Die Europäer sind in dieser Frage vor allen Dingen gefordert. Sie sollten nicht so viel über die Welt nachdenken, das ist für sie, ich würde mal sagen, intellektuell und strategisch eine Nummer zu groß. Sie müssen sich auf ihre unmittelbare Umgebung konzentrieren – unter der Voraussetzung freilich, dass die Welt eine aufgeteilte ist im Augenblick zwischen drei großen Akteuren: China, Russland und den USA – und die Europäer darin so gut wie keine Rolle spielen.
Herfried Münkler über Putins Krieg
Der russische Präsident Putin verachte die Weltgemeinschaft, sagt der Politikwissenschaftler Herfried Münkler. Putin hatte während der Sitzung des UN-Sicherheitsrats den Krieg gegen die Ukraine befohlen. © imago/Reiner Zensen
„Das mit der Weltgemeinschaft können wir uns abschminken“
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Im Umgang mit Russlands Präsidenten Putin muss sich der Westen auf eine neue Ordnung einstellen, sagt der Politologe Herfried Münkler: Es gehe nun um ein Denken in Einflusszonen. Die Europäer sollten sich auf ihre unmittelbare Umgebung konzentrieren.
Nachdem der russische Präsident Putin einen Krieg gegen die Ukraine begonnen hat, stehen die westlichen Demokratien vor den Herausforderungen einer neuen Geopolitik. Statt wie bisher ein gewisses Grundvertrauen gegenüber Putin zu hegen, sei es angebracht, ständig mit "Worst-Case-Szenarien" zu rechnen, sagt der Politikwissenschaftler Herfried Münkler.
"Wir befinden uns seit zwei, drei Tagen in einer anderen Welt", betont Münkler. An die Stelle einer regelgebundenen, wertegetriebenen Weltordnung treten demnach Einflusszonen. Der Westen könne seine Werte in seiner eigenen Einflusszone zur Geltung bringen. Er könne aber nicht erwarten, dass diese Werte auch außerhalb gelten.
Vergleich mit der Situation im Kalten Krieg
"Das ist in mancher Hinsicht eine Situation, wie es der Kalte Krieg war, wo diese Einflusszonen wechselseitig anerkannt und respektiert waren", analysiert der Politologe. Allerdings sei der Angriff auf die Ukraine ein "Schießkrieg", ein "heißer Krieg", von dem es abzuwarten gelte, wie lange er dauere und wie viele Opfer es geben werde: "Davon wird auch in vieler Hinsicht abhängig sein, wie man in Zukunft mit Russland umgehen wird."
Nach Einschätzung Münklers müssen die Europäer nun darüber nachdenken, was es heißt, Putins unmittelbarer Nachbar zu sein. Angesichts der russischen Atomwaffen seien die Eskalationsrisiken "unübersehbar", weshalb auch schnell klar gewesen sei, dass sich die Europäer militärisch nicht in der Ukraine engagieren. Die Frage sei, ob Putin auch ausprobieren werde, einen Nato-Staat anzugreifen.
Deutschlands Fehleinschätzungen
Die Wirkmacht der Vereinten Nationen jedenfalls sieht Münkler mehr als skeptisch: "Ich glaube, das mit der Weltgemeinschaft können wir uns abschminken." Dass sich Putin getraut habe, während einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates diesen Angriff anzuordnen, zeige, wie sehr der russische Präsident das Gremium verachte. Schon in der Vergangenheit hätten sich die Vereinten Nationen als politisch nicht handlungsfähig erwiesen: "Das gehört gewissermaßen auch zu den Fehleinschätzungen der globalen Konstellation seitens der deutschen Politik."
(bth)