Müll an der Nordseeküste

Eine App gegen Plastikberge

Plastikflaschen am Strand. Aufgenommen vom Verein "Küste gegen Plastik".
Getränkeflaschen sind nur ein kleiner Teil des Plastikmülls, gegen die der Verein "Küste gegen Plastik" ankämpft. © Jennifer Timrott
Von Jan-Uwe Stahr |
Plastik vermüllt die Nordseeküste bei Sankt Peter Ording. Mit ihrer Initiative "Küste gegen Plastik" kämpft Jennifer Timrott dagegen an. Der Verein sammelt nicht nur Müll, sondern hat auch eine Anti-Plastik-App entwickelt.
Die dunklen Wolken hängen tief. Die Nordsee hat sich zurückgezogen, bis an den Horizont. Kalt und grau erstreckt sich das Wattenmeer vor Sankt Peter Ording. Kein schöner Tag für eine Wanderung zwischen Salzwiesen, Sandbänken und Prielen. Doch Jennifer Timrott stört das nicht. Sie will hinaus zur Eidermündung.
Die Wattläuferin will hier draußen etwas zeigen: Strandgut, das die Nordsee mit jeder Flut heranspült. Nach einem Kilometer ist der Spülsaum erreicht. Jennifer Timrott geht in die Knie, inspiziert den angespülten Müll: "Plastikflaschen, Badelatschen. Da vorne ist die nächste Wasserflasche. Becel-Margarine haben wir hier."

Vermüllung, wohin man schaut

Plastikmüll, wohin man auch schaut: Reste von Fischernetzen. Einweg-Rasierer. Kleine, undefinierbare Plastikschnipsel. Und immer wieder: Kunststoff-Verpackungen. "Das ist auch irgendwie eine Lebensmittel-Verpackung. Hier hat man noch etliche Süßigkeiten, würde ich annehmen, nee – Snack-Tomaten", sagt Jennifer Timrott.

An den öffentlichen Badestränden sammelt die Gemeinde den Müll aus dem Meer täglich weg. Doch hier, in den abgelegenen Salzwiesen und Vogelschutzgebieten, schafft sie es nicht.
Jennifer Timrott vom Verein "Küste ggen Plastik" im Wattenmeer mit einer Karre voller Plastikmüll.
Jennifer Timrott findet an der Nordseeküste Berge von Plastikmüll.© Frank Timrott

Großes Bürgerengagement

Vor fünf Jahren hat die gelernte Krankenschwester einen Verein gegründet: "Küste gegen Plastik". Regelmäßig organisiert sie freiwillige Müllsammlungen im Watt. Das Engagement der Bürger ist groß. Doch ihr Kampf gegen die Flut aus Plastikmüll ist nicht zu gewinnen. Denn das Meer ist voll davon.
Das Material verrottet einfach nicht: "Das sieht aber auch sehr, sehr alt aus: Piz Buin Sonnenmilch, weil da ist, da ist noch gar kein Barcode darauf. Also das würde ich hier für eine echte Antiquität halten."

Plastikverpackungen nehmen zu - trotz gegenteiliger Forderungen

Schon seit 30 Jahren fordert die Umweltpolitik: Verpackungsabfälle vermeiden, die Mengen verringern. Passiert ist das Gegenteil: Immer mehr wurde verpackt. Immer mehr davon in Plastik. Material, das nach kurzem Gebrauch zu Abfall wird, der eingesammelt, entsorgt oder mit viel Aufwand verwertet werden kann, aber doch vielerorts in die Umwelt gerät.
Jennifer Timrott will das nicht hinnehmen. "Küste gegen Plastik" hat den Kampf gegen die Plastikflut deshalb ausgeweitet – bundesweit und direkt in den Supermarkt.
"Hier, in der Gemüseabteilung, gibt es natürlich auch immer jede Menge in Plastik verpacktes Zeugs. Sehr viel von diesen To-Go-Verpackungen auch", erläutert Timrott. "Ein Jogurt mit Müsli im Deckel. Das ist ja auch eine Riesenverpackung mit den Jogurt hier extra. Dann hat man oben noch eine Müsli-Schale, eine extra Schale obendrauf. Einen eingeschweißten Plastiklöffel noch mit dran."

Eine freundliche Mail per App

Jennifer Timrott zückt jetzt ihr Smartphone aus der Jackentasche, wischt über den Bildschirm, hin zu einem blauen Symbol. Darauf: Zwei Pfeile in entgegengesetzter Richtung. Darunter ein englischer Text: "Replace Plastic" – "Plastik ersetzen".
"So, jetzt starte ich die App … so, jetzt kann man hier den Barcode-Scanner öffnen. Dann öffnet sich eben die Kamera vom Smartphone und man könnte jetzt so Produkte wie die Erdbeeren hier nehmen und den Barcode scannen."
Nur zwei Sekunden, dann ist das Produkt in einer Online-Datenbank identifiziert. Noch ein Fingertippen und schon sendet das Smartphone eine Nachricht. Jennifer Timrott erläutert: "Das ist eine recht freundlich formulierte E-Mail, die der Anbieter dann auch erhält, wo unter anderem steht, dass wir Probleme mit dem Plastikmüll haben. Dass es sich in der Natur ebenso schädlich zeigt. Und dass der Verbraucher, der das einsendet, sich vom Hersteller wünscht, dass er sich eine Verbesserung einfallen lässt."

Manche Unternehmen nehmen sich die Kritik zu Herzen

Schon seit einem Jahr kann sich jeder die "Replace Plastic"-App auf sein Smartphone laden. Jennifer Timrott klickt auf die aktuelle App-Statistik: Über 220.000 Produkte wurden bereits gescannt. In Discountern aber auch in Biomärkten.
Reaktionen gibt es auch schon, sagt Timrott: Bei kleinen und mittleren Unternehmen. Manche machen sich nun Gedanken über einen Plastikverzicht bei der Verpackung. Verbündete gibt es auch bei den Lebensmittelkonzernen.
"Da kommen wir in Kontakt mit den Leuten, die für die Nachhaltigkeits-Abteilungen arbeiten, auch bei den großen Konzernen. Und die dann eben sagen, dass sie sich freuen, Verbraucher- Feedback, dass ihre Position als Nachhaltigkeit-Beauftragten oder Umweltmenschen im Unternehmen stärkt."

Die ersten Verbote kommen

Aber auch der Staat muss beim Kampf gegen die Plastikflut entschlossener durchgreifen, findet Jennifer Timrott: "Ich denke Verbote sind bei manchen Schwachsinns-Produkten auch wirklich angezeigt."
Einige Plastik-Verbote sollen jetzt kommen: Für Einweggeschirr, Strohhalme oder Wattestäbchen. Ein Anfang, immerhin.
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