Petra Beck ist Ethnologin und Kulturanthropologin. Sie forscht zu Mensch-Ding-Beziehungen im urbanen Kontext, Mensch-Ding-Umwelten und Dingräumen wie zum Beispiel Selfstorage-Häusern. Als visuelle Anthropologin war sie in den letzten Jahren an mehreren künstlerischen Projekten beteiligt.
Überschätzte Abfalllösung
Beim Recycling werden Abfälle wieder zu Wirtschaftsgut, sinnvollerweise sogar zu Rohstoffen, aber das braucht neue Energie. © picture alliance / NurPhoto / Michal Fludra
Recycling ist oft nur eine Form von Entsorgung
Recyceln ist gut, aber die stoffliche Wiederverwertung erfordert immer auch neue Energie und den Einsatz neuer Rohstoffe. Die Ethnologin Petra Beck rät daher, Dinge wiederzuverwenden. Oder noch besser, sie erst gar nicht anzuschaffen.
Wohin mit den Resten? Wir sammeln sie ein, lassen sie los, machen sie zu Müll. Ab in die Tonne! Jemand anderes wird kommen, sie abholen und sie - und uns - "ent-sorgen". Bei diesem Gang zur Tonne erleben wir zum einen die Intimität, private Dinge in eine öffentliche Ordnung zu überführen und zum anderen die konkrete Utopie des Wegwerfens. Diese Reste sind Teil der Welt geworden.
Doch auch wenn es Woche für Woche aufs Neue den Anschein hat: Sie verschwinden nicht. Nicht, wenn wir in den Deponien Erde darüber verteilen, und nicht, wenn sie verbrennen. Selbst bei modernsten Müllverbrennungsanlagen bleibt ein immens giftiger Rest übrig, der in Endlager verbracht wird und dort als Sonderabfall die Stollen für lange Zeit füllt. Bei den Resten, die unkontrolliert in die Umwelt gelangen, sind die Effekte noch drastischer.
Verhältnis zu Müll hat sich geändert
Und so hat sich, spätestens seitdem die Ausmaße allgemein bekannt sind – beispielsweise die der weltweiten Plastikverschmutzung –, das Verhältnis zu Müll geändert. War Müll jahrhundertelang etwas, das man beseitigt und damit vergessen kann, wird immer klarer, dass unsere Hinterlassenschaften in der Welt agieren, sich in Natur und Mensch einschreiben und auf biochemische, metabolisch-intime und globale, politische Weise weiter verbunden bleiben.
Die Zielsetzung beim Umgang mit den Resten heißt deshalb: 3R. Reduce, Re-use, Recycle. Also Reduzieren, Wiederverwenden und Wiederverwerten. Diese drei Ansätze werden dabei als Lösungsansätze meist gleich gewichtet und sind doch völlig verschieden.
Recycling ist moralisch aufgeladen
Beim Recycling, der stofflichen Wiederverwertung, werden Abfälle wieder zu Wirtschaftsgut, sinnvollerweise sogar zu Rohstoffen. Das Bild des Kreises, des Rezyklierens, hat aber Lücken. Denn Recycling erfordert immer auch neue Energie und den Einsatz neuer Rohstoffe, oft ist es nur eine Form von Entsorgung.
Man sollte es deshalb nicht auf der gleichen Lösungsebene wie Reduzieren oder Wiederverwenden ansiedeln.Zudem lagert der öffentliche Diskurs über das Recycling die Verantwortung meist als moralischen Impetus auf die Bürger:innen aus.
Dabei machen Haushaltsabfälle nur einen Bruchteil des Abfallvolumens aus. Alles, was wir in Tonnen werfen, stellt cirka 12 Prozent des gesamten Müllaufkommens dar. Industrieller Müll und Bauabfälle wiegen weit schwerer.
Ziel: Gesamtmüllmenge verringern
Was also tun mit den Resten? Wir können sie sortieren und recyceln oder verbrennen und begraben. Es sind teure Lösungen auf Kosten der Umwelt und damit auch auf unsere. Wichtigstes Ziel wäre es, die Gesamtmüllmenge zu verringern: durch Wiederverwenden oder durch Reduzieren.
Wiederverwenden ist ein durchaus produktiver Prozess, bei dem die Dinge erst gar nicht zu Müll werden. Denn „Müll“ zu sein, ist keine stoffliche Eigenschaft der Dinge selbst, sondern eine Frage der Wahrnehmung, der kulturellen Zuschreibung und gesellschaftlichen Aushandlung. Was hat man also vor sich: Müll oder Ressource? Etwas, das man verschwinden lassen will – oder etwas, das anderswo wiederverwendet werden kann?
Einwegartikel vermeiden
Sinnvoll wäre es, diese Wiederverwendung für die gesamte Lebensspanne von Dingen zu denken. Jedem Anfang wohnt nicht nur ein Zauber inne, sondern auch ein Ende. Ein Ende, das bestenfalls am Anfang schon mitbedacht wird; idealerweise in industriellem Maßstab, so dass sich Produkte bis hin zu ganzen Gebäuden einfach demontieren lassen, modular und langlebig gebaut sind und Ersatzteile bis zum Schluss erhältlich bleiben.
Wenigstens eines sollten wir uns deswegen sofort angewöhnen: keine Einwegartikel zu kaufen.
Besser noch als die Dinge wiederzuverwenden, wäre es zweifellos, sie zu reduzieren, den Lebensstil radikal zu ändern und weniger zu konsumieren. Nach Reduktion sieht es im Moment allerdings nicht aus. Im Durchschnitt wird weltweit eine Masse von Dingen produziert, die in etwa dem gesamten Gewicht aller Menschen auf diesem Planeten entspricht, Woche für Woche.