"Bayerische Suffragetten"
Premiere an den Münchner Kammerspielen
Regie: Jessica Glause
Nachhilfeunterricht zur Frauenbewegung
06:56 Minuten
Vor 120 Jahren war München eine Hochburg der Frauenbewegung. Das zeigt Jessica Glause in ihrer szenischen Collage "Bayerische Suffragetten". Ein verdienstvolles Bemühen, wichtige Figuren vor dem Vergessen zu bewahren. Allerdings fehlen Reibungen.
Dass München um das Jahr 1900 eine Hochburg der Frauenbewegung war, ist wenig bekannt. Schriftstellerinnen, Künstlerinnen, Aktivistinnen, Persönlichkeiten wie Anita Augspurg, Sophia Goudstikker, Ika Freudenberg, Carry Brachvogel, Emma Merk und einige mehr waren Vorkämpferinnen für die Emanzipation, forderten politisches Mitspracherecht, Bildung und finanzielle Unabhängigkeit.
Regisseurin Jessica Glause stellt scharf auf ein unterbelichtetes Kapitel bayerischer Historie. Erkennbar dabei ihr Bemühen, den Abend nicht wie Nachhilfeunterricht für Geschichtsvergessene aussehen zu lassen. Keine Sepiatöne, dafür farbige Vielfalt.
Glause collagiert Passagen aus Romanen, Reden, Briefen und anderen Schriften ihrer Protagonistinnen und setzt bei der Aufbereitung des Textmosaiks auf formale Abwechslung zwischen Sprache, Gesang und Musik.
Doch diese Bemühungen können nicht komplett kaschieren, dass all die bunten szenischen Perlen an einem konventionell chronologischen Erzählfaden aufgefädelt sind. Originell geht anders.
Aber natürlich knüpft Glause auch Verbindungen in die Gegenwart. Statt historischer Kostüme tragen die Schauspielerinnen hautenge, silbrig-weiße Ganzkörperanzüge mit gemusterten Applikationen – in der Anmutung futuristisch. Ein Fingerzeig vielleicht, dass viele Forderungen der Frauenrechtlerinnen von früher bis heute uneingelöste Versprechen sind. Es bleibt viel zu tun für die Zukunft.
Bereits die Vorreiterinnen der Frauenbewegung erkannten: "Frauenrechte sind Menschenrechte!" Emanzipation erschöpft sich eben nicht in Fragen des Feminismus. Folgerichtig sind im Ensemble der "Bayerischen Suffragetten" viele vertreten, die heute um Gleichberechtigung kämpfen: Darstellerinnen verschiedener Hautfarbe und Herkunft; mit und ohne Behinderung; auch ein queerer Mann ist darunter.
Die Aufführung provoziert nichts und niemanden
Kurzum: Der Abend ist mustergültig divers besetzt. Wogegen rein gar nichts einzuwenden ist, außer eben genau das: dass nichts dagegen einzuwenden ist. Mit allem, was der Abend ideell transportiert, rennt die Regisseurin – zumindest beim Premierenpublikum – sperrangelweit offene Türen ein.
So provoziert die Aufführung nichts und niemanden. Jedenfalls keine Gedanken, die das Denken neu herausfordern würden. Bleibt allein das wirklich verdienstvolle Bemühen, vom Vergessen bedrohte, bedeutende Frauen zurück ins kollektive Bewusstsein zu rufen.