Eine Inszenierung ohne jedes Statement
Religionskonflikte auf der Opernbühne? Darum hätte es bei der Inszenierung von Fromental Halévys Grand Opéra "La Juive" gehen können. Allerdings verschenkt der spanische Regisseur Calixto Bieito das Potenzial des Werks komplett und lässt ein ratloses Münchner Publikum zurück.
Es gibt viel zu erzählen über die Figuren in Fromental Halévys Grand Opéra "La Juive", denn jede der fünf Hauptfiguren hat ein Geheimnis und lädt Schuld auf sich. Für die Titelheldin Rachel führen die Übertretungen gesellschaftlicher und religiöser Regeln zur Katastrophe, zum Opfertod als Sündenbock.
Sie ist eine liebende junge Frau, die sowohl von ihrem Vater als auch von ihrem Geliebten belogen wird. Letzterer ist eigentlich der christliche Reichsfürst Leopold und bereits verheiratet mit Eudoxie. Ihr vermeintlicher Vater Éléazar hat sie als Baby aus dem brennenden Haus des Adligen de Brogni gerettet und ihr nie gesagt, wer ihr richtiger Vater ist. Der ist mittlerweile Kardinal geworden und verurteilt im Rahmen des Konstanzer Konzils 1414 seine eigene Tochter zum Tod auf den Scheiterhaufen.
Eigentlich hätte das ein gefundenes Fressen für den spanischen Regisseur Calixto Bieito sein müssen, der die Abgründe der Menschen und ihre Neigung zu Fanatismus und Gewalt schon häufig packend oder schockierend auf die Bühnen gebracht hat. Aber nichts davon war in der neuen Münchner Opernfestspielpremiere zu spüren: Bieito bietet kaum Personenführung im düsteren Einheitsbühnenbild von Rebecca Ringst, sondern lässt die Solisten vor, an oder auf der sich schwerfällig drehenden schmutzig-metallenen, massiven Mauer stehen, kauern oder sitzen. Dreieinhalb Stunden sind sie dort sich selbst und dem ratlosen Publikum überlassen.
Der Applaus lässt auf sich warten
Auch der Chor aus seelenlosen, Anzug und Stickpullis tragenden Gestalten bleibt komplett statisch, tritt in Blöcken auf und wieder ab, um Gebetsbücher zu zerreißen oder mit Zweigen zu fuchteln. Bieito lässt kein Konzept, keine Position erkennen und verweigert das Thema Religionskonflikt.
Schleicht sich beim Vielbeschäftigten hier Oberflächlichkeit, oder gar Schlampigkeit ein? Erst letzten Monat präsentierte er in Paris einen großartigen "Lear". Und jetzt in München?
Kein musikalischer Akzent findet seinen Weg auf die Bühne. Dadurch verpuffen auch die erfreulichen Gesangsleistungen von Roberto Alagna als sich in mächtigen Fermaten verausgabender Kaufmann Éléazar. John Osborn als filigran und helltenorig singende Lusche Leopold und Ain Angers vollkommen apathisch wirkender, gar nicht hin- und her gerissener Kardinal Brogni bleiben den gesamten Abend blass.
Einzig die beiden Sopranistinnen bringen in ihren Szenen etwas Leben auf die große Müncher Bühne: Vera-Lotte Böcker gelingt als Eudoxie mit wunderbaren Koloraturen ein beachtliches Staatsoperndebüt, trotz von der Regie geforderter seltsam hysterischer Aktionen, und Aleksandra Kurzak füllt im grünen Hoffnungskleidchen die von ihr kurzfristig übernommene Titelpartie der Rachel mit jugendlich stahlender Dramatik überzeugend aus.
Leider macht auch Bertrand de Billys Dirigat trotz einzelner fein zelebrierter Nummern den Abend musikalisch nicht durchgehend spannend. Zu breit nimmt er viele Tempi, lässt die langen Soloszenen zerfallen und bietet französische Süße, wo eine Prise Pfeffer gut getan hätte.
Ein langatmiger, szenisch fader bis platter Festspielauftakt mit schönen Stimmen war das, der weit unter den Möglichkeiten dieses in unseren Zeiten wieder neu zu entdeckenden Werkes blieb.
Da war mehr Glanz in den Abendkleidern der feinen Münchner, die lange warteten, bis sie sich doch mal zum Applaus entschieden – das gehört halt doch dazu. Ansonsten bleibt ja nur seufzen, aufstehen, gehen.