Müde, aber erfolgreich

Von Carolin Pirich |
In den letzten Jahren hat die israelische Künstlerin Keren Cytter Romane und Gedichte geschrieben, eine Tanzkompanie aufgebaut und 48 Videos gedreht. Seit vier Jahren lebt sie in Deutschland und ist nun für den Preis der Nationalgalerie nominiert.
Keren Cytter sitzt auf einem Sessel, der unbequemer aussieht als er ist. Vor ihr steht auf einem niedrigen Couchtisch ihr Laptop. Wie Notenlinien liegen die Filmspuren übereinander, Notenköpfe sind die Filmschnippsel: eine Vase, Blumen, eine Frau, die ans Telefon geht, Glas, das zerbricht. Der Rhythmus der Bilder ist langsam und musikalisch. Sie erzählen kurze Geschichten, die auf skurrilen Nachrichten beruhen. Keren Cytter seufzt als sie sagen soll, worum es geht.
"Ein 14-jähriger Junge wird in einer Bar erstochen, elf Stiche in fünf Sekunden. Er stirbt. Das ist die traurigste Geschichte. Die zweite ist netter. Eine Frau wird von ihrem Mann in den Kopf geschossen, dann erschießt sich der Mann. Sie aber steht wieder auf, ruft die Polizei und macht sich einen Tee. Die Kugel traf genau zwischen die Gehirnhälften, deshalb geschah ihr nichts."

Die dritte Geschichte erzählt von einem Mann, dem, als er aus dem Fenster springt, nichts passiert. Deshalb läuft er in den fünften Stock und springt noch mal, aber wieder tut er sich nichts.

"Ich frage mich, was in ihnen vorgeht, oder wie sie sich fühlen. Was treibt Menschen an einen gewissen Punkt? Was geschieht, wenn du aufwachst und feststellst, dass eine Kugel in deinem Kopf steckt?"

Keren Cytter scheint eigentlich viel zu müde zu sein für ein Gespräch. Anfangs wirkte sie lustlos, was man von einer erst 32-jährigen Künstlerin kaum erwartet, die, wie sie sagt, momentan gut von ihrer Kunst leben könne, die auch sagt, dass sie ihre Arbeit eigentlich mag, weil sie so selbst bestimmt sei. Sie macht alles selbst: Drehbuch, Regie, Kamera, Ton.

"Ich bin sehr ungeduldig. Mit einem Kameramann zu arbeiten zum Beispiel wäre nur ermüdend. Ich müsste dauernd mit ihm reden. Es würde zu lange dauern, den Film zu machen."

Keren Cytter wirkt nicht abweisend, nur ein wenig seltsam, was vielleicht auch an ihrer Müdigkeit liegt. Sie trägt leuchtend rote Turnschuhe vom Fußballverein Bayern München, von dem sie aber weiter nichts weiß; die Schuhe waren ein Geschenk. Ihre Jogginghose ist so grell türkisfarben, dass es blendet. Sie mache sich nichts aus Mode, sagt sie, das einzige, wofür sie Geld ausgebe, seien Taxifahrten und Sushi.

Keren Cytter ist in Ariel aufgewachsen, einer israelischen Siedlung im besetzten Westjordanland, ein brisanter, hochpolitischer Ort. Aber über Politik will sie heute ungern sprechen, es strengt sie an. Sie war in der Armee, so wie jeder junge Israeli. Ihren Militärdienst leistete sie im Büro. Dort langweilte sie sich so sehr, dass sie die Räume dekorierte und vor dem Spiegel Grimassen schnitt. Dann wurde sie aus der Armee entlassen, im Gutachten war die Rede von "psychischen Problemen”. Dabei hatte sie ihrem Vorgesetzten nur gesagt, wenn sie wenigstens kämpfen könne, würde sie sich weniger langweilen.

"In Israel gelte ich als Sissy, eine, die weich ist, sehr sanft. In Europa dagegen finden sie mich sehr aggressiv und laut. Aber ich bin nicht anders, Europäer sind eben nicht so expressiv wie Israelis."

Als sie 24 wurde, bekam Keren Cytter ein Stipendium des renommierten De Ateliers-Institut, zog nach Amsterdam und danach nach Berlin; das war vor vier Jahren.

Ihre Videos erzählen kurze Geschichten in starken, kunstvollen Bildern. Es sind real wirkende Situationen, die ins Traumhafte, auch Albtraumhafte kippen.

Ein Mann regt sich fürchterlich am Telefon auf. Dann legt er eine CD ein, die Musik beruhigt ihn; er beginnt zu lesen. Die Figuren aus dem Buch scheinen real zu werden. Irgendwann steht ein Mann hinter ihm, ein blitzendes Messer in der Hand. Dann wird es dunkel.

In Ausstellungskatalogen ist oft zu lesen, Keren Cytter hebe in ihren Videos die Grenzen zwischen Fiktion und Realität auf. Aber damit kann sie nicht viel anfangen.

"Ich kann es nicht vermeiden, mit Illusion und Realität zu arbeiten. Alles ist in einer gewissen Weise Illusion. Auch Zeitungsartikel: sie sind nicht wirklich Wirklichkeit.
Ich rede jetzt nicht unbedingt von meiner Arbeit, es deprimiert mich einfach, wie Leute Realität wahrnehmen – mich selbst eingeschlossen. Ich denke, wir gehen uns selbst aus dem Weg. Wir wollen Erfolg haben, hübsch sein, perfekt sein."

Keren Cytters Wohnung ist groß, zwei Stockwerke in einem Hinterhaus in Berlin Mitte, aber sie ist fast leer. In einem Raum stehen gar keine Möbel, in einem anderen nur ein Regal; Bücher auf Englisch und Hebräisch, ein paar DVDs und zwei lebensgroße Plastikpudel, einer weiß, der andere schwarz.

Sie ist nur ein paar Wochen im Jahr hier, weshalb sie auch noch nicht dazu gekommen ist, Deutsch zu lernen. Sie ist immer auf Reisen. Gerade war sie bei der Biennale in Venedig, fliegt demnächst nach Japan, dann folgen Wien, London, New York, Rom. Und dann sei schon Weihnachten, sagt sie.

"Ich mag es nicht, dass mein Leben momentan nur aus Arbeit besteht. Das Leben ist viel mehr als Kunst. Ich würde es gern mehr genießen, ausgehen, einen Freund haben, ein Baby – was übrigens auch ein sozialer Druck ist. Vielleicht würde ich auch gern Abenteuer erleben. Einen Löwen töten."