Ambitioniertes Welttheater
"paradies spielen" fiel beim Publikum durch, nicht aber bei der Jury des Mülheimer Dramatikerpreises 2018: Der Österreicher Thomas Köck erhält den Preis für den letzten Teil seiner "paradies"-Trilogie.
Der nun schon seit 43 Jahren vergebene Mülheimer Dramatikerpreis spiegelt durchaus die Geschichte und Entwicklung der deutschen Gegenwartsdramatik. Das gilt auch für den Preisträger 2018, den 32-jährigen Österreicher Thomas Köck. Von den sieben aus gut 100 Uraufführungen nominierten Stücken kristallisierte sich nach einer zweitstündigen Jurydiskussion fast einmütig Köcks "paradies spielen" als überzeugendstes Theaterstück heraus – formal und inhaltlich ambitioniertes Welttheater.
Drei Erzählstränge im Stück vereint
Die Jury, bestehend aus dem Intendanten Lars Ole-Walburg, den Dramaturgen Angela Obst und Ludwig Haugk sowie den Journalisten Till Briegleb und Jürgen Berger, soverän geleitet von Vasco Boensich, nahm eine Richtlinie des Wettbewerbs sehr ernst: Nicht die Inszenierung, sondern ausschließlich den Stücktext des Autors zu bewerten. Zwar waren alle nominierten Stücke als Gastspiele in Mülheim gezeigt und so zur Diskussion gestellt worden, doch immer wieder erscheint der Regisseur dabei als Co-Autor. Er kann, wie auch die Jury feststellte, Potentiale des Textes verdecken, ja, durch selbstgefällige Manierismen unkenntlich machen.
Thomas Köcks "paradies spielen" ist Teil einer Paradies-Trilogie (davor "paradies hungern" "paradies fluten") die, folgt man den Uraufführungskritiken, oft an den Regisseuren scheiterte. Das Stück führt dabei drei Erzählstränge zusammen: Ein Sohn vor dem Krankenhauszimmer seines Vaters, der dort, nach einem Selbstmordversuch fast völlig verbrannt, reanimiert wird, ein ICE, der in immer schnellerer Geschwindigkeit ins eiskalte Nichts rast, und die Geschichte zweier chinesischer Wanderarbeiter, die in eine Fabrik in der Toskana auswandern und dort genauso menschenunwürdig ausgebeutet werden wie in ihrem Herkunftsland. Mit sprachlichem Witz, musikalisch strukturiert (die einzelnen Szenen haben Satzbezeichnungen aus Antonio Vivaldis "Vier Jahreszeiten" ) und trotz des Katastrophenszenarios theatralisch pointiert wird ein Drama zwischen Eis und Feuer vorgeführt, bei dem - wie freilich auch in den anderen 2018 für Mülheim nominierten Stücken - die aktuelle politische Verunsicherung und Eintrübung Thema sind.
"paradies spielen" gehört unbedingt sorgfältig inszeniert
Das gilt auch für Elfriede Jelineks sich an Donald Trump abarbeitender endlos langer Textschleife "Am Königsweg". Die Nobelpreisträgerin war bereits zum 19. Mal für Mülheim nominiert worden. Die auch für das Berliner Theatertreffen eingeladene Hamburger Uraufführungsinszenierung "Am Königsweg" bekam den Publikumspreis, diesmal vor allem aber wohl wegen der Regie von Falk Richter und der Performance des Schauspielers Benny Claessens, für die Jelineks Text ja eigentlich nur eine beliebig zu gestaltende Vorlage sind.
Beim Publikum kam auch Thomas Melles "Versetzung" über einen Lehrer mit bipolarer Störung gut an, während die Jury gerade dieses Stück einmütig als konventionell und dramaturgisch unbeholfen zurückwies. Im Gegensatz dazu landete wiederum Köcks preisgekröntes "paradies spielen" beim Publikum auf dem letzten Platz, was wohl kaum am Text, sondern wohl an der Mannheimer Uraufführungsinszenierung von Marie Bues gelegen haben dürfte, die etwa die ICE-Fahrgäste in plüschigen Tierkostümen und Masken schrill agieren ließ. "paradies spielen" gehört aber unbedingt sorgfältig inszeniert und musiziert auf große Bühnen und ins Repertoire und wird gewiss dann sein Publikum finden.