"Müdigkeit am Krieg"

Tom Koenigs im Gespräch mit Christopher Ricke |
Zu einem ersten offiziellen Treffen von US-Vertretern und afghanischen Taliban hat Katar im Persischen Golf eingeladen. Nach gut zehn Jahren Kampf ginge es nun um einen Waffenstillstand und den Beginn eines Friedensprozesses, betont der ehemalige UN-Sonderbeauftragte für Afghanistan Tom Koenigs.
Christopher Ricke: Es soll jetzt direkte Gespräche geben, in wenigen Stunden sollen sie beginnen. Die USA wollen mit den afghanischen Taliban verhandeln, man spricht miteinander, weil man offenbar nach zwölf Jahren verstanden hat, dass man sich gegenseitig nicht besiegen kann. Gastgeber ist das kleine, sehr reiche Land Katar am Persischen Golf, und der afghanische Präsident, der offenbar sich nicht ausreichend eingebunden fühlt, ist erst einmal verärgert und hat die Verhandlungen mit den USA über die Militärzusammenarbeit ausgesetzt. Sei’s drum! Erstes offizielles Treffen von US-Vertretern mit Taliban, da muss man erst mal darüber reden, worüber man überhaupt reden will! Und ich spreche jetzt mit Tom Koenigs, der Bundestagsabgeordnete der Bündnis-Grünen ist Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses, und vor einigen Jahren war er auch Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen in Afghanistan. Guten Morgen, Herr Koenigs!

Tom Koenigs: Guten Morgen, Herr Ricke!

Ricke: Man spricht miteinander erst einmal über das, was man miteinander besprechen möchte. Fängt so eine politische Lösung an?

Koenigs: So fangen solche Gespräche an. Es gibt drei Parteien eigentlich, die Taliban auf der einen Seite, die auch noch sehr wenig koordiniert sind, auf der anderen Seite die afghanische Regierung und schließlich die USA. Und da hat jeder unterschiedliche Vorstellungen und unterschiedliche Vorbedingungen und es ist nun noch keineswegs gesagt, dass diese Gespräche jetzt schnell zustande kommen, sondern jeder hat von ihm aus auch berechtigte Vorbedingungen gestellt. Die Afghanen, es müsste afghanisch geführt werden und die afghanische Verfassung anerkannt, das heißt, keine Gegenregierung; die Amerikaner, es müsse der Wille zum Frieden da sein und kein Angriff von dem Land Afghanistan auf ein anderes Land ausgehen; und schließlich die Taliban, es müsse ernsthafte Verhandlungen geben. Jeder hat auch Grund, am anderen zu zweifeln, denn jeder hat diese Bedingungen vom anderen schon mal gebrochen.

Ricke: Es gibt einen gewissen Optimismus bei diesen Gesprächen in der Politik. Was ist das für ein Optimismus, Zweckoptimismus oder tatsächlich mit Substanz unterfüttert?

Koenigs: Der ist bisher noch nicht mit Substanz unterfüttert, obwohl es natürlich genug Gründe zur Verhandlung gäbe und man die Verhandlungen begrüßen muss. Denn es ist natürlich besser, wenn verhandelt wird, als wenn weiter geschossen wird. Es geht letzten Endes natürlich um einen Waffenstillstand und die USA und ISAF müssen interessiert sein, den Waffenstillstand herbeizuführen, so auch die Afghanen. Die Taliban schon wieder etwas weniger. Das Zweite, die Taliban haben immer gefordert Abzug der fremden Truppen von Afghanistan. Das zeichnet sich jetzt ab, aber über eine Fortsetzungsmission wird verhandelt und gestritten mit der afghanischen Regierung. Und schließlich die Befreiung der Gefangenen aus Guantánamo, das ist eine alte Forderung, und die ist zu erwarten gewesen.

Ricke: Eigentlich ist die Basis einer gemeinsamen Politik ja Vertrauen. Vertrauen gibt es aber nicht. Eine andere Möglichkeit wäre, dass man Geschäfte miteinander macht, aber Geschäfte gibt es auch nicht. Auf welcher Basis kann man also solche Gespräche bauen?

Koenigs: Zunächst mal ist ja sicher, dass die internationalen Streitkräfte dort abziehen. Das ist, wie man sagen könnte, eine vertrauensbildende Maßnahme. Auf der anderen Seite gibt es den Wunsch, sich an der politischen Zukunft in Afghanistan zu beteiligen, beziehungsweise der afghanischen Regierung, die Taliban auch sich beteiligen zu lassen, wenn sie denn die Verfassung einhalten. Also, es gibt schon genug zu verhandeln. Und außerdem gibt es eine Müdigkeit am Krieg, die ja durchaus berechtigt ist. Jeder Tag, wo dieser Krieg früher endet, ist ja gut!

Ricke: Vor sechs Jahren – und das ist einige Tage her – ist der SPD-Politiker Kurt Beck ziemlich geprügelt worden, weil er vorgeschlagen hat, gemäßigte Taliban an einer neuen Afghanistan-Friedenskonferenz zu beteiligen. Jetzt bekommt er ja irgendwie im Nachgang Recht. Welches Leid hätte denn aus Ihrer Sicht verhindert werden können, wenn man damals schon auf ihn gehört hätte?

Koenigs: Es hat unglaublich viele Tote gegeben, es hat Anschläge gegeben, es gibt Vertreibungen, es gibt Flüchtlinge und es gibt einen Konflikt, der auf andere Staaten ausstrahlt, andererseits auch von anderen befeuert wird. Das heißt, hätte dieser Friedensprozess früher begonnen, wäre das sicher gut gewesen. Ich habe schon damals gesagt, man muss verhandeln, und die entsprechenden Akteure haben schon damals sehr unterschiedlich darauf reagiert. Es waren ja nicht nur die Afghanen, die nicht verhandeln wollten, und die Taliban, die nicht verhandeln wollten, sondern auch die Amerikaner, die nicht verhandeln wollten.

Ricke: Jetzt gibt es ja ein Argument, das wirklich jedes Gespräch mit jedem rechtfertigt, auch mit Terroristen: Wenn man es schafft, das Leiden der Zivilbevölkerung zu mindern. Es gibt ein politisches Symbol im Afghanistan-Konflikt, das besonders in Deutschland angesehen wird, das ist die Mädchenschule. Das ist ein sehr deutscher Blick auf die afghanische Mädchenschule. Kann man denn, wenn man bei diesem Symbol bleibt, wirklich eine Lösung finden, in dem auch die Frauen in der afghanischen Gesellschaft einigermaßen zu einem Recht kommen, das wir im Westen verstehen?

Koenigs: Das wollen wir hoffen! (Anmerkung d. Onlineredaktion: Satz schwer verständlich im Hörprotokoll.) Es gibt auch Taliban-Gruppen, die die Schulpflicht für alle durchaus vertreten. Also, da gibt es auch ideologische Bewegung. Ob das allerdings nun sehr schnell geht, das weiß man nicht, und wie viel die afghanische Regierung selbst von ihrer Verfassung verteidigen kann und will, das steht noch aus.

Ricke: Tom Koenigs, der Bundestagsabgeordnete der Bündnis-Grünen ist Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses und er war Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen in Afghanistan. Vielen Dank, Herr Koenigs!

Koenigs: Danke Ihnen!

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