Eine erstaunliche medizinische Erfolgsgeschichte
Seit 2015 macht der Kampf gegen multiresistente Tuberkulose in Äthiopien rasante Fortschritte: Die Heilungsrate liegt bei 80 Prozent - erstaunlich für so ein armes Land. Neben der medizinischen Behandlung greift auch ein soziales Hilfsprogramm.
Morgenbesprechung in der Tuberkuloseabteilung am St. Peter's Hospital in Addis Abeba. Bevor ich die etwas abgelegenen Bungalows betreten darf, muss ich eine dicht schließende Maske über Mund und Nase ziehen. Schweißtreibend, aber Vorschrift, schließlich liegen hier Patienten mit einer MDR-TB – einer multiresistenten Tuberkulose, gegen die normale Medikamente nicht mehr wirken.
Als er ankam, schwebte Missfin Abo in akuter Lebensgefahr, war kaum noch bei Bewusstsein: "Ich begann zu husten, hatte Schmerzen in der Brust. Nachts brach mir der Schweiß aus, und ich hatte gar keinen Appetit mehr. Da haben sie mich hierhergebracht, aus Borna - 1000 Kilometer mit dem Krankenwagen."
Neue Behandlungsmethode mildert Nebenwirkungen
Noch vor zehn Jahren hätte es in Äthiopien für ihn keine Rettung gegeben, sagt Chefarzt Bekele Fekade: "Ich habe schon lange hier im Hospital gearbeitet und Patienten mit MDR-Tuberkulose registriert. Als das Programm dann 2008 losging, habe ich die Liste der Patienten aus dem ganzen Land hervorgeholt. Nur fünf oder sechs sind zur Behandlung gekommen, die anderen waren schon gestorben."
Das ist heute anders: Die Heilungschancen sind gut. Missfin Abo wird über neun Monate konsequent einen ganzen Cocktail von Medikamenten einnehmen müssen. Nebenwirkungen sind der Normalfall: vor allem Gelenkschmerzen, Übelkeit und der Verlust des Hörvermögens. Deshalb brechen viele Patienten die Behandlung ab.
Genau hier kommt das erste neue Element des Programms, das gemeinsam vom äthiopischen Gesundheitsministerium und der Hilfsorganisation Global Health Committee betrieben wird, ins Spiel. Die Ärzte in St. Peter's reagieren sofort auf Nebenwirkungen. Um das Gehör von Missfin zu retten, haben sie die Behandlung komplett umgestellt. Schon bald wird er nicht mehr ansteckend sein und kann dann entlassen werden.
Soziale Probleme werden auch "behandelt"
Es geht ins nächste Zimmer. Hier liegt Bethlehem Shume, sechzehn Jahre alt. Sie ist aus einem kleinen Dorf ans St. Peter's Hospital gekommen, lebensgefährlich erkrankt an MDR-Tuberkulose. Ihre Mutter war immer an ihrer Seite:
"Ich muss bei meiner kranken Tochter bleiben. Das große Problem sind die anderen beiden Kinder, eines jünger, eines älter als Bethlehem. Sie leben bei ihrem Vater, er ist Tagelöhner. Aber sie haben uns hier besucht."
Mehr als zwei Jahre sind Mutter und Tochter schon hier. Die Behandlung hat angeschlagen, von den Bakterien ist keine Spur zurückgeblieben. Die Infektion ist geheilt, aber sie hat Schäden an der Lunge hinterlassen. Bethlehem ist auf Sauerstoff angewiesen, ihre Familie kann sich die Gasflaschen aber nicht leisten.
"Bei manchen Patienten reicht es nicht, die TB zu behandeln, wir müssen uns auch um die sozialen Probleme kümmern."
Risikofaktor beengte Lebensverhältnisse
Die soziale Betreuung ist die zweite Besonderheit des MDR-Tuberkulose Programms am St. Peter's Hospital. Ohne sie schaffen es viele Patienten nicht, ihre Tabletten auch nach der Entlassung aus der Klinik über Monate konsequent weiter einzunehmen. Die Probleme fangen bei der Wohnung an. Viele Patienten haben keine feste Bleibe, die ambulanten Schwestern können sie nicht verlässlich erreichen. Deshalb organisiert Selamawit Hagos vom Global Health Committee Hilfe.
"Die Patienten leben oft mit mehreren Familien in einem einzigen Raum. Hier stecken sich leicht andere an. Deshalb geben wir Mietunterstützung, die Patienten können sich in der Nähe der Familie ein Zimmer nehmen, so können ihnen auch die Verwandten helfen. Die Patienten können meist noch nicht arbeiten, deshalb gibt es auch Nahrungsmittelhilfe."
Unterstützung durch das Global Health Committee
Jeden Monat Öl, Mehl, aber auch Thunfisch und die in Äthiopien allgegenwärtige Mirinda-Limonade. Selamawit Hagos will mir eine Patientin vorstellen, die vom Global Health Committee unterstützt wird. Im Jeep geht es in arme Bezirke von Addis Abeba. Hier wohnt Shewanesh Bekele.
Hier findet das Leben draußen statt. Das Zimmer der Familie misst höchstens drei Quadratmeter, der Platz reicht nur für eine kleine Matratze und einen Stapel Koffer als Schrankersatz. Mehr kann sich Shewanesh nicht leisten: "Früher habe ich als Kellnerin gearbeitet, als Wäscherin, Tagesjobs. Dann fing der Husten an, ich wurde schwach. Meine Freundin hat mich ins St. Peter's Hospital gebracht. Da haben sie MDR-Tuberkulose diagnostiziert und ich wurde behandelt. Langsam fühle ich mich besser."
Arbeiten kann sie aber nach wie vor nicht. Die kleine Familie ist auf die Lebensmittelhilfe und die Mietunterstützung angewiesen. Irgendwann fing auch die kleine Blen an zu husten. Wahrscheinlich hatte sie sich bei ihrer Mutter angesteckt, bevor die am St. Peter's Hospital behandelt wurde.
"Seit einem Monat wird ihre TB jetzt behandelt. Es ist schwer, sie kann die Pillen nicht schlucken. Ich löse sie in Wasser auf, aber das schmeckt sie und muss erbrechen."
Heilungsrate bei 80 Prozent
Eine Krankenschwester des Global Health Committee kommt jeden Tag vorbei und hilft. Shewanesh Chancen auf Heilung stehen gut, meint Dr. Bekele: "Unsere Heilungsrate liegt bei 80 Prozent, das ist die Beste in ganz Afrika. Das Programm hat unserem Land sehr geholfen. Viele Menschen überleben, arbeiten wieder. Darunter Lehrer, Ingenieure, Krankenpfleger. Das sind wirklich gute Nachrichten."
Eine Heilungsrate von 80 Prozent ist für die multiresistente Tuberkulose spektakulär. Als die Ergebnisse 2015 in der Fachzeitschrift "Thorax" veröffentlicht wurden, konnten viele Experten gar nicht glauben, dass so etwas in einem armen Land wie Äthiopien möglich ist.
"2009 haben wir mit neun Patienten begonnen. Wir haben die Behandlung dann ausgeweitet, erst hier in St. Peter's, dann an der Universität Gonder. Über 3.000 Patienten mit MDR-Tuberkulose haben mit der Therapie angefangen. Und jetzt ist die Behandlung in ganz Äthiopien möglich."
Besonders schwere Fälle werden allerdings nach wie vor ans St. Peter’s Hospital nach Addis Abeba gebracht. Hier kann ihnen Dr. Bekele mit Medikamenten helfen und das Global Health Committees mit einer umfassenden Unterstützung. Die Heilungsraten sprechen für das Programm und auch Shewanesh ist optimistisch: "Ich muss wieder gesund werden. Ich nehme alle Medikamente und hoffe, dass wir alle ein gesundes Leben haben werden."