MRT kann Pädophilie erkennen

Von Jens Wellhöner |
In Deutschland sind vermutlich weit mehr Menschen pädophil als die offiziellen Statistiken aussagen. Etliche Betroffene wenden sich an Ärzte, doch die Tests sind unzuverlässig. Medizinern an der Kieler Uniklinik ist jetzt ein Durchbruch gelungen: Sie können Pädophilie unterm MRT erkennen. Auf den MRT-Bildern sehen sie, welche Gehirnregionen bei Pädophilen besonders aktiv sind, wenn die Fotos von Kindern sehen.
Pädophilie ist in Deutschland weitaus verbreiteter als bisher angenommen. Der Kieler Professor für Sexualmedizin Hartmut Bosinski nennt erschreckende Zahlen:

"Wir wissen aus Untersuchungen, dass circa ein Prozent der erwachsenen Männer in Deutschland sexuell auf Kinder orientiert sind. Entweder ausschließlich oder auch auf Kinder orientiert sind. Und diese Neigung schon ausagiert haben. Das heißt, Kinder missbraucht haben. Ein Prozent klingt nicht viel. Das sind aber hochgerechnet auf ganz Deutschland 250.000 Männer."

Der Kieler Sexualmediziner will diese Zahl senken. Durch Vorbeugung. Vielen pädophilen Männern ist ihre Veranlagung nämlich gar nicht bewusst. Sie haben noch keine Kinder sexuell belästigt, es besteht aber die Gefahr, dass sie es tun. Eine rechtzeitige genaue Diagnose könnte verhindern, dass diese Männer jemals Kinder missbrauchen. Wer befürchtet, pädophil zu sein, kann sich an Hartmut Bosinski und sein Team an der Kieler Uniklinik wenden. Dort machen die Mediziner dann den MRT-Test.

Das MRT-Gerät ist aktiv. In der Röhre liegt ein junger Mann. Er schaut auf einen kleinen Bildschirm, auf ihm sind nackte Kinder zu sehen. Währenddessen macht das Gerät Aufnahmen von seinem Gehirn: In einem kleinen Raum nebenan sitzt Dr. Jorge Ponseti und schaut sich die MRT-Aufnahmen an. Auf ihnen ist das Gehirn des jungen Mannes zu sehen. Einige Teile des Gehirns schimmern auf den Bildern hellgrau, die anderen dunkelgrau:

"Also wir schauen, wie hell war der Bereich hier vorne, während der Proband ein Kinderbild gesehen hat. Und wenn es dunkler ist, ist es sauerstoffreicher."

Wo sauerstoffreiches Blut einließt, da ist das Gehirn besonders aktiv. Wenn der junge Mann im MRT-Raum Kinderbilder sieht, sind immer dieselben Teile des Gehirns aktiv und damit auf den MRT-Bildern dunkelgrau. Sie bilden ein Muster, eine Art Fingerabdruck der Pädophilie:

"Die Bereiche, die das betrifft, sind hier wieder das Belohnungszentrum. Aber es sind auch ausgedehnte Bereiche des visuellen Cortex‘, der am Hinterkopf liegt."

In diesem Bereich verarbeitet das Gehirn alles das, was die Augen sehen. Der junge Mann sieht Kinderbilder, das Gehirn verarbeitet sie. Und das Belohnungszentrum wird aktiviert. Dieses typische Muster der Gehirnaktivität entdeckten die Kieler Sexualmediziner an fast allen Teilnehmern ihrer wissenschaftlichen Versuche. Jorge Ponseti:

"Ja, wir haben eine Klassifikationsgenauigkeit von 95 Prozent erzielt. Das ist im Vergleich zu vielen anderen Verfahren in der Medizin ein ganz gutes diagnostisches Ergebnis."

Um ihre neue Methode zu testen, haben die Kieler Forscher eine Studie gemacht. 24 Männer hatten sich dazu freiwillig gemeldet. Sie alle waren pädophil, das war schon vor dem MRT-Test bekannt. Bei fast allen von ihnen stießen die Mediziner dann auch auf das typische Muster der Pädophilie.
Die Menschen reagieren übrigens auf sexuelle Reize in Sekundenbruchteilen.
Professor Hartmut Bosinski von der Uni Kiel:

"300 Millisekunden. Das Gehirn erkennt automatisch: Passt in mein sexuelles Schema. Passt nicht in mein sexuelles Schema. Das ist nicht dem Willen unterworfen, das ist nicht steuerbar. Sondern fast eine reflexartige Reaktion des Gehirns auf die visuellen Reize."

Bei den Tests in der MRT-Röhre können sich die Menschen also nicht verstellen. Dafür geht alles zu schnell. Deswegen könnten die Sexualmediziner mit ihrer neuen Methode auch pädophile Täter überführen. Aber:

"Um Gottes willen! Selbstverständlich nicht! Unsere Tätigkeit unterliegt wie jede ärztliche Tätigkeit der Schweigepflicht. Nein, das hat mit der Polizei nichts zu tun, mit dem Gericht nichts zu tun. Wir würden dieses Verfahren auch nie im schwebenden Gerichtsverfahren einsetzen, um Täter zu überführen. Das ist erstens rechtlich gar nicht möglich. Und zweitens auch inhaltlich nicht möglich."

Die neue MRT-Methode soll in Zukunft Straftaten verhindern. Dadurch, dass Menschen rechtzeitig erkennen, dass sie pädophil sind. Und gezielt therapiert werden. Das ist das Ziel der Kieler Sexualmediziner. Aber: Das Land Schleswig-Holstein will ihre Forschungen nicht weiter unterstützen. Aus Geldmangel. Das ganze Projekt steht also auf der Kippe. Ob sich die neue Methode durchsetzt, ist völlig unsicher.
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