurteil, das Skepsis nach sich zog. Aber schon bei den ersten Orchesterproben vor der Uraufführung 1770 in Mailand wuchs die Bewunderung aller Mitwirkenden dafür, wei ein 14-Jähriger so eine Musik schreiben konnte, wie er alle Erfordernisse der Konvention der Opera seria erfüllte und weit darüber hinaus ging. Was davor zurückschrecken ließ, das Werk aufzuführen, war im 19. und bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein vor allem die Besetzungsproblematik. Man braucht für die Oper drei Kastraten. Und das Werk ist sehr lang, bei der Uraufführung dauerte es sechs Stunden. In den Folgeaufführungen hat man zwar die Ballette gestrichen und das Werk auf drei Stunden gekürzt. Aber das ist immer noch lang. Dass es nicht zu lang ist, hat man hier in Schwetzingen erfahren. Wer bisher ein Vorurteil bezüglich dieses Stücks hatte, wurde heute Abend eines Besseren belehrt."
Der junge, aufstrebende griechische Dirigent George Petrou stand am Pult des Orchesters des Nationaltheaters Mannheim. Hat er Sinn für die Musik dieser jugendlichen Opera seria gezeigt?
Dieter David Scholz: "Und wie! Er hat diese Musik des jugendlichen Heißsporns Mozart mit einem Drive spielen lassen, mit so viel Schwung und Delikatesse, dass es einen förmlich mitriss. Nun kommt er aus der Alten Musik – er hat ja selbst ein Ensemble mit historischen Instrumenten, hat bereits preisgekrönte Aufnahmen damit gemacht. Und er hat schon viele große Orchester dirigiert. Aber wie er diesen jungen Mozart heute Abend zum Besten gab, das hat alle Erwartungen übertroffen. Die Musiker des Mannheimer Nationaltheaters spielten auf modernen Instrumenten, aber Petrou hat sie zu hörbar historisch informiertem, zu immer wieder stürmischem Spiel animiert, er hat sie übrigens übrigens vom Cembalo aus sehr fantasievoll begleitet. Man war sprachlos. Und so mancher dürfte sich in die Musik dieses Stücks verliebt haben heute Abend."
Und was interessiert Regisseur Nicolas Brieger an diesem Stück?
Scholz: "Es geht ja in dem Stück um König Mithridates, der nach einer Niederlage gegen die Römer aus dem Krieg zurückkehrt. Er findet seine beiden Söhne vor, die beide nach der Macht schielen und auch noch seine Verlobte begehren. Und nicht zu vergessen: Es geht in dem Stück um eine historische Herrscherfigur, den König von Pontos, einer antiken Region im Süden des Schwarzen Meeres, im Spannungsgebiet, das von der Krim über die Ukraine und Anatolien bis nach Syrien und Persien reicht. Aus diesem Spannungsgebiet erreichen uns ja täglich Nachrichten. Aber das historische und das aktuelle Potenzial des Stücks reizt Nicolas Brieger gar nicht. Was ihn interessiert, ist die Psyche des besiegten Tyrannen, und die Fortsetzung des Krieges auf dem Schlachtfeld in der eigenen Familie. Darum geht es in dieser Schlichten Inszenierung. Brieger inszeniert die Demontage eines Patriarchen, den Zusammenbruch von Männlichkeit und Macht. Das Lieto fine, der aufgesetzte gute Ausgang, der am Ende jeder Opera seria erwartet wird, der ist in diesem Stück auch kein wirklicher, das hat der vierzehnjährige Mozart schon musikalisch deutlich macht. Und das hat Brieger auch inszeniert."
Die Aufführung findet ja im historischen Rokokotheater des Schwetzinger Schlosses statt. Nimmt die szenische Realisierung der Oper in irgendeiner Weise darauf Bezug?
Scholz: "Nein. Nun ist dieses Theater aber auch ein solches Schmuckkästchen, ein solches Rokokojuwel, dass man als Bühnenbildner nur schwerlich dagegen halten kann. Raimund Bauer hat sich deshalb darauf beschränkt, eine sehr einfache Bühne zu entwerfen. Er siedelt das Stück zwischen einer vertikal fahrbaren Wand aus Gitterkäfigen, die an ein Gefängnis denken lassen, und einer am Ende einstürzenden Bühnenrückwand aus Würfeln an, auf denen das übergroße Porträt Mithridates gemalt ist. Das macht Sinn und entspricht dem Konzept der Inszenierung. Und die große Kostümbildnerin Andrea Schmidt-Futterer hat wunderbare, asiatisch angehauchte Quasi-Barockkostüme für diese Aufführung entworfen. Diese Kostüme sind eigentlich das Schönste an der Inszenierung."
Bleibt die Frage nach den Sängern. Wie ist man denn sängerisch mit der Oper klargekommen?
Scholz: "Ganz erstaunlich. Gerade auch, weil einer der beiden Countertenöre, die die machtgierigen Söhne des Mithridates singen, erkrankte. Er hat die Rolle nur gespielt, und die Sopranistin Mary Ellen Nessi, die bewundernswerterweise in wenigen Tagen die anspruchsvolle Partie des Sifare lernte, hat sie großartig gesungen und damit die Aufführung gerettet. Und sie hat die Argumentation des Inszenierungsteams ad absurdum geführt, man könne diese Partie des Sifare nicht mit einer Frau besetzen, weil dadurch die Geschichte ins Wanken gerate, die Geschichte, in der dieser Sohn Mithridates von der Verlobten seines Vaters begehrt wird. Aber nicht nur Mary Ellen Nesi war ein Glücksfall, die ganz Besetzung war es, Mirko Roschkowski sang Mitridate als noblen gebrochenen Helden, Cornelia Ptassek erwies sich in der mörderischen Partie der von drei Männern umworbenen Aspasia als wirkliche Gesangsirtuosa, die Ismene von Eunju Kwon bezaubert durch ihren klaren Sopran. Ausgezeichnet auch der Countertenor Clint van der Linde als Farnace. Alles in allem also auch sängerisch ein Glücksfall, diese Aufführung, die vom Publikum stürmisch bejubelt wurde."