Münchner Architektur-Museum

Das Einkaufszentrum als Schmuddelkind der Architektur

Kunden in einem Einkaufszentrum in Berlin.
Kunden in einem Einkaufszentrum in Berlin. © picture alliance / dpa / Paul Zinken
Von Tobias Krone |
Die Ausstellung "World of Malls" im Münchner Architektur-Museum betrachtet Einkaufstempel weltweit. Sie können Sicherheitszone, Erlebniswelt sein, sollen aber vor allem eines: zum Konsum anregen. Von den Architekten wurden Shoppingmalls bislang eher stiefmütterlich behandelt.
Die promovierte Architektur-Historikerin Simone Bader blickt auf den schneeweißen Quader der Pasing Arcaden in der Vorstadt von München. Die letzten Monate über hat sie sich für die Ausstellung am Münchner Architektur-Museum mit Bauten wie diesen beschäftigt. Ganz an sie gewöhnt hat sie sich bis heute nicht.
Simone Bader: "Was man einfach sagen muss, es ist schon ein Riesen-Komplex, so eine Shopping Mall. Es ist ein Riesen-Ozeandampfer mitten in einer Stadt."
Tobias Krone: "Also ich hab ja Recherche betrieben und eine Architekturkritikerin meinte dann, das ist total der Superknaller, dieser Klotz, weil es sich tatsächlich nicht an die Umgebung anpassen würde. Ist das auch ihre Meinung, dass das jetzt so intelligent ist, sich nicht an die Umgebung anzupassen?"
Simone Bader: "Ja, aber das stimmt ja nicht ganz, dass es sich nicht an die Umgebung anpassen würde, ich meine, die Architekten haben hier schon versucht, auf die Umgebung eigentlich insofern Rücksicht zu nehmen, als dass sich hier ja auch zum Beispiel die Fassadenfront öffnet hin, ja?

"Man soll eigentlich auch nicht mehr rauskommen"

Es gibt ja auch direkt, wenn man dann schaut, direkt ein kleines Restaurant, man kann draußen sitzen, also früher war das gar nicht möglich. Man wollte einfach nur die Bevölkerung reinziehen. Zum Beispiel Paco Underhill, das ist ein amerikanischer Verhaltensforscher, der sich die Shopping Malls anschaut, der hat von Mäuselöchern gesprochen. Also man geht in diese Mäuselöcher rein und dann soll man eigentlich auch nicht mehr rauskommen."
Tobias Krone: "Jetzt kennt man ja in vielen Städten so Arcaden. Diese Shopping Mall könnte eigentlich in vielen anderen Städten auch stehen, oder?"
Simone Bader: "Das ist ja immer das Problem dieser Shopping Malls, dass sie eigentlich überall stehen können. Und dass die Architektur nicht immer auf den Ort abgestimmt ist.
Aber das verändert sich gerade. Wenn man jetzt die Höfe am Brühl nimmt, ein Bauprojekt in Leipzig, das wir in der Ausstellung zeigen, da sind die Architekten sehr stark auf die Stadtstruktur eingegangen und haben eben die für Leipzig spezielle Architektur aufgenommen, sowas wünscht man sich eigentlich für jede Stadt. Aber dafür braucht man auch gute Architekten, und viele Investoren sind nicht immer dazu bereit, gute Architekten in ihr Bauprojekt zu integrieren."
Architekten und Investoren, das waren seit jeher zwei getrennte Welten. Von diesem Spannungsfeld erzählt die Ausstellung "World of Malls" in München, indem sie Konsumtempel weltweit betrachtet: Die Architekten wollen, dass die Mall ästhetische Akzente setzt, die Investoren, dass die Kasse stimmt, erzählt Simone Bader beim Eintritt in die Shopping-Welt. Wir stehen zwischen Filialen von Tom Tailor, Eilles Tee und Brioche Dorée.
Simone Bader: "Es ist auch so immer wieder diese Kritik, die auch immer aufpoppt, dass es kein Interesse gibt, die Studenten zu lehren, wie eine Shopping Mall funktioniert. Das bedeutet aber auch, dass es sehr wenige gute Architekten gibt, die das können. Das bedeutet aber auch, dass wir nicht so viele gute Shopping Malls gebaut bekommen. Und das ist auch nicht so das attraktivste Thema für Architekten."
Tobias Krone: "Weil man sozusagen für die Vermehrung des Geldes arbeitet, oder warum wollen Architekten das nicht so?"
Simone Bader: "Weil es eigentlich immer um Gewinnmaximierung geht. Eine Shopping Mall suggeriert zwar öffentlichen Raum, es ist aber kein Öffentlicher Raum. Und es geht halt darum, in erster Linie, dass die Leute konsumieren. Und es ist natürlich eine andere Aufgabe ein Museum zu bauen oder eine Kirche als eine Shopping Mall."

Verkaufsfläche statt Eleganz

Das Einkaufszentrum als Schmuddelkind der Architektur – damals im Amerika der Nachkriegszeit spielte die Form der Mall tatsächlich kaum eine Rolle. Es ging den Investoren auf der grünen Wiese nicht um Eleganz und raffiniert gestaltete öffentliche Räume – sondern um Verkaufsfläche. Erklärt Simone Bader, während wir uns durch das Shopping-Publikum schlängeln.
Simone Bader: "...das konnte einfach ne Kiste sein, mit standardisierten Elementen, man brauchte keinen Architekten. Einen Architekten brauchte man erst, seitdem die Shopping Mall wieder in der Stadt ist. Weil hier sollte es dann doch keine Kiste sein. Wenn es in der Stadt ist, gehört es auch zur Stadt – und immer mehr, man kann in den Pasing Arcaden auch wohnen."
Nach Außen hin werden sie heute dem Stadtbild und sogar dem Wohnraummangel angepasst. Innen funktionieren sie alle nach dem immer gleichen Prinzip.
Simone Bader: "Es geht eigentlich immer um die Bewegung der Masse."
Tobias Krone: "Wie wird denn die jetzt – sozusagen gesteuert, die Bewegung der Masse? Wenn wir jetzt in diesem Gang durchlaufen. Wo werden die Käufer denn jetzt speziell zum Kaufen angeregt?"
Simone Bader: "Zum einen ist es ja so, dass die Rolltreppe... führt natürlich nie zum Ausgang, also wie steht die Rolltreppe? – Ein Merkmal. Also man kann nach oben fahren oder nach unten. Aber man wird sozusagen in die Mall hineingesogen."
Beim Durchwandern der Pasing Arcaden mit Simone Bader wird mir bewusst, was mich beim Einkaufen samstagvormittags immer fertigmacht. Der Weg vom Elektromarkt zum Supermarkt führt einmal komplett durch die Einkaufsmeile. Und das ist ganz bewusst so. Die sogenannten Ankermieter wie Saturn oder dm werden immer an den Enden der Malls platziert.
Simone Bader: "Es ist ja auch ganz interessant, zum Beispiel die Buchläden, die können egal wo stehen, die können an allerletzter Stelle stehen, weil die Leute, die Bücher kaufen wollen, gehen ganz gezielt dahin."

Sitzgelegenheiten sind auf Shops ausgerichtet

Erschöpft lassen wir uns auf eine der Sitzinseln nieder.
Tobias Krone: "Wir sitzen jetzt in den Arcaden auf einer Sitzinsel mit Blumen dran. Die gibt’s ja auch in jeder Shopping Mall eigentlich, ne?"
Simone Bader: "Das ist ganz wichtig, dass sich die Kunden mal erholen können. Was interessant ist, dass die Kunden ja nie zueinander blicken, sondern immer zu den Shops. Das ist eigentlich eine Situation, die ja nicht normal ist. Zum Beispiel im Stadtraum gibt es ja auch Bänke, aber die sind eigentlich so, dass man zueinander blickt, und nicht eigentlich mit dem Rücken zueinander sitzt."
Hierzulande gibt es viel Kritik an den hochkontrollierten halb-öffentlichen Räumen der Shopping-Mall. In Südamerika hingegen schätzt man gerade, dass sie so gut bewacht sind. Hier kann die Mittelschicht endlich mal so richtig unter sich sein. Im Mittleren Osten wiederum – das zeigt die Ausstellung – macht die Mall so etwas wie urbanes Leben überhaupt erst möglich.
Simone Bader: "Wir haben in der Ausstellung zum Beispiel die Mall of Emirates, also die in Dubai steht. Klar das ist noch mit Erlebnispark, also da gibt’s eine Skipiste. Man muss sich vorstellen, draußen sind 50 Grad und drinnen wird ne Skipiste auf unter 0 Grad irgendwie runtergekühlt. Draußen ist es halt so warm, dass man sich einfach nicht bewegen kann, da befindet sich kein Mensch auf der Straße. Und dann werden auch die Shopping Malls zu den Zentren eigentlich. Da wo man sich begegnet und wo man sich trifft."
Die Mall wird mehr und mehr zum Ort der Begegnung. Mit diesem Prinzip trotzt sie auch der Konkurrenz des Onlinehandels. Auch in den Pasing Arcaden an diesem Freitagnachmittag.
Simone Bader: "Marc Augé hat die Shopping Center – das ist ein französischer Philosoph – als Nicht-Orte bezeichnet, weil sie eben keine gewachsene Identität haben, keine eigentliche Identität. Vielleicht muss man ihm auch recht geben, aber auf der anderen Seite sind es auch Orte, draußen sind fast 30 Grad und die Bude ist voll. Mich hat das immer gewundert, wo es doch das schönste Wetter ist, dass solche Shopping Center die Menschen immer noch anziehen. Es gibt Leute, die gerne hier drin sind. Ob man das gut findet oder nicht – aber man muss es akzeptieren."
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